Bernau – Wie spreche ich das traurige Thema Tod an? – Vor allem bei einem Menschen, der weiß, dass er nicht mehr lange leben wird. Und vor allem ich, der doch immer gute Laune verbreiten will? Was wird mich erwarten? Fragen über Fragen gehen mir durch den Kopf – schon Tage bevor ich das Chiemseehospiz in Bernau besuche.
Dort werden Menschen behandelt, die aufgrund einer Krankheit nur noch eine sehr begrenzte Lebenserwartung haben und bei denen keine Aussicht auf Heilung mehr besteht. Eine Pflege daheim ist nicht mehr möglich. 2017 war auch die OVB-Weihnachtsspendenaktion der Hospizbewegung gewidmet. Für die Einrichtungen in Bernau und Waldkraiburg spendeten die OVB-Leser über 875000 Euro.
Bedrückendes Gefühl
verschwindet schnell
Es kommt der Tag des Besuchs. Ich weiß, ich werde heute eine Patientin im Chiemseehospiz treffen und mit ihr über den Tod sprechen. Als ich am Morgen mit dem Auto losfahre, drückt sich ein dichter Nebel auf die Region nieder. Es ist kalt, trüb und ein wenig duster. In diesem Moment denke ich mir: „Das passt zu meinem Termin. Bedrückend, kalt, duster. Wörter, mit denen man auch den Tod beschreibt.“
Angekommen am Chiemseehospiz betrete ich die Einrichtung. Sofort ändert sich dieses bedrückende Gefühl: Das Personal begrüßt mich freundlich, das Hospiz ist innen bunt gestaltet und wirkt sehr einladend. Die Stimmung untereinander: positiv und herzlich. Nach einem kurzen Vorgespräch geht es zum Zimmer der Patientin Gabi Tschoner.
Ich betrete ein geräumiges Zimmer. Am Ende sind zwei große Fenster. In einem Krankenbett davor liegt Gabi Tschoner. Sie hat gerade ihren Sohn angerufen, weil er Geburtstag hat. „Jetzt darf ich ein Interview machen“, lacht sie und verabschiedet sich von ihrem Sohn.
Trotz ihrer Heiterkeit merke ich schnell: Gabi Tschoner ist sehr schwach. Sie will sich aufrichten, braucht aber Hilfe. Sie klammert sich mit beiden Händen fest an einen Bügel, der an ihrem Bett befestigt ist. „Hallo Frau Tschoner. Bleiben Sie ruhig liegen“, sage ich zu ihr. Sie lächelt kurz zu mir rüber und legt sich wieder zurück.
Ich setze mich an ihr Bett und überlege, wie ich am besten anfange: Sollen wir gleich über das Thema Tod reden? Nein, lieber nicht zu forsch sein, denke ich mir. Wir stellen uns erst einmal in Ruhe vor.
Wenn keine Heilung
mehr möglich ist
Gabi Tschoner ist 74 Jahre alt, wird im November 75. Sie lebt in Traunstein, ist verheiratet und zweifache Mutter. Auch Uroma ist sie. Im Chiemseehospiz ist sie, weil sie an Darmkrebs leidet. Sie ist ans Bett gebunden. „Ich bin jetzt seit etwa fünf Wochen hier“, erzählt sie. Ins Hospiz zu gehen, wurde ihr im Krankenhaus Traunstein von einer Ärztin der Palliativstation vorgeschlagen. In der Vergangenheit musste Gabi schon einige Chemotherapien und Bestrahlungen über sich ergehen lassen. Doch nun, so eröffneten ihr die Ärzte, wäre eine weitere Behandlung ohne Erfolg.
„Wie lange ich noch genau habe weiß ich nicht, aber ich merke, dass vieles nicht mehr so leicht ist“, sagt sie mit gebrechlicher Stimme. Und sie beschreibt, dass sie zum Beispiel Probleme beim Atmen hat. „Es ist natürlich nicht einfach für mich, aber der Tod gehört nun mal zum Leben und darüber muss man reden. Auch mit der Familie.“
„Wie gehen Sie selbst damit um?“, frage ich sie, da mir jetzt der richtige Zeitpunkt scheint, das Thema Tod anzusprechen. „Ich denke natürlich darüber nach, was nach meinem Tod passiert“, sagt Tschoner, „aber vor allem darüber, was das für meine Familie bedeutet.“ So macht sie sich Gedanken über ihre Beerdigung, auch welcher Pfarrer die Trauerfeier halten soll.
Kurz muss Gabi Tschoner das Gespräch unterbrechen, um einen Schluck zu trinken. Eine Herausforderung für sie. Denn nach diesem Schluck muss sie sich erst mal sammeln. Sie deutet mit ausgestrecktem Zeigefinger an, dass sie gleich so weit ist, fortzufahren – doch zuvor muss sie wieder zu Atem kommen. Mir wird noch deutlicher klar, dass Gabi Tschoner sehr schwach ist. „Keine Eile, nehmen Sie sich alle Zeit, die Sie brauchen“, sage ich zu ihr. Sie schaut mich an, ich lächle ihr zu, und sie lächelt zurück. „Geht wieder“, sagt sie, und versucht so zu tun, als sei nichts gewesen.
Familie und Hospiz
geben Trost
Jetzt müssen wir beide lachen. Um die heitere Stimmung aufrechtzuerhalten, frage ich sie, was ihr in dieser schwierigen Zeit Trost gibt. „Die Familie“, kommt als erste Antwort. Ihr Mann besuche sie jeden Tag, genauso wie ihre Tochter. Und auch der Rest der Familie komme regelmäßig vorbei. Sie hat ein großes Lächeln auf den Lippen und sagt: „Die sind immer für mich da.“ Außerdem komme einmal pro Woche ein Arzt der Klinik in Traunstein vorbei, den sie kennengelernt hat, als sie dort behandelt wurde.
Viel Halt gibt ihr auch das Team vom Chiemseehospiz. Sie sagt, dass sie ausschlafen darf, und es werde jeden Tag frisch gekocht. „Regelmäßig schaut auch jemand nach mir. Sie nehmen sich alle gerne Zeit für mich und es wird viel gelacht“, sagt Tschoner. „Ich fühle mich aufgehoben und man verliert auch ein bisschen die Angst vor dem Tod.“ Dass sie sehr dankbar für die Zuneigung des Teams ist, merke ich auch, als Katharina und Sandra hereinkommen, die im Hospiz arbeiten. Gabi hat ein großes Lächeln auf den Lippen und ein fröhliches Leuchten in den Augen. Gabi Tschoner sagt: „Hier her zu kommen, war die richtige Entscheidung.“