Aschau/Traunstein – Was spielte sich ab in Hannas letzten Sekunden? Einen „Schrei, einen schrecklichen Schrei“ habe sie am 3. Oktober gegen halb drei in der Früh gehört. So beschrieb Sabine Beate G. (72) den schauerlichen Moment, in dem Hanna W. (†23) wohl ihrem Mörder begegnet ist. Der Schrei habe sich nach „Panik“ und Todesangst angehört, sagte die Zeugin am gestrigen Dienstag vor dem Landgericht Traunstein aus.
Die Rentnerin und ihr Mann besitzen eine Ferienwohnung in Aschau, nicht weit entfernt vom Eiskeller. Der Balkon blicke in Richtung Schloss Hohenaschau. In jener Nacht sei sie von einem Bedürfnis aus dem Bett getrieben worden. „Und wenn ich zur Toilette muss, mache ich immer die Augen zu, damit ich nicht aufwache und erst wieder einschlafen muss“, sagte die Rentnerin. „Ich war in einem Dämmerzustand.“
Der Schrei war
nicht geträumt
Was auch der Grund gewesen sein dürfte dafür, dass sie sich erst nach Tagen bei der Polizei meldete: Sie sei sich später darüber klar geworden, dass der Schrei ganz sicher real und nicht geträumt gewesen sei. Vor Gericht wusste sie sich auch zu erinnern, wie sie den Schrei interpretiert habe. Die Zeugin schilderte ihren Eindruck, als ob da „einer unvermittelt von hinten eine junge Frau angesprungen und sie an den Haaren gezogen hat.“ Den Eindruck habe sie gehabt, weil der Schrei „so unvermittelt“ die Nacht durchschnitten habe. Es ist eine Erklärung, die der Anklageschrift entspricht: Demnach griff der Angeklagte Sebastian T. (21) Hanna von hinten an.
Als Zeugin kam auch Magdalena N. (26) zu Wort, eine enge Freundin von Hanna. „Sie war der liebenswerteste, unkomplizierteste, lustigste und freundlichste Mensch, den ich in meinem Leben gekannt habe“, sagte sie unter Tränen.
Die Vorsitzende Richterin Jacqueline Aßbichler fragte sie unter anderem, wie Hanna auf Annäherungsversuche reagiert habe, mit denen sie nicht einverstanden war. „Hat sie auch verletzend sein können?“, fragte Aßbichler. Womöglich um zu klären, ob dem tödlichen Angriff ein Streit vorausgegangen sein könnte. Die Zeugin verneinte. „Hanna war nicht verletzend“, sagte sie. Sie habe sich in solchen Fällen umgedreht und sei gegangen.
„Es geht um kleinste
Puzzleteilchen“
Der achte Tag im Prozess um den Mord an Hanna W. in Aschau bestand aus einer langen Parade von so genannten „Umfeld-Zeugen“ – fast durchgehend Besucher des Clubs „Eiskeller“ in jener Nacht. Sie schilderten ausgelassene Stimmung, befeuert von viel Alkohol. „Es war ein wirklich schöner Abend“, sagte eine Bekannte. „Hanna ist total fröhlich gewesen.“
Shots und Trinkbräuche spielten eine wichtige Rolle. Die Zeugen berichteten übereinstimmend, dass auch Hanna dem Alkohol reichlich zugesprochen habe und zumindest deutlich angeheitert gewesen sei. „Sie war lustig, wenn sie getrunken hatte“, erklärte Magdalena N. Hanna sei „nicht rumgefallen, und wenn es gut war, war es auch gut“. Man habe mit ihr keine Ausfallsituationen erlebt, „sie war halt eher aufgedreht“.
„Es geht um kleinste Puzzleteilchen“, erklärte Nebenkläger-Anwalt Walter Holderer auf Anfrage des OVB. Die Fragen nach Hannas Party-Kondition sollten Aufschluss bringen, ob und wie weit sich Hanna überhaupt habe wehren können.
Zu Wort kam auch Christina B., Freundin von Philipp S., des Nachbarn von Hanna. Er wollte die Medizinstudentin an jenem fatalen Morgen eigentlich nach Hause begleiten. Doch Hanna verließ den „Eiskeller“, ohne auf ihn zu warten. „Am Anfang war es schwierig“, räumte sie auf die Frage nach der psychischen Verfassung ihres Freundes ein. Mittlerweile sei er „auf jeden Fall auf einem guten Weg“.
Hauptzeugin wird
nochmals geladen
Richterin Aßbichler ließ an diesem achten Prozesstag durchblicken, dass sich der Prozess im Mordfall Hanna womöglich noch über das vorerst anberaumte Schlussdatum vom 22. Dezember hinausziehen könnte. Auch deswegen, weil Hauptzeugin Verena R. nochmals geladen werden wird. Die 21-Jährige habe sich auch bei ihrem zweiten Auftritt vor der 2. Jugendkammer des Landgerichts in Widersprüche verwickelt, sagte Aßbichler.
Die Verteidigung mit Harald Baumgärtl und Dr. Markus Frank habe deswegen auch eine „konfrontative Befragung“ angekündigt. Auch sollen die Videoaufnahmen ihrer Befragung durch die Polizei vor Gericht gezeigt werden. Verena R. hatte bei ihrer Befragung ausgesagt, dass der Angeklagte Sebastian T. bereits an Hannas Todestag Täterwissen ausgeplaudert habe.
Auch die Schwester von Verena R. wird wohl nochmals geladen. Ebenso wie ein neuer Zeuge, der laut Aßbichler „womöglich in Betracht“ kommt. Möglicherweise werden auch die Familienverhältnisse des Angeklagten unter die Lupe genommen. Denn aus schwierigen Verhältnissen könnten auch Störungen herrühren. „Das ist noch offen, das Gericht überlegt noch.“
Offen ist in diesem Großprozess im Mordfall Hanna überhaupt noch vieles. Im Rechtsgespräch habe sich die Verteidigung erkundigen wollen, welche Strafe im Falle der Verurteilung zu erwarten sei. Das könne sie aber nicht beantworten, sagte die Richterin. „Weil die Bandbreite viel zu groß ist.“ Von Körperverletzung mit Todesfolge bis hin zum Mord scheine in diesem Fall noch alles möglich.