„Von der Aussage des Zeugen am Dienstag hängt viel ab“

von Redaktion

Interview Nebenklägeranwalt Walter Holderle über den Prozess um den Mord an Hanna W. – „Absolute Tortur“ für die Eltern

Aschau/Traunstein – Die Schulfreundin des Angeklagten verwickelte sich im Prozess um den Mordfall Hanna vor der Zweiten Jugendkammer am Landgericht Traunstein in Widersprüche. Sie hatte der Polizei angegeben, dass Sebastian T. (21) schon am Tag von Hannas (†23) Tod Wissen preisgegeben habe, das nur der Täter haben könne. Doch am vierten Verhandlungstag konnte sie sich daran nur noch teilweise erinnern. Während für ihre weitere Befragung ein neuer Termin gefunden werden muss, steht eine möglicherweise wichtige Vorladung bereits fest: Am Dienstag, 24. Oktober, soll ein Mithäftling Sebastian T.s aussagen. Er hat angegeben, dass Sebastian T. ihm gegenüber die Tat eingeräumt habe. Der Rosenheimer Rechtsanwalt Walter Holderle vertritt die Familie von Hanna W. als Anwalt der Nebenklage. Wie Hannas Eltern den Auftritt der Zeugin erlebten. Und was er sich vom nächsten Prozesstag am Dienstag, 24. Oktober, erwartet, sagte Walter Holderle dem OVB.

Die Aussagen der Schulfreundin von Sebastian T. waren mit Spannung erwartet worden. Und sie enttäuschten. Warum sagte die Zeugin vor Gericht etwas anderes als in den Vernehmungen durch die Polizei im November 2022?

Ich glaube nicht, dass das bewusst war. Es gibt da diese Art von Prüfungsversagen, und ich glaube, dass es bei ihr tatsächlich so war. Sie hat nichts mehr rausgebracht, weil sie mit der Situation überfordert war: Sie begegnet einem ganz speziellen Freund wieder, wobei sie weiß, dass es für diesen im Verfahren um sehr viel geht, und sie hat mit dem Gericht, den Verfahrensbeteiligten und den Zuschauern ein Auditorium, das sie nicht gewohnt ist.

Sie wirkte angefasst, weinte – ist das nachvollziehbar?

Aus meiner Sicht ja – wenn ich mich in ihre Situation versetze.

Auf der anderen Seite sehe ich die Eltern von Hanna, die Fassung bewahren.

Eine absolute Tortur. Aus dem Grund, weil die Eltern unverändert nach Wahrheit und Klarheit streben. Die wollen hören, was war. Und wenn sie dann eine solche Zeugenaussage hören, wo der Zeugin alles aus der Nase gezogen werden muss, wo die Zeugin sich an nichts mehr von dem erinnert, was sie eigentlich im Gedächtnis behalten müsste – dann ist das für die Eltern eine Katastrophe. Ich habe heute gemerkt, wie die Eltern gelitten haben. 

Anwesend sind auch die Angehörigen des Angeklagten. Die scheinen ihm Rückhalt zu geben. An Tag vier sah er lebendiger aus als am dritten Tag der Verhandlung.

Das stimmt. Was da im Hintergrund abläuft, weiß ich nicht. Das wäre Spekulation. Aber dass Einflussnahme von Familienmitgliedern und vom persönlichen Umfeld beim Angeklagten eine Rolle spielt, das glaube ich schon. 

In einer Sprachnachricht an Menschen ihres persönlichen Umfelds sprach die Zeugin davon, dass sie Sebastian T. „fett in Schutz genommen“ habe. Wie beurteilen Sie diese ominöse Nachricht?

Das ist ein ganz wesentlicher Aspekt. Darum hat das Gericht das auch nochmals ausdrücklich und mit Recht aufgegriffen, weil man mutmaßen kann, dass die Polizei da gezielt nicht in vollem Umfang informiert worden ist. Das lässt einen stutzen.

Was erwarten Sie sich von der Aussage des Untersuchungshäftlings am Dienstag? Ihm gegenüber soll Sebastian T. die Tat eingeräumt haben.

Das wird meines Erachtens eine wesentliche Aussage sein. Was Sebastian T. der Familie der Zeugin gegenüber gesagt hat – ja gut, ich war‘s –, das kann man vielleicht noch theoretisch als Scherz abtun. Was er aber gegenüber dem Mithäftling geäußert hat, das ist mit Sicherheit nicht als Scherz abzutun. Das war diese Konstellation, wenn man im Knast zusammensitzt und jeder vom andern wissen will, wieso er sitzt. Ich glaube schon, dass er da jemanden in persönliche Umstände eingeweiht hat, die für das Verfahren ganz wesentlich sind.

Richterin Aßbichler hat der Polizei einen Ermittlungsauftrag gegeben: nach weiteren Häftlingen zu suchen, die mit Sebastian T. Kontakt gehabt haben können. Wird damit die Tortur für die Familie von Hanna verlängert?

Definitiv. Aber es hängt natürlich viel von der Aussage des Zeugen am Dienstag ab. Wenn die Zeugenaussage da ist, wird sie mit Sicherheit von der Verteidigung angegriffen werden. Das Gericht wird also zur Untermauerung auch nachprüfen, ob es diese explizite Aussage auch an andere Häftlinge gegeben hat. Oder inwieweit zumindest im Kreise der Mithäftlinge bekannt war, dass es eine solche Aussage gegeben hat.

Interview: Michael Weiser

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