„Einfach raus, egal wohin“

von Redaktion

Interview Sofia und Klara Gaigl erlebten in Tel Aviv die Attacke auf Israel

Schwindegg/Tel Aviv – Ein bisschen die Welt erkunden, das hatten sich die Schwestern Sofia und Klara Gaigl aus Schwindegg für diesen Sommer vorgenommen. Schließlich hatte die 18-jährige Sofia gerade ihr Abitur abgelegt und ihre 21-jährige Schwester ihre Ausbildung zur Erzieherin absolviert. Auch Israel stand auf der Reiseliste. Die jungen Frauen waren zu dem Zeitpunkt in Tel Aviv, als die Terrororganisation Hamas ihren Angriff auf Israel startete. Nach bangen Tagen in einem Hostel, in denen die beiden nicht wussten, wie und wann sie nach Hause kommen, sind sie seit dem Wochenende wieder in der Heimat. Den OVB-Heimatzeitungen schildern sie ihre Eindrücke.

Wie fühlt es sich für Sie beide an, nun wieder zu Hause zu sein?

Sofia Gaigl: Wir sind sehr erleichtert, wieder zu Hause bei unserer Familie zu sein.

Sie waren ja in Tel Aviv und Jerusalem. Wie haben Sie die beiden Städte empfunden?

Klara Gaigl: Die Atmosphäre war richtig schön. Gerade Tel Aviv ist eine sehr liberale Großstadt. Die Leute dort sind sehr freundlich und hilfsbereit. Man hatte den Eindruck, die Einheimischen wollen mit den Ausländern in Kontakt kommen.

Sofia: Tel Aviv ist sehr multikulti mit vielen Kontrasten. Da ist dieser ellenlange wunderschöne Strand, dahinter ragen die Hochhäuser in den Himmel. Dann gibt es noch die beeindruckende Altstadt mit den vielen Kunstgalerien.

Klara: Wir haben uns ein bisschen gefühlt wie in Miami.

Und wie war es in Jerusalem?

Sofia: Ganz anders, aber auch sehr eindrucksvoll. Jerusalem ist die Stadt, wo gebetet wird. Wir waren ausgerechnet in der Sukkot-Woche da. Viele Juden waren auf dem Weg zur Klagemauer, die Männer mit Kippa und Schläfenlocken, die Frauen mit Perücken. Es war unglaublich viel los, wir sind kaum zur Klagemauer vorgedrungen.

Das war der Tag vor dem Angriff?

Klara: Ja genau. Abends waren wir denn wieder zurück in Tel Aviv. Wir sind noch in einen Club gegangen und haben gefeiert.

Wie haben Sie beide den nächsten Morgen erlebt?

Klara: Um 7 Uhr morgens hat die Hostelleitung an unsere Türen geklopft und uns aufgefordert, ins Treppenhaus zu gehen, da es Bombenalarm gebe. Aber alles noch ganz ruhig.

Was haben Sie sich in diesem Augenblick gedacht?

Sofia: Gar nicht so viel. Wir waren uns auch nicht sicher, ob das jetzt echt oder ein Probealarm ist.

Wann wurde Ihnen der Ernst der Lage bewusst?

Klara: Als wir die Einschläge von Raketenteilen gehört und Vibrationen gespürt haben.

Sofia: Dann ist auch die Stimmung gekippt. Die Menschen um uns herum sind total panisch geworden. Viele haben angefangen zu schreien und zu beten.

Wie ging es Ihnen in diesem Augenblick?

Klara: Diese intensive Stimmung hat sich natürlich auch auf uns übertragen. Kurz haben wir auch gedacht, dass das unser Ende sein könnte. Doch nach einer Zeit haben sich die meisten wieder gefangen. Die Leute haben dann angefangen, zu überlegen, was man tun könnte. Wir haben uns gegenseitig getröstet und Mut zugesprochen. Schließlich saßen wir ja alle im selben Boot.

Sofia: Es wohnten ja auch Einheimische im Hostel, die beispielsweise in Tel Aviv arbeiten. Die gaben uns dann Tipps und klärten uns auf. So haben wir uns eine App runtergeladen, die Bunker im nächsten Umkreis anzeigt. Tatsächlich gab es da viele um uns herum.

Waren Sie denn auch im Bunker?

Klara: Nur zum Schluss, als wir schon am Flughafen waren, gab es noch einmal Bombenalarm. Während der Zeit im Hostel nicht. Wir mussten abwägen, was gefährlicher ist. Die fünf Minuten Weg auf der Straße zum Bunker oder das Treppenhaus im Hostel.

Was haben Sie während dieser bangen Stunden und Tage getan?

Sofia: Wir waren natürlich in Kontakt mit unseren Eltern und Freunden, die uns sehr unterstützt haben. Sie haben uns Links, Nummern von Hotlines und Formulare geschickt und Kontakte in Tel Aviv für den Notfall aufgetan.

Was haben Sie genutzt?

Klara: Wir haben uns in die Krisenvorsorgeliste Elefand eingetragen und die Hotline der Deutschen Botschaft gewählt. Die haben uns, nachdem wir ewig nicht durchgekommen sind, aber nur gesagt, dass sie sich erst mal um die Notfälle kümmern müssten.

Hat Sie das verärgert?

Sofia: Da waren wir schon enttäuscht, aber irgendwie haben wir es auch verstanden. In Tel Aviv waren wir viel sicherer als Deutsche, die sich gerade am Gazastreifen befanden. In Tel Aviv funktioniert das Raketen-Abwehrsystem Iron Dome ziemlich gut. Außerdem hatten wir ja unseren regulär gebuchten Flug nach Ankara am Montag und die Hoffnung, dass dieser nicht annulliert wird.

Was dann tatsächlich auch geklappt hat.

Klara: Ja, wir waren so froh, als wir endlich im Flieger saßen. Andere hatten da nicht so viel Glück. Im Hostel haben wir mitbekommen, dass Bekannte von uns vier verschiedene Flieger in Nachbarländer gebucht hatten, die dann alle nicht gegangen sind. Zu horrenden Preisen. Einer hat 700 Euro für einen Flug nach Zypern bezahlt. Die Airlines haben die Not der Touristen schamlos ausgenutzt.

Sofia: Aber alle wollten einfach raus, egal wohin.

Wie geht es Ihren Bekannten aus dem Hostel? Haben Sie noch Kontakt zu Ihnen?

Klara: Ja, über eine Whatsapp-Gruppe. Als wir das Hostel am Montag verlassen haben, waren von den rund 100 Gästen nicht mehr viele da.

Wie blicken Sie jetzt auf die Situation in Israel?

Sofia: Wir verfolgen intensiv die Nachrichten. Dadurch, dass wir das alles miterlebt haben, sind wir da auch involviert. Wir haben Leute kennengelernt, die nun eingezogen werden. Das macht uns sehr betroffen.

Klara: Wir sind sehr froh, dass wir wieder daheim sind, aber es fühlt sich auch komisch an, dass Bekannte von uns noch in Gefahr sind.

Sofia: Es ist so schrecklich, was die Hamas da angerichtet hat. Wir fühlen mit allen Opfern gleichermaßen, sowohl auf der Seite Israels als auch mit den unschuldigen Palästinensern im Gazastreifen, die von der Hamas als Schutzschild missbraucht werden.

Was hat diese Erfahrung mit Ihnen gemacht?

Klara: Uns war natürlich schon bewusst, dass mit unserer Reise nach Israel ein gewisses Risiko einhergeht. Aber das Ausmaß der Gefahr war uns nicht klar. Uns ist noch deutlicher bewusst geworden, wie dankbar wir sein müssen, in Frieden leben zu können. Interview: ALEXANDRA ANDERKA

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