Aschau/Traunstein – Hat Zeugin Verena R. (21) ihre Hausaufgaben gemacht? Eine solche hatte ihr die Vorsitzende Richterin Jacqueline Aßbichler vom Landgericht Traunstein aufgegeben. Sie solle sich notieren, woran sie sich von ihrer Unterhaltung mit dem Angeklagten Sebastian T. erinnern könne. Diese Gedankenstützen sollen bei der erneuten Befragung am Freitag einen erneuten Aussetzer vermeiden. Bei ihrer ersten Befragung vor dem Landgericht Traunstein am 20. Oktober hatte die 21-jährige Zeugin große Erinnerungslücken offenbart. Das Gericht kommt der Frau daher seinerseits entgegen. Es hat dem Antrag ihres Rechtsbeistands Andreas Leicher auf audiovisuelle Übertragung der Aussage stattgegeben. Darunter versteht man eine Live-Übertragung der Aussage, von einem anderen Ort in den Gerichtssaal.
„Im Saal ist der Druck
schon ein anderer“
Rechtsanwalt Walter Holderle aus Rosenheim, Vertreter von Hannas Eltern als Nebenkläger, sieht auch deswegen eine echte Chance für gehaltvollere Aussagen. Dadurch werde die 21-Jährige „beruhigter aussagen können“, meint Holderle. In einem separaten Raum sitzend, räumlich vom Angeklagten getrennt, sei es für die junge Frau voraussichtlich einfacher. „Im Saal selbst ist der Druck schon ein anderer.“
Bei ihrer ersten Befragung zwei Wochen zuvor hatte sich die Frau widersprochen. Vor allem blieb sie entscheidend hinter ihren Angaben bei der Vernehmung durch die Polizei am 17. November 2022 zurück. Diese Angaben seinerzeit hatten den Ermittlungsrichter bewogen, gegen Sebastian T. Haftbefehl zu erlassen. Es ging dabei um Verena R.s Erinnerung an ein Gespräch mit Sebastian T. am Nachmittag des Tages, an dem Hanna W. tot in der Prien aufgefunden war (3. Oktober 2022). Darin soll Sebastian T. verräterische Aussagen getan haben.
Hanna W. hatte den Club „Eiskeller“ am frühen Morgen des 3. Oktober 2022, kurz vor halb drei, verlassen. Zu Fuß machte sie sich auf den knapp 900 Meter langen Weg zu ihrem Elternhaus. Doch dort kam sie nie an. Zwölf Stunden später wurde ihr lebloser Körper in der Prien gefunden, wo er sich unter einer Wurzel verfangen hatte.
Besondere Beziehung
und besondere Rolle
Erst am Abend des 4. Oktober 2022 informierte die Polizei die Öffentlichkeit darüber, dass die 23-jährige Aschauerin einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen sei. Die Zeugin wusste dazu Aufschlussreiches zu berichten. Sie sagte, dass ihr Sebastian T. bereits einen Tag zuvor, am Tag der Tat, von dem Tötungsdelikt erzählt habe: Ob sie auch gehört habe, dass in Aschau eine junge Frau umgebracht worden sei, habe Sebastian T. sie gefragt. Das sei so traurig, weil „die Hanna“ in Aschau ja so bekannt gewesen sei. Außerdem habe T. die Tat einen Tag vor der Verhaftung ihr gegenüber eingeräumt.
Verena R. kennt den Zeugen seit dem gemeinsamen Besuch einer Förderschule in Marquartstein. Vermutlich stand außerhalb der Familie keine Frau dem nunmehr 21-jährigen Angeklagten so nahe wie sie. Erklären sich daraus die Lücken? Wollte sie ihn schützen? Oder fühlte sich durch die Atmosphäre des voll besetzten Gerichtssaals überfordert? Verena R. hinterließ jedenfalls einen zwiespältigen Eindruck. Mit Widersprüchen, die in den Augen von Sebastian T.s Verteidiger Harald Baumgärtl ihre Glaubwürdigkeit nicht eben stärken. So konnte sie sich nicht mehr daran erinnern, dass Sebastian T. den Namen des Opfers erwähnt haben soll. Eltern-Anwalt Walter Holderle hofft trotzdem auf glaubwürdige Aussagen am Freitag. Auch, weil die Protokolle ihrer beiden Vernehmungen durch die Polizei im Herbst 2022 vorgelesen werden sollen. „Das damals war näher an ihrem Kenntnisstand“, vermutet Holderle. Das könne das Gedächtnis der jungen Frau auffrischen.
Protokollnotizen
werden wichtig
An diesem Tag werden Retter befragt, die Hannas Leichnam aus der Prien bargen. Aussagen soll auch der Spaziergänger, der den leblosen Körper der jungen Aschauerin am frühen Nachmittag des 3. Oktober 2022 im Wasser entdeckt hatte. Erkannte jemand Hanna, war es unter den Rettern Thema, dass sie gewaltsam zu Tode gekommen war? Nicht auszuschließen, dass sich die Kunde in Aschau schleunig verbreitete – noch vor den Verlautbarungen der Polizei. Vor allem aber gehe es darum, dass sich das Gericht ein Bild von der Situation bei der Auffindung von Hanna machen könne, unterstreicht Nebenkläger-Anwalt Walter Holderle.
In einem Prozess ohne Beweise dreht sich alles um Indizien und die Glaubwürdigkeit von Zeugen. Infrage steht da nicht nur das Gewicht der Aussagen von Verena R. Auch der jüngst aufgetauchte Knast-Nachbar von Sebastian T. aus der Untersuchungshaft in Traunstein wird zu durchleuchten sein. Er hatte berichtet, dass Sebastian T. ihm gegenüber den Mord an Hanna eingeräumt habe. Den Gehalt dieser Aussage stellen T.s Verteidiger Harald Baumgärtl und Dr. Markus Frank infrage. Was für einen vernünftigen Grund habe der U-Häftling gehabt, mit seiner Aussage zehn Monate lang zu warten, fragt Baumgärtl.
Nötige Prüfung
der Glaubwürdigkeit
Die Glaubwürdigkeit des Knastzeugen wollen die Verteidiger anhand eines früheren Prozesses prüfen. Der 23-jährige Zeuge hatte vor Gericht in Traunstein angegeben, von seiner Mutter missbraucht worden zu sein. Vor Gericht wurde seine Mutter aber freigesprochen. Die beiden Verteidiger haben daher Einsicht in die Akten über die Mutter des neuen Zeugen beantragt.
Auch die Richterin will die Erkenntnisse über den Zeugen aus der U-Haft vertiefen: Jacqueline Aßbichler hat die Polizei beauftragt nachzuforschen, ob es weitere Mithäftlinge gab, die mit Sebastian T. gesprochen haben könnten.