Rott – „Rott rotiert!“, skandierte die Menge in der Bürgerversammlung zur geplanten Flüchtlingsunterkunft, lautstarke Buh-Rufe und wütender Protest begleiteten die Ausführungen des Landrats. Entsetzen war zu spüren, als bekannt wurde, dass sogar bis zu 500 Flüchtlinge kommen könnten. Aus einer Veranstaltung, die zeigt, wie machtlos Kommunen sind und wie verängstigt die Bürger.
Mietvertrag für
fünf Jahre bereits unterschrieben
Im Kreuzfeuer ihrer Kritik: der Landrat. Otto Lederer musste die wohl schwersten Stunden seiner Laufbahn hinter sich bringen. Er tat es souverän, doch die Anspannung angesichts der emotional aufgeladenen Stimmung war ihm trotzdem anzumerken. Denn es gab im großen Saal des Gasthofes Stechl andauernde scharfe Kritik an der Tatsache, dass das Landratsamt als staatliche Behörde in einer Gewerbehalle Am Eckfeld eine Ankunftseinrichtung für Flüchtlinge und Asylbewerber einrichten möchte. Der Mietvertrag für fünf Jahre ist bereits unterschrieben.
Fassungslosigkeit, die nach Bekanntwerden am 9. Oktober noch herrschte, ist bei vielen längst der Wut gewichen. Die Rotter wollen und werden die Pläne nicht hinnehmen. Erst recht nicht, nachdem bekannt wurde, dass der bald zu erwartende Bauantrag des Gebäudeeigentümers nicht für 250 bis 300 Menschen ausgerichtet ist, sondern für 500. Die Stimmung im Saal drohte zu kippen. „Wir sind das Volk!“-Ausrufe verdeutlichten, dass sich viele Rotter ein Gefühl der Ohnmacht nicht mehr gefallen lassen wollen.
Lederer bekräftigte gebetsmühlenartig, dass der Landkreis in der gesetzlichen Pflicht ist, die Migrationspolitik des Bundes umzusetzen. Als staatliche Behörde müsse das Landratsamt Flüchtlinge und Asylbewerber unterbringen, also vor Obdachlosigkeit bewahren. Auf dem freien Markt gebe es kaum infrage kommende Objekte, die Gewerbehalle in Rott sei das erste Angebot nach eineinhalb Jahren. Der Landkreis sieht hier die Chance, die Belegung der Turnhallen in Raubling und Bruckmühl zu beenden. Die Bürger sind sich mit Rathauschef Daniel Wendrock und dem Gemeinderat einig: Die Umwandlung der Industriehalle in eine Sammelunterkunft für Flüchtlinge stelle eine gravierende Fehlentscheidung dar. „Wir können und werden dies nicht hinnehmen“, so der Bürgermeister mit Nachdruck. Die Einrichtung überschreite die infrastrukturellen Möglichkeiten der Gemeinde. Auch wenn die Flüchtlinge in der Erstaufnahmeunterkunft nur etwa drei Monate bleiben sollten, bestehe die Gefahr, dass es länger dauere. Dann gebe es auch einen Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung und Schulbildung. Kita und Schulen seien in Rott jedoch zu 100 Prozent ausgelastet. Das gelte auch für die Kläranlage.
„Interkommunale Solidarität kann nicht heißen, dass eine Gemeinde allein den Großteil der Aufgaben auf ihre Schulter gedrückt bekommt“, findet Wendrock angesichts der Tatsache, dass Rott im Landkreis bald die höchste Anzahl an Flüchtlingen im Vergleich zur Einwohnerzahl aufweisen wird. Eine Sammelunterkunft für bis zu 500 Menschen auf 3000 Quadratmetern Fläche, ohne Freianlagen: Das ist für Wendrock auch nicht menschenwürdig.
Da seien Konflikte vorprogrammiert, zeigten sich viele der etwa 30 Redner überzeugt. Wasserburgs Polizeichef Markus Steinmaßl versuchte zu beruhigen. Er sprach von positiven Erfahrungen rund um die Sammelunterkünfte, wenn sie rund um die Uhr von Security-Kräften betreut würden, wie es in Rott geplant sei. Der Landrat sah sich wiederholt dem Vorwurf ausgesetzt, die Bürger in Rott im Stich zu lassen. Beim Freistaat und Bund müsse viel intensiver auf die Probleme der Landkreise und Kommunen hingewiesen werden, bemängelten einige den in ihren Augen fehlenden Durchsetzungswillen der Kommunen und Landkreise bei der Landes- und Bundespolitik. Der Landkreistag habe immer wieder seine Kritik an der Migrationspolitik vorgetragen, Resolutionen abgegeben, auf Lösungen gepocht, so Lederer.
Lösungsansätze seien da: etwa die Eindämmung der illegalen Migration, die Bekämpfung der Schleuserkriminalität, die Reduzierung der Pull-Effekte oder die Ausgabe von Zahlkarten statt Geldleistungen. Die Bundesregierung sei noch immer nicht bereit, ihre Einstellung gravierend zu ändern, bedauerte Lederer.
Die Verärgerung im Publikum war groß, als Lederer ausführte, dass der Bund es ablehne, die leer stehende Mangfall-Kaserne in Bad Aibling für eine solche Nutzung freizugeben. Diese Immobilie eignet sich nach Meinung vieler bedeutend besser als die Industriehalle in Rott. Auch das ehemalige Romed-Krankenhaus in Wasserburg, jetzt in Besitz des Landkreises, schlug eine Bürgerin vor.
Ex-Romed-Klinik
schon für längeren Aufenthalt vermietet
Das Gebäude sei an die Regierung von Oberbayern für eine Unterkunft vermietet worden, in der Asylbewerber und Flüchtlinge mit längerer Aufenthaltsdauer untergebracht würden, antwortete der Landrat. Ein Anlieger aus dem Gewerbegebiet fand, der Landkreis habe ausreichend Zeit gehabt, schlüssige Konzepte aufzustellen, jedoch versagt, was Rott jetzt ausbaden müsse.
Zur Sprache kam außerdem erneut Kritik an der Informationspolitik des Landkreises. Rotts Bürgermeister war über die Absichten des Landkreises nicht informiert worden. Der Landrat bestätigte, dass in diesen Fällen Kommunen nicht in die Vertragsverhandlungen eingebunden würden. Seien Dritte informiert, „kommen die Verträge in der Regel nicht zustande“, betonte Lederer.