Ampfing/Traunstein/Rosenheim – „Wir jagen niemanden!“, betont Jan Pfeil, stellvertretender Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Er war sechs Jahre Schleierfahnder, hat selbst erlebt, wie sich Menschen einer Kontrolle durch Flucht entziehen wollen – so wie der 24-jährige Schleuser am vergangenen Freitag auf der A94. Der raste mit bis zu 180 Kilometern pro Stunde in seinem Mercedes Vito mit 23 Insassen über die A94, vollführte waghalsige Fahrmanöver, wie ein unautorisiertes Video zeigt, ehe er sich mit seinem überladenen Auto in der Ausfahrt bei Ampfing überschlug: Sieben Menschen starben, darunter ein sechsjähriges Kind (wir berichteten).
Verfolgungsfahrten
sind intensiv geschult
Verfolgungsjagden wie im Kino gebe es nicht, so Sonntag. „Eine Verfolgungsfahrt unterliegt immer einer hohen Dynamik, mit einem entsprechend hohen Gefährdungspotenzial“, das sei allen Beamten „jederzeit“ bewusst. Wenn die Polizei die Verfolgung aufnehme, dann achte sie „immer auf die Sicherheit und Ordnung“, betont Polizei-Gewerkschafter Pfeil: „Wir schützen Leib und Leben Dritter.“ Das ist auch dem Video-Clip zu entnehmen: Die Polizei folgt dem Mercedes zwar mit Blaulicht, aber in einem Abstand von 150 bis 200 Metern; abzulesen an den Leitpfosten am Straßenrand. In welcher Form und wie intensiv die Polizei einem Flüchtigen folge, „hängt von vielen Faktoren ab“, so Gewerkschafter Pfeil: Tageszeit, Straßenbelag, Art der Straße, Witterung, Verkehr. Die Beamten seien „in Theorie und Praxis“ geschult, so Pfeil. Zudem gebe es interne Regeln und Vorschriften, erklärt Polizeisprecher Sonntag, die bereits in der Ausbildung vermittelt werden. Unfälle wie der auf der A94 sind auch für die Beamten einschneidende Ereignisse. „Das hört mit dem Unfall nicht auf“, hat Pfeil selber erfahren.
Seelsorger helfen
betroffenen Beamten
Zum Zustand der betroffenen Beamten wollte Jan Polte, Pressesprecher der Bundespolizei in Freilassing, keine konkreten Angaben machen. Nur so viel: Es gehe ihnen so weit gut und sie werden betreut – unter anderem von der katholischen Seelsorge. „Jeder Mensch geht anders mit der Situation um“, weiß auch Sonntag.
„Wenn viele solche Gefahrenfahrten stattfinden, ist das Risiko, dass es zu einem Schaden kommt, höher“, erklärt Polizeisprecher Sonntag. Unfälle infolge von Verfolgungsfahrten kämen, so Bundespolizist Polte, immer wieder vor. Immer öfter sei zu beobachten, dass Flüchtende einfach aus dem Auto springen und zu Fuß flüchten, während das Fahrzeug unkontrolliert weiterfahre.
Die Zahl der Schleusungen hat zuletzt laufend zugenommen. 2019 verzeichnete die Staatsanwaltschaft Traunstein 273 Fälle. Dieses Jahr sind es bereits 557. „Die Monate mit den meisten neuen Schleusungsverfahren sind erfahrungsgemäß Oktober bis Dezember. Zudem liegen bei der Bundespolizei aufgrund der aktuellen Krise noch viele kleinere unbearbeitete Schleusungen, die der Staatsanwaltschaft Traunstein bisher noch nicht vorgelegt wurden“, deutet Rainer Vietze, Sprecher der Staatsanwaltschaft Traunstein, noch höhere Zahlen an. Zuletzt hat die Politik mehr Grenzkontrollen angekündigt. Damit allein sei es jedoch nicht getan, so Gewerkschafter Pfeil.
Hoffen auf mehr
Stellen in Bayern
„Es braucht auch nach hinten raus mehr Personal: bei der Kripo, bei den Staatsanwaltschaften, bei den Gerichten. Mehr Kontrollen führen zu mehr Verfahren, und die liegen am nächsten Tag mehr auf dem Tisch.“ Die durchschnittliche Arbeitsbelastung der Staatsanwälte in Traunstein liege derzeit bei mindestens 160 Prozent, rechnet Staatsanwalt Vietze vor: „Das entspricht 64 Arbeitsstunden pro Woche. Mit mehr Personal bei den Staatsanwälten und im Unterstützungsbereich könnte auch die Schleuserkriminalität noch wirksamer bekämpft werden. Wir hoffen, dass dies bei den nächsten Haushaltsverhandlungen im Freistaat Bayern angemessen berücksichtigt wird.“
Jörg Eschenfelder