Chronologie der ersten Stunden

von Redaktion

Im Prozess Mordfall Hanna W. ging es am gestrigen Donnerstag um die ersten Stunden nach der Auffindung der Leiche in der Prien. Ab wann war klar, woran Hanna gestorben war? Die Antwort darauf könnte den Angeklagten möglicherweise belasten.

Aschau/Traunstein – Es ist nicht so, dass der Angeklagte gar nichts sagt. Auch nicht am sechsten Tag des Prozesses um den Mordfall Hanna (2. November). Doch sagt er immer dasselbe. „Nein“ antwortet Sebastian T. wie immer auf die Frage der Vorsitzenden, ob er eine Frage an den Zeugen richten wolle.

Sebastian T. schweigt weiterhin zu den Umständen jener Nacht in Aschau, in der Hanna W. ihr Leben verlor. Und so muss das Gericht jeden Anhaltspunkt nutzen, um diese fatale Nacht zu rekonstruieren. Ein solcher Anhaltspunkt ergab sich beim Prozess am Landgericht Traunstein am Donnerstag (2. November) tatsächlich. Sebastian T. hat möglicherweise zu früh zu viel gewusst.

Verräterisches Wissen
des Angeklagten?

Aussagen von mehreren Polizeibeamten legen nahe, dass die Identität der Toten bis in die Nacht des 3. Oktober unbekannt war. Die Todesursache war demnach erst ab 4. Oktober geklärt. Der Mann, der die Leiche in der Prien treibend entdeckte, kann die Nachricht vom Gewaltverbrechen offensichtlich ebenfalls nicht in Umlauf gebracht haben.

Genau davon soll Sebastian T. aber einer Bekannten noch am Nachmittag des 3. Oktober erzählt haben: dass eine junge Frau aus Aschau umgebracht worden sei. Vorausgesetzt, diese Zeugin hat sich richtig erinnert, könnte Sebastian T. damit etwas verraten haben, was zu diesem Zeitpunkt nur der Täter wissen konnte.

Zu Wort kam zunächst der Mann, der Hanna am frühen Nachmittag des 3. Oktober fand. Der 43-jährige Lehrer sagte aus, dass er gern an der Prien spazieren gehe. Es habe in der Nacht auf den 3. Oktober 2022 stark geregnet gehabt, die Prien habe viel Wasser geführt, „eineinhalb Meter mehr als sonst“. Bei Kaltenbach habe er „etwas Seltsames“ im Wasser gesehen. Zunächst habe er an etwas anderes gedacht, „eine Puppe“ vielleicht, ein Überbleibsel eines Junggesellenabschieds. Klar habe man nur einen Schuh erkannt, der sich an einer Wurzel verfangen hatte. Alles miteinander sei ihm „komisch“ vorgekommen. Wohl auch beunruhigend. Er meldete die Sichtung. Dass er tatsächlich eine Tote gesichtet hatte, habe er erst später aus dem massiven Auftreten von Rettungskräften und Polizei geschlossen, sagte der 43-Jährige.

Fotos von der Bergung und der Toten standen im Mittelpunkt. Wohl auch um zu dokumentieren, dass eine Identifizierung nach Stunden im Wasser nicht ohne weiteres möglich war. Die Polizeibeamtin, die zusammen mit ihrem Kollegen als erste am Fundort der Leiche eintraf, sagte an der 2. Jugendkammer aus, dass die Identität der Toten am Einsatzort offenbar „kein Thema“ gewesen sei. Weder Geldbeutel noch Handy seien aufzufinden gewesen, berichtete eine Beamtin. Zwölf Stunden im Wasser hatten die Züge der Toten verändert. Die Polizistin erklärte anhand eines Fotos von Hanna, das im „Eiskeller“ aufgenommen worden war: „Ich hätte sie nicht wiedererkannt.“

In diese Richtung ging auch die Aussage einer anderen Beamtin. In präzisen Worten schilderte sie außerdem, welche Rolle Hannas Schmuck spielte. Zunächst hatte ein Stempel am Handgelenk der Toten die Polizei auf den „Eiskeller“ gebracht. Fotos und Bilder der Überwachungskameras in dem Club zeigten bei einer Frau den gleichen Schmuck, der bei der Toten gefunden worden war. Die Fotos zeigten Hanna W. Diese Übereinstimmung konnte die Polizei erst am fortgeschrittenen Abend des 3. Oktober feststellen. Genauer: um 22.08 Uhr.

Als um 22.37 Uhr der Vater Hanna als vermisst meldete, sei sie umgehend zum Elternhaus gefahren, berichtete die Beamtin weiter: „Um sicherzustellen, dass die Nachricht nicht über andere Kanäle an die Eltern gelangt“.

Der Vater sei ihr im Hof entgegengekommen. Da habe sie ihn ins Innere des Hauses gebeten, um ihm und der Mutter die traurige Nachricht zu überbringen. Auch die Eltern hätten den Schmuck als den von Hanna erkannt, sagte die Beamtin.

Hätte sich die Nachricht vom Tod Hannas also vor dem 4. Oktober herumsprechen können? Wohl kaum. Ein anderer Polizeibeamter war mit der Befragung der Rettungskräfte beauftragt. Auch in diesem Kreis habe sich die Kunde von Hanna erst ein, zwei Tage später verbreitet, sagte der Ermittler.

Ähnlich unklar war zunächst wohl auch die Todesursache: Im Gesicht war lediglich eine Verletzung zu erkennen oder zu „erahnen“, wie ein Polizeibeamter aussagte: „Wir sind keine Mediziner.“ Erst am frühen 4. Oktober, kurz vor ein Uhr nachts, stand zweifelsfrei fest: Hanna war gewaltsam gestorben.

Damit hängt unverändert viel an der Aussage von Verena R. Die 21-jährige Zeugin gilt als enge Freundin des Angeklagten Sebastian T. Ihr soll er bereits am 3. Oktober 2022 erzählt haben, dass in Aschau eine junge Frau umgebracht worden sei – zu einem Zeitpunkt also, da nur der Täter von dem Gewaltverbrechen habe wissen können. Das schilderte sie seinerzeit der Polizei. Möglicherweise hat der Angeklagte sogar den Namen des Opfers genannt.

Genau daran aber konnte oder wollte sich Verena R. bei der ersten Befragung nicht erinnern. Für Freitag, 3. November, ist sie erneut nach Traunstein geladen. Aber nicht in den großen Saal. Damit die Zeugin nicht durch die physische Gegenwart des Angeklagten und das zahlreiche Publikum beeinträchtigt und überfordert werde, wird ihre Aussage aus dem Zeugenzimmer audiovisuell in den Saal übertragen.

Geodaten bringen
wenig Greifbares

Wenig Greifbares brachten am Donnerstag, 2. November, die Aussage eines Ermittlers über Geodaten, Chat-Verläufe und Sprachnachrichten, die aus den Mobiltelefonen von Sebastian T., Verena R: und einigen Bekannten gewonnen worden waren. Sie lassen es als möglich erscheinen, dass sich Verena R. und Sebastian T. bereits am 3. Oktober über den Mord an Hanna unterhielten. Gewissheit bringen sie nicht.

Ebenso wenig wie die DNA. Was Gutachterin Dagmar von Máriássy berichtete, lässt sich so zusammenfassen: Die Ermittler konnten keine entscheidenden Spuren sicherstellen.

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