Aschau/Traunstein – Sebastian T. hat gegenüber den Ermittlern und dem Gericht immer geschwiegen. Über die Gewalttat, der Hanna W. am 3. Oktober 2022 zum Opfer fiel, sagte er den Behörden in all den 340 Tagen seit seiner Verhaftung kein Wort. Doch einem heute 23-jährigen Mithäftling soll er sich noch während seiner ersten Wochen in Untersuchungshaft als Täter offenbart haben. Der Haftgenosse sagte gestern vor der Zweiten Jugendkammer des Landgerichts aus.
Gespräch beim
Watten
Demnach habe ihm Sebastian T. zwischen Weihnachten und Neujahr 2022 zunächst gesagt, dass er wegen des „Mordes vom Eiskeller“ in U-Haft sitze. In einer späteren Unterhaltung während des „Aufschlusses“ – für eine Stunde am Tag werden die Zellen aufgeschlossen, sodass Häftlinge auch ihre Nachbarn besuchen können – habe sich Sebastian T. dann zur Tat geäußert.
Der Zeuge sagte aus, dass er mit Sebastian T. Karten gespielt habe, genauer: Watten. Dabei habe Sebastian T. ihm gesagt, dass er Hanna W. in den frühen Morgenstunden des 3. Oktober 2022 bewusstlos geschlagen habe, „damit sie sich nicht wehren kann“. Danach habe er, so habe T. ihm erzählt, die junge Frau ins Wasser geworfen. Er habe auch zugegeben, dass er „sexuelle Interessen“ an Hanna W. gehabt habe. Von diesem brisanten Gespräch mit dem Angeklagten berichtete der Zeuge aber erst Montag vor einer Woche Beamten der Rosenheimer Kripo.
Dass er die junge Aschauerin tatsächlich missbraucht habe, davon habe Sebastian T. aber nichts gesagt. In der eingehenden Befragung entlockte die Vorsitzende Richterin dem Zeugen ein wichtiges Detail. Der 23-Jährige sagte aus, dass Sebastian T. ihm Folgendes erzählt habe: Es seien in dem Fall „hundertprozentig keine DNA-Spuren“ gefunden worden.
Tatsächlich hat die Polizei sich darüber in der Öffentlichkeit nie geäußert. In der Presse sei davon auch nichts zu lesen gewesen, hielt Richterin Aßbichler fest. Von der Abwesenheit genetischer Fingerabdrücke hätte aber zum Beispiel ein mutmaßlicher Täter ausgehen können. Jemand, der wusste, dass Hanna zwölf Stunden im Wasser gelegen hatte. Und der seine Kleidung von der Tatnacht gründlich gewaschen und damit Blutflecken für eine forensische Zuordnung unbrauchbar gemacht haben könnte.
Es ist eine gravierende Aussage, deren endgültiges Gewicht aber von der Glaubwürdigkeit des Zeugen abhängt. Und die versuchten die Strafverteidiger Harald Baumgärtl und Dr. Markus Frank zu erschüttern. Etwa, indem sie fragten, warum der Zeuge sich mit seiner Meldung zehn Monate Zeit gelassen habe. Er habe die Angelegenheit schon „weggesteckt“ und abgehakt gehabt, sagte der Zeuge. Als Kind sei er missbraucht worden, die Anzeigen, die er gestellt habe, seien aber immer wieder fallengelassen worden. „Auch ein Grund, warum ich mir dachte, ich sag nichts“, sagte er vor Gericht: „Weil es keinen Sinn macht.“
„Kein Deal mit der
Staatsanwaltschaft“
Naheliegend bei einem Zeugen aus der Untersuchungshaft ist die Frage nach dem Grund für seine Aussage. Setzt er auf Strafminderung in seinem eigenen Prozess, ebenfalls anberaumt unter dem Vorsitz von Jacqueline Aßbichler? „Strafreduzierung wäre auch gut, ja“, sagte er. Aber er betonte auch, dass es keinen „Deal“ mit der Staatsanwaltschaft gebe. Ein Motiv sei, dass ihn das Gespräch belastet habe. Er sei bereit, seine Aussage zu beeiden.
Der Zeuge schilderte Sebastian T. als oft geknickten, zurückgezogenen Menschen. Er habe erzählt, von Frauen stets zurückgewiesen und gedemütigt worden zu sein: „Er ist keiner, der prahlt mit dem, was er getan hat.“ Trotzdem muss er, falls seine Aussage stimmt, das Vertrauen von T. erlangt haben. Vielleicht wegen seiner Offenheit. Der Zeuge berichtete, dass zunächst er dem Angeklagten gebeichtet habe – dass er wegen eines Sexualdelikts in U-Haft sitze.
Verlesen wurde auch eine Beurteilung von Sebastian T. seitens des zuständigen Justizbeamten der JVA Traunstein. Der 21-Jährige biete als Hilfsarbeiter eine „ordentliche Arbeitsleistung“ und sei zuverlässig. Er sei ein ruhiger, zurückgezogener junger Mann, ein Einzelgänger mit wenigen Kontakten, ein Häftling, der keinerlei Gefühlsregungen zeige.
Doch kommt das Porträt des Angeklagten nicht ohne Widersprüche aus. Trotz seines Gleichmuts sei dem Gefangenen die Belastung durch die Hauptverhandlung anzumerken; ihm würden Antidepressiva verabreicht. Der Justizbeamte schrieb überdies von einem Ausraster des Angeklagten bei einem psychologischen Betreuungsgespräch. Auf eine Begebenheit in seiner Vergangenheit angesprochen, habe er mit solcher Wucht gegen die Wand geschlagen, dass er sich eine Fraktur an der rechten Hand zuzog. Von einem möglichen Ausraster von Sebastian T. hatte bereits eine Schulfreundin gesprochen, die seine Drohung mit einem Taschenmesser aber wohl zunächst als Scherz abgetan hatte.
Die Beurteilung aus dem Untersuchungsgefängnis erwähnten außerdem die Angehörigen als T.s engste Bezugspersonen. Doch scheint das Verhältnis auch da nicht immer reibungslos zu sein. Auch der Zeuge aus dem Gefängnis wusste von Meinungsverschiedenheiten des 21-Jährigen etwa mit der Mutter zu berichten. Sebastian T. habe angegeben, nicht einmal seine Mutter glaube an seine Unschuld.
„Viele Fragen
offen“
Strafverteidiger Harald Baumgärtl kündigte eine genaue Prüfung der Angaben des Zeugen an. „Bei Zeugen aus dem Gefängnis, die nach zehn Monaten Angaben machen, sind viele Fragen offen“, sagte Baumgärtl und sprach damit das lange Zögern des Zeugen an, der T.s Eingeständnis am Jahresende 2022 gehört haben will. Zudem habe er bei der polizeilichen Vernehmung dreimal angegeben, dass Sebastian T. nicht vorgehabt habe, die junge Frau zu töten. „Erstaunlich, dass er sich heute nicht daran erinnern konnte.“
Der Vertreter der Nebenkläger, Walter Holderle, sieht einen Angeklagten, der als Antwort auf den Vertrauensvorschuss des Zeugen „sein Herz geöffnet hat“. Die Angaben des 23-Jährigen hierzu seien „sehr, sehr glaubwürdig“. Seinen Grund für sein Zögern und sein Motiv, letztlich doch auszusagen, habe der Zeuge „nachvollziehbar“ dargelegt. Es sei verständlich, dass Häftlinge einen Mitgefangenen nicht gerne anschwärzen. Andererseits sei er mit der Situation, Zeuge eines solchen Geständnisses geworden zu sein, nicht zurechtgekommen und habe deshalb aussagen wollen.
Fortsetzung am
2. November
Am 2. November wird der Prozess fortgesetzt. Dann kommt die Bergung Hannas am 3. Oktober aus der Prien zur Sprache. Tags darauf soll nochmals die engste Freundin des Angeklagten befragt werden. Sie hatte sich am vergangenen Donnerstag wohl aus schierer Überforderung in Widersprüche verwickelt. Ihr Rechtsbeistand Andreas Leicher aus Rosenheim hat die audiovisuelle Befragung der Zeugin beantragt, um ihr die direkte Konfrontation mit Sebastian T. zu ersparen.