München/Rosenheim – Er kennt sie alle. Kellner, Köchin, Chefin. Alle kennt er mit Vornamen. Und mit allen flachst er herum. Klaus Stöttner sitzt im dunkelblauen Anzug mit hellblauer Krawatte in der Gaststätte des Landtags und fragt nach dem Riesentrumm Leberkäs, das er im Gefrierschrank hat aufbewahren lassen. Der Laib war übrig geblieben vom Ausstand, den er zusammen mit dem Kollegen Weidenbusch gefeiert hat, mit 120 Freunden und Bekannten aus dem Landtag, Bier und eben Leberkäs. „Ja, der Leberkäs, den haben wir schon längst aufgegessen“, schwindelt der Mann vom Service und lacht. Stöttner lacht mit. „Natürlich kenne ich hier alle“, sagt er. „Das sind die wunderbaren Menschen, die uns hier begleiten.“
Bodenständig
und leutselig
Auf seine Bodenständigkeit, seine Leutseligkeit hält sich Klaus Stöttner einiges zugute. Mit Recht. So manch anderer bläst sich nach so langer Zeit auf der bayerischen Politbühne auf. Stöttner macht hingegen einen gelösten und heiteren Eindruck. Und das nach vier Legislaturperioden, nach 20 Jahren CSU-Fraktion.
Sei doch optimal gelaufen, findet Stöttner. Im Mai vergangenen Jahres hatte er bekannt gegeben, nicht noch ein fünftes Mal anzutreten. Noch nicht einmal 60 Jahre war er da alt. Doch sagte er: „Diese Zeit ist nun reif für einen Neuanfang, für eine politische Verjüngung und Erneuerung.“
Für den Mittelstand hat er sich starkgemacht. Bekannt wurde er vor allem als tourismuspolitischer Sprecher. Vielleicht wegen der vielen Fotos von ihm vor den herzergreifend schönen Postkartenmotiven des Freistaats. Besonders stolz ist er auf seine Beiträge zum Werden und Gedeihen der Hochschule in Rosenheim. Aber auch zum öffentlichen Nahverkehr in der Region. Er erzählte von dem Tag, an dem die Entscheidung zum Rückzug gefallen sein könnte. Am Vormittag sei er beim Seeoner Kreis gewesen, wo die Hochschule gepriesen worden sei. Am Nachmittag war dann Jungfernfahrt von Rosi, dem On-Demand-Konzept für Busse in der Region. Da habe er zur Frau an seiner Seite gesagt: „Jetzt hab ich‘s geschafft, Silvie, ich hab gute Sachen auf den Weg gebracht.“
Klaus Stöttner schaffte Dinge, weil er ein Netzwerker ist. Einer von der analogen Art, der Leute ohne Facebook, X und Telegram zusammenbringt, auch Leute, die seine politischen Ansichten nicht teilen. Oder auch seine Interessen, auf den ersten Blick zumindest. Er erzählt, wie er zwecks Minderung der Mehrwertsteuer für Seilbahnen ausgerechnet mit Hamburger Senatoren sprach. Weil doch der ehemalige regierende Bürgermeister Hamburgs mittlerweile Finanzminister geworden war, ein gewisser Olaf Scholz. Stöttners Stärke als Politiker war, das kann man so festhalten, nicht das laute Wort, sondern die wohltemperierte Unterhaltung. Die kleinen Schritte, nicht der Paukenschlag.
Broschüre für den
Abschied vom Chef
So liest sich auch die Broschüre, die ihm seine Mitarbeiter zusammengestellt haben: Vom Unesco-Weltkulturerbe-Antrag für Herrenchiemsee zur Förderung des DAV-Museums, von der Modernisierung der Sudelfeldbahn bis zur Unterstützung der Almwirtschaft, von der Rosenheimer Hochschule bis zum Stellwerk 18, von den Wendelstein-Werkstätten der Caritas bis zum integrativen Klettergarten in Bad Aibling: Alles Mögliche ist da verewigt. Lauter Mosaiksteine, die am Ende von 20 Jahren im Landtag ein stimmiges Bild ergeben. Ein Bild, das der Rosenheimer schon gern betrachtet. Keiner sei alleine Vater des Erfolgs, sagt Stöttner. „Ich war aber oft der Initiationszünder.“ Und er hatte Freude dabei: „Glücksgefühle“ seien das gewesen, als er helfen konnte, als die Wendelstein-Werkstätten auf der Kippe standen.
Besonders freut ihn der Ehrentitel „Retter des Plenarsaals“. Stöttner saß 2003 erst kurz im Landtag, als das alte Mobiliar herausgerissen und verschrottet werden sollte. Er erstand die Möbel gegen eine Spende, lagerte Stühle und Pulte in einer Scheune in seinem Heimatort Prutting ein. Ein Teil der Ausstattung fand Platz im Museum der bayerischen Geschichte in Regensburg. Stöttner kann auch sehr unterhaltsam über Politik erzählen. Und er beherrscht die politische Algebra. Ein starker Ministerpräsident, mit richtig vielen Stimmen: Das müsse jemand aus Oberbayern sein. „Wenn Ilse Aigner Spitzenkandidatin gewesen wäre, dann hätte sie 600000, 700000 Stimmen gesammelt.“ Man kann es auch so sagen: Die CSU hat sich verrechnet. Stöttner sagt das wie so vieles mit einem spitzbübischen Grinsen, das so trefflich zu einem Spruch über ihn passt: Er habe den Charme eines Skilehrers. Niemand Geringeres als der Ministerpräsident attestierte ihm das, in einer Videobotschaft anlässlich seines 60. Geburtstages. Jener Markus Söder also, der 2023 bei der Landtagswahl so gar nicht triumphierte.
War das eine Stichelei? Stöttner bleibt dabei: Er gehe ohne Gram. So realistisch wie die Rechnung übers Stimmensammeln wirkt sein Blick auf die Politik. Damals, als er den Vorsitz im Bauausschuss wollte, da scheiterte er knapp. „Und dann hab ich geschmollt“, sagt Stöttner. „Schmollen bringt aber nichts, Niederlagen muss man stolz hinnehmen.“
Auch jetzt erinnert er sich bevorzugt an das Gute. Dass er Akzente gesetzt habe, sich mit vielen gut verstanden, auch so manchen Strauß ausgefochten hat. Dass in der Politik Freundschaften ihr Haltbarkeitsdatum haben: ihm bekannt, kein Grund zum Trübsalblasen. „Andere tragen schlechte Erinnerungen ewig im Rucksack herum“, sagt Stöttner. „Ich ziehe da lieber Schubladen auf, stecke die Sachen da rein und mache die Schublade wieder zu.“
Auf vieles freut sich Klaus Stöttner nun. „Schön, wenn man nicht von einem Termin zum nächsten hoppeln muss. Und wenn man mehr Zeit für die Freundin und die Familie hat.“ Mit der will er in der Toskana nun Urlaub machen, will wandern, den Jakobsweg gehen. Er freut sich, mehr für sich tun zu können, Politik gehe ganz schön auf die Gesundheit. Er kann sich auch vorstellen, wieder in die Versicherungsagentur einzusteigen, in der er Gesellschafter und Teilhaber ist. Oder mit den restlichen Stühlen aus dem alten Plenarsaal eine Kneipe auszustatten. Es wird sich zeigen, da wirkt er ganz zuversichtlich.
So ganz wird er ohnehin nicht aus München verschwinden. Landtag und Gaststätte sind ihm ans Herz gewachsen. Und dann ist da noch der Leberkäs, der im Tiefkühlfach des Verzehrs harrt. Warum nicht nochmals ein Fass Bier im Bogengang vor dem Lokal aufstellen und dazu eine Brotzeit auftischen? Gut verabschieden kann man sich eigentlich nicht oft genug. „Der Institution bleibe ich jedenfalls verbunden“, sagt Stöttner.