Wasserburg – Wenn man sie fragt, wo ihre Heimat ist, muss Dana Westner nicht lange überlegen. Israel. Eine Heimat, die sich im Kriegszustand befindet. Eine Heimat, die sie Hals über Kopf verlassen musste. Eine Heimat, die sie nur mit Glück lebend hinter sich lassen konnte. Westner wäre beinahe beim Supernova-Festival dabei gewesen, dem Festival, bei dem über 260 Menschen durch die Hamas getötet und mehrere Personen verschleppt wurden.
„Ich wollte unbedingt dort bleiben“
2019 fand Westner dort ihr Zuhause. Geboren wurde sie in Wasserburg, ihre Eltern leben in der Burgau. Für ein Auslandssemester ging es Ende 2019 nach Tel Aviv. Westner verliebte sich in das Land. Die Kultur und die Menschen dort hätten es ihr angetan. „Die Leute dort sind einfach herzensgut“, sagt sie. Der Zusammenhalt in Israel habe sie beeindruckt. Schnell habe sie eine enge Freundesgruppe gefunden – ihre Familie in Israel, wie sie sie nennt. Sie sind der Hauptgrund, warum Westner das Land im Nahen Osten heute als ihre Wahlheimat ansieht.
Schon nach dem Auslandssemester wäre sie am liebsten dort geblieben, doch Corona machte ihren Plan zunichte. Sie kam zurück, beendete ihr Studium der Psychologie und Erziehungswissenschaft. In ihren Urlauben besuchte sie Israel, immer mit dem Hintergedanken, eines Tages dort zu bleiben. Im April entschloss sich die 32-Jährige schließlich, den Plan umzusetzen. „Bis August war ich als Volunteer-Workerin am See Genezareth“, erzählt sie. Gegen Unterkunft und Aufwandsentschädigung arbeitete sie dort mit Kindern. Dann zog sie nach Tel Aviv, in der Hoffnung, eine Arbeit und ein Visum zu erhalten. Nicht ganz einfach, als Person ohne jüdische Wurzeln, wie Westner erzählt. „Aber ich wollte unbedingt dort bleiben.“ Weil sie sich hier daheim fühle. Vor allem aber der Freunde wegen.
Sie sind Teil der Trance-Musik-Szene. Techno-Musik, die auch auf dem Supernova-Festival gespielt wurde. Beinahe wäre sie dort dabei gewesen. Nur durch Zufall besuchte die Truppe die Feier dann nicht. „Ein Freund von mir wollte nicht hin. Das Festival war ihm zu mainstream.“ Also zu konventionell, zu „normal“. Am 7. Oktober war sie deshalb auf einer anderen Party in Tel Aviv. Drei Stunden nach der ausgelassenen Feier brach in Israel die Welt zusammen.
Westner war in ihrer Wohnung, als die Hamas im Land einfiel. „Ich bin vom Raketenalarm aufgewacht“, erzählt sie. Zuerst habe sie sich nicht viel gedacht. Sirenenalarm sei in Tel Aviv zwar nicht so gängig wie im Süden des Landes. „Aber es passiert.“ Erst die Nachrichten ihrer Freunde, die ihr Handy fluteten – „Wo bist du?“, „Hast du den Alarm gehört?“, „Ist alles ok bei dir?“, „Du musst in den Bunker!“ – hätten ihr eine Ahnung gegeben, dass etwas Größeres im Gange ist.
90 Sekunden habe man in Tel Aviv Zeit, sich in die Schutzräume zu begeben, so ist das Frühwarnsystem ausgelegt. Sie erzählt, wie sie an diesem 7. Oktober ihre Schlüssel packte und in den geschützten Keller ihres Hauses ging. „Im Bunker fühlt man sich sicher“, sagt sie. Natürlich höre man ab und an einen lauten Knall, wenn die Bomben einschlagen würden. „Aber dort unten passiert einem nichts.“ Nach zehn Minuten könne man die Schutzräume meist wieder verlassen.
Dann der nächste Schock, als klar wurde: Die Hamas ist ins Land eingedrungen. Israel befindet sich im Kriegszustand. Freunde bieten Westner an, sie mit nach Givat’Ada, einem kleinen Dorf nördlich von Tel Aviv, zu nehmen. Ein Beispiel, wie Westner findet, für die „unglaubliche Fürsorge und den Zusammenhalt“, der in Israel herrsche. Man schaue aufeinander.
Dort angekommen, wird ihr das Ausmaß des Terrors bewusst. Westners Freundeskreis hatte Glück: Keiner aus der Clique war auf dem Supernova-Festival. Bekannte jedoch werden vermisst. Freunde von Westners Gruppe sind nicht mehr erreichbar. In den sozialen Medien werden Videos geteilt, die das Gemetzel zeigen. Westner und ihre Freunde schauen sie alle an. „Es war die einzige Möglichkeit herauszufinden, ob bekannte Leute unter den Opfern sind.“ Aus der Befürchtung wird in den nächsten Stunden traurige Gewissheit: Einige der Vermissten sind von der Hamas hingerichtet worden, berichtet sie.
Für Westner ist es deshalb unvorstellbar, dass Teile der Gesellschaft die Terrorgruppe bejubeln und sie als Befreiungskämpfer für Palästina darstellen. „Das hat nichts mit Befreiungsschlägen zu tun“, sagt sie. „Wenn jemand so etwas behauptet, zieht sich bei mir alles zusammen.“ Die Hamas wolle Israel zerstören, sie misshandle und enthaupte Kinder, töte und vergewaltige Frauen. „Sie schert sich einen Dreck um die Zivilisten in Palästina, sondern verschanzt sich in deren Wohngebäuden, Schulen und Krankenhäusern“, sagt Westner. „Mir ist wichtig, dass jeder versteht, dass es völlig egal ist, ob man pro Israel, pro Palästina oder beides ist, aber dass alle geschlossen gegen die Hamas auftreten müssen.“
Seit knapp einer Woche ist sie wieder in Wasserburg – ihren Eltern zuliebe. „Ich selbst habe nie an das Ausreisen gedacht“, sagt sie. Viel lieber würde sie in Israel helfen, ihren Freunden beistehen. „Aber vor allem meiner Mutter ging es immer schlechter. Sie hat sich große Sorgen gemacht.“ Am 11. Oktober sei sie deshalb auf Bitten ihrer Eltern in eine Evakuierungsmaschine des Auswärtigen Amtes gestiegen. „Es hat mich innerlich zerrissen“, sagt sie. Drei ihrer Freunde seien vom Militär eingezogen worden. „Die Hamas ist im Land. Ich weiß nicht, ob ich die Leute je wiedersehen werde.“ Trotz allem ist für Westner jedoch klar: Sie will zurück, nach Israel, nach Tel Aviv. „Sobald es geht, steige ich in den Flieger“, sagt sie. Denn dort sei schlicht ihre Heimat.