Aschau/Traunstein – Konnte die junge Frau, die Sebastian T. noch aus Schulzeiten kennt, sich nicht an die verräterischen Äußerungen des Angeklagten erinnern, oder wollte sie nicht? Im Prozess um den Mord an Hanna W. aus Aschau brachte die zweite Prozesswoche (16. bis 22. Oktober) überraschende Wendungen. So wurde bekannt, dass ein neuer Zeuge aussagen will. Er kann, so heißt es seitens der Staatsanwaltschaft, den Angeklagten Sebastian T. schwer belasten. Was Harald Baumgärtl, Verteidiger von Sebastian T., vom Auftritt der Schulfreundin hält. Und wie er den neuen Zeugen, einen Mitgefangenen des Angeklagten, einschätzt.
Konnten Sie sich ausrechnen, dass die mit Spannung erwartete Zeugin am vierten Prozesstag eher, nun ja, vage bleiben würde?
Das wusste ich nicht. Ich wusste nur, dass es schwierig werden würde.
Die Aussage vor Gericht fiel anders aus als vor elf Monaten bei der Vernehmung durch die Polizei. Ist das durch Erinnerungslücken allein zu erklären?
Ich kann das nicht beurteilen. Ich habe die Zeugin heute (am vierten Prozesstag, 19. Oktober Anm. der Red.) zum ersten Mal gesehen. Jedenfalls kann ich nicht erkennen, dass sie den Angeklagten besonders schützen würde, wie es mehrmals hieß. Sie hat sich vielmehr zwischendrin schon immer wieder an Dinge erinnert, die den Angeklagten belasten.
Mit Aussagen, die sich manchmal so anhören, als habe sie Aussagen von Schwester und Mutter nachgesprochen.
Das steht zu befürchten. Wenn es lediglich um ganz einfache Sachverhalte ginge, kann man Erinnerungsverluste nachvollziehen, nicht aber bei entscheidenden Sachverhalten bei einem Tötungsdelikt.
Die Zeugin sagte bei der Polizei aus, dass Sebastian T. Täterwissen geäußert habe. Was könnte sie danach mit der rätselhaften Sprachmitteilung an die Mutter und Bekannte gemeint haben: Sie habe Sebastian „fett“ in Schutz genommen?
Ich kann mir durchaus vorstellen, dass bei der nächsten Vernehmung das die einleitende Frage der Vorsitzenden sein wird.
.Am Dienstag förmlich mit den Kräften am Ende, am Donnerstag belebter: Wie geht‘s dem Angeklagten?
Das ist schwer zu beantworten. Es ist schwer, in ihn hineinzuschauen. Er ist juristischer Laie. Wie in jedem Strafprozess erlebt man Augenblicke, in denen es gut aussieht, und Augenblicke, in denen es schlecht aussieht. Und damit lassen sich möglicherweise seine Stimmungsschwankungen erklären.
Wie schätzen Sie den Überraschungszeugen ein, der am Dienstag aussagen soll?
Ich kann es nicht sagen, ich kenne ihn nicht, ich kenne nur die schriftliche Aussage, weiß aber nicht, wie vertrauenswürdig er ist. Bei Knastzeugen musst du immer aufpassen. Im Knast wird viel gequatscht, es wird auch viel Falsches gequatscht, und es gibt immer welche, die sich mit solchen Aussagen Vorteile verschaffen wollen. Die Richterin will auch, dass die Polizei Mitgefangene in der JVA befragt.
Wie sehr könnte dieser Ermittlungsauftrag den Prozess in die Länge ziehen?
Es kommt ganz drauf an. Wir haben eine Soko „Club“, die in dem Sinne ja noch besteht. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass der Beamte, der hier schon als Zeuge ausgesagt hat, bereits mit ein paar Kollegen in die JVA gegangen ist, sich eine Liste der in Betracht kommenden Gefangenen besorgt hat und sie dann befragt. Es wird dann einen entsprechenden Bericht geben. Dann wird man sehen, ob er noch mit weiteren Personen über den Fall Hanna gesprochen hat.
Es sei denn, Sebastian T. gesteht.
Oder auch nicht. Wir wissen es nicht, wir alle waren nicht dabei. Niemand weiß, was passiert ist. Außer dem Täter. Dieser kann Sebastian T. sein, muss es aber nicht. Da drehen wir uns im Kreis. Wenn wir etwas sehen, was in die falsche Richtung geht, intervenieren wir Verteidiger. Wie vorhin (am vierten Prozesstag, 19. Oktober, Anm. der Red.) bei der Belastungszeugin. Wenn ihre Aussage unterbrochen wird, ist das eine Sache. Wenn dann aber gleich die Beamten angehört werden sollen, die sie vernommen haben: Dann braucht sich die Zeugin gar nicht mehr erinnern. Dann kann sie gleich im OVB nachlesen, was sie gesagt haben soll. Das ist die Herausforderung für einen Strafverteidiger: Du musst jede Zehntelsekunde aufpassen.
Interview: Michael Weiser