Hilferuf der Behörden

von Redaktion

Immer rücksichtloser, immer dreister: So betreiben Menschen-schmuggler ihr mieses Geschäft in der Region Rosenheim. Der Schleuser-Boom setzt die Behörden unter Druck. Die Justiz will nun zurückschlagen.

Rosenheim/Traunstein – Es wird geschleust, dass die Mühlen der Behörden zu blockieren drohen: Nach Auskunft der Staatsanwaltschaft Traunstein belasten die jüngsten Aktivitäten von Schleuserbanden Ermittler und Ankläger zusehends. Der Grund: Die Zahl der Verbrechen wächst, die Zahl der Verbrechensbekämpfer aber nicht in nötigem Maße.

Drei zusätzliche Staatsanwälte seien der Dienststelle in Traunstein angekündigt worden. „Aber das reicht bei weitem nicht aus, um die Belastung dieser sehr aufwendigen Verfahren angemessen bewältigen zu können“, sagt Sprecher Dr. Rainer Vietze. Weitere Unterstützung ist noch ungewiss, sie sei Gegenstand der Haushaltsverhandlungen, heißt es aus dem bayerischen Justizministerium.

Fall in Ampfing als
trauriger Höhepunkt

Jüngstes Beispiel für die neue Bedrohungslage ist der katastrophale Ausgang der Fluchtfahrt am vergangenen Freitag (13. Oktober): Sieben Menschen mussten sterben, als ein Menschenhändler bei seiner Flucht einen Unfall baute. Rücksichtloser und aktiver denn je, so agiert derzeit die Schleuserszene an der Grenze zu Oberbayern. Allein vergangenes Wochenende griff die Bundespolizei Rosenheim 250 Migranten auf. Diese Welle muss Konsequenzen für die Personalausstattung der Behörden haben, finden die Beamten in Traunstein.

„Wenn die Ausländer-Delikte zunehmen, müssen wir das organisatorisch in den Griff bekommen“, sagt Vietze. Wenn bei der Polizei zusätzliche Stellen geschaffen werden, sei es zwingend, dass auch bei der Staatsanwaltschaft aufgestockt werde. Denn: „Mehr Kontrollen, das bedeutet auch mehr Verfahren.“

Vor allem sind die Verfahren eines: aufwendig. Auch die Ermittlungen zu dem Horror-Crash auf der A94 bei Ampfing werden sich lange hinziehen, betont Vietze. Die Gründe dafür sind vielfältig, angefangen damit, dass es um die Person des 24-jährigen Unfall-Fahrers offene Fragen gibt. Er gilt noch als staatenlos, sein letzter Wohnsitz ist aber Wien gewesen. „Da müssen wir anknüpfen, um weitere Aufschlüsse zu seiner Person zu erhalten.“

Schwierig sind die Nachforschungen aber auch deswegen, weil sich die Behörden im Kampf gegen den Menschenhandel nicht mit kleinen Fischen zufrieden geben wollen. „Unser Ziel ist es, auch die Hintermänner zu ermitteln“ , sagt Vietze. Diese Strippenzieher sitzen meist im Ausland, sind also eine Angelegenheit für das „Traunsteiner Modell“: die Abteilung 6, die Verbrechern grenzübergreifend nachspürt. In den vergangenen Monaten sorgte die Spezialabteilung mit Schlägen gegen Anruf-Betrüger für Aufsehen.

Warum der Vorwurf
auf Mord lautet

Eine weitere Herausforderung: Die Justiz geht mit hohem Einsatz an den Fall heran. Denn der Vorwurf gegen den 24-jährigen Fahrer lautet auf Mord. Und zwar auf Mord in sieben Fällen, neben versuchtem Mord in 15 Fällen und anderen Vergehen. Das Mordmerkmal, das die Ermittler dem Schleuser unterstellen: Verdeckung. Der 24-jährige Fahrer wollte sich demnach nicht nur dem Zugriff der Polizei entziehen. Vor allem habe er seine Beteiligung am Verbrechen der Schleuserei verhehlen wollen – und zwar „zu jedem Preis“, wie Vietze unterstreicht. Der ermittelnde Staatsanwalt habe bei dem Staatenlosen einen „bedingten Tötungsvorsatz“ erkannt.

Was das ist, erklärt der Bundesgerichtshof in einem Urteil aus dem Jahr 2021 so: „Bedingter Tötungsvorsatz ist gegeben, wenn der Täter den Tod als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt und dies billigt oder sich um des erstrebten Zieles Willen zumindest mit dem Eintritt des Todes eines anderen Menschen abfindet.“

Todesfahrt mit
Ankündigung

Laienhaft ausgedrückt: Dem Fahrer des Transporters soll es vollkommen egal gewesen sein, dass er mit seiner Harakiri-Fahrt die ihm anvertrauten Migranten in akute Lebensgefahr brachte. Der Todesfahrer sei gerast und habe immer wieder höchst riskante Manöver eingeleitet. Die Menschen im Frachtraum seien nicht gesichert, das Auto zu schwer gewesen, erklärte Vietze. Das Risiko der tödlichen Verletzung seiner Passagiere habe der Mann in Kauf genommen.  

22 Migranten, Menschen aus Syrien oder der Türkei, waren an Bord des Transporters. Über den Zustand der Überlebenden waren zu Beginn der Woche keine genauen Aufschlüsse zu erhalten. Die Verletzten seien in die umliegenden Krankenhäuser gekommen. Darunter seien Schwerstverletzte, bei denen längst noch nicht feststehe, dass sie ganz gesunden werden, teilte Stefan Sonntag vom Polizeipräsidium Oberbayern Süd auf OVB-Anfragen mit. In Altötting und Mühldorf werden fünf Verletzte versorgt, sagte Mike Schmitzer vom Inn-Klinikum-Verbund. Sie seien außer Lebensgefahr.

„Wir gehen gegen die Schleuser und ihre Hintermänner weiterhin sehr hart vor. Wir wollen so Menschenleben schützen und Straftätern das Handwerk legen“, sagte nach dem Unfall von Ampfing der Leitende Traunsteiner Staatsanwalt Dr. Wolfgang Beckstein in einer Reaktion auf den Unfall von Ampfing.

Dass die Justiz Zähne zeigen kann und sich der 24-Jährige nach Abschluss der Ermittlungen möglicherweise wegen Mordes verantworten muss, liegt auch an den bitteren Raser-Prozessen der vergangenen Jahre. Im Juni 2020 fällte der Bundesgerichtshof eine wegweisende Entscheidung. Seitdem können Raser, die den Tod Unschuldiger verursachen, in bestimmten Fällen wegen Mordes belangt werden.

Wie der Staat Rasern
den Kampf ansagt

Damit sagt die Justiz illegalen Autorennen den Kampf an. Als ein solches ist nach Ansicht der Staatsanwaltschaft in Traunstein übrigens auch die Todesfahrt von Ampfing zu bewerten – und zwar als Rennen gegen die Uhr. Zwar habe die Polizei großen Abstand zu dem Transporter gehalten, den Schleuser also nicht unter Druck gesetzt. Doch der habe dennoch größtmögliches Tempo aufgenommen. „Wer so grob verkehrswidrig und rücksichtslos fährt, kann sich eines Illegalen Kraftfahrzeugrennens schuldig machen“, erklärt Vietze: „eines so genannten Alleinrennens“.

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