Aschau/Traunstein – Diese Kratzer: Hat Sebastian T. sie sich von einem Kampf mit Hanna W. (†23) eingefangen? Hausmeisterin Sabine M. berichtete davon, dass sie vier Tage nach dem Mord an Hanna dabei gewesen sei, als in Aschau der Pfarrsaal leer zu räumen war.
Aussage der
Hausmeisterin
Geholfen habe dabei neben anderen auch Sebastian T., der über seine Mitgliedschaft bei den Pfadfindern zum Helfen eingeladen worden war. Als sich der damals 20-Jährige während der Arbeit mit der Rechten über den linken Unterarm strich, habe sie mehrere schmale Kratzer an der Innenseite des Unterarms bemerkt. „So kürzere, wie wenn man mit Sträuchern arbeitet, Äste abschneidet und so“, sagte die 52-Jährige. Es gibt keinen handfesten Beweis in diesem Fall, keine brauchbaren DNA-Spuren. Auch die Nachricht von den Kratzern an Sebastian T.s Unterarm gibt allenfalls einen vagen Fingerzeig, was am frühen Morgen des 3. Oktober 2022 passiert sein könnte. Nicht mehr. Sebastian T. schweigt weiterhin. Kein Wort hat er zur Tatnacht geäußert. Das Bild der Nacht, in der Hanna starb, kann also weiterhin nur aus vielen Puzzleteilchen zusammengesetzt werden. Aus Zeugenaussagen vor allem.
Und darin liegt das Problem dieses Prozesses, der seit 12. Oktober vor der Zweiten Jugendkammer des Landgerichts Traunstein läuft: Viele Zeugen erinnern sich nicht mehr oder anders, als sie es bei der Befragung durch die Polizei vor gut einem Jahr geäußert haben.
Max K. (17) zum Beispiel machte es sich und dem Gericht so schwer, dass die Vorsitzende Jacqueline Aßbichler seine Befragung für fünf Minuten unterbrach – um dem Zeugen Gelegenheit zu geben, seine Gedanken zu ordnen. Die Schilderungen des 17-Jährigen wiesen zu viele Widersprüche und Unklarheiten auf. Was wann gesagt worden war, stellte den Zeugen vor Herausforderungen. Doch bekräftigte er Details der Aussagen von Verena R. Die war zwar am zehnten Prozesstag nicht vorgeladen. In gewisser Hinsicht spielte sie trotzdem eine Hauptrolle. Zeugen aus ihrem Umfeld wurden befragt. Wohl um herauszufinden, wie glaubwürdig Verena R.s Aussagen sind. Sie belasten den Angeklagten schwer. Wie Verena R. schilderte, soll Sebastian T. bereits am 3. Oktober von einem Gewaltverbrechen in Aschau gesprochen haben, zu einem Zeitpunkt, da dies womöglich noch gar nicht bekannt gewesen war. Zwei weitere Aussagen lassen den Angeklagten schlecht dastehen: Verena R. schilderte, wie Sebastian T. sie mit einem Messer bedroht habe. Und wie er einen Tag vor seiner Verhaftung eine Art Geständnis abgelegt haben soll.
Max K., befreundet mit Verena R. und auch mit Sebastian T., äußerte sich mitunter widersprüchlich, was den Zeitpunkt angeht. Nicht aber, was den Inhalt zweier Aussagen betrifft – die mit dem Messer und die mit dem angeblichen Geständnis des Angeklagten. Er sei der Mörder von Aschau, das habe Sebastian T. bei einem geselligen Zusammensein gesagt. Max K. zitierte Sebastian T. so: „Ja ich sag dann halt irgendwann, dass ich es war, weil es mir zu blöd wird.“ Der Angeklagte habe sich unter starkem Druck gefühlt. Dass Max K. von der Drohung mit dem Messer nicht nur gehört hatte, sondern davon auch geschockt war, bestätigte ein Hausarzt aus Chieming. Er sagte, K. sei zu ihm gekommen und habe ein Schlüsselerlebnis geschildert, „das bei mir hängengeblieben ist“. Erinnern könne er sich auch, weil er selber eine Tochter namens Hanna habe, auch sei K.s Schilderung markant gewesen.
Schockierende
Geschichte
Demnach sei Verena R., eine Freundin des Patienten, mit dem Tatverdächtigen unterwegs gewesen, als der ihr ein Messer an die Kehle gesetzt habe. Und dann sei dieser Spruch gefolgt: „Jetzt könnte ich das gleiche anstellen wie mit dem Mädchen aus Aschau.“
Sein Patient sei von dieser Schilderung von Verena R. sehr mitgenommen gewesen. Nebenklägeranwalt Walter Holderle sieht in diesen Aussagen einen großen Erkenntnisgewinn. Es zeichne sich ab, wie das Bewusstsein bei der Zeugen „gereift“ sei, dass mit Sebastian T. etwas nicht stimme.