Traunstein/Waldkraiburg – Zu 13 Jahren Gesamtfreiheitsstrafe und anschließender Sicherungsverwahrung verurteilte die Jugendschutzkammer am Landgericht Traunstein gestern einen 57-jährigen Ex-Busfahrer aus Waldkraiburg. Er hatte in den 1990er-Jahren seinen leiblichen Sohn und zwei von dessen Freunden in deren Kindheit massiv sexuell missbraucht.
In die Strafe bezog das Gericht mit Vorsitzender Richterin Heike Will eine neunjährige Haftstrafe von Anfang 2023 wegen Missbrauchs weiterer minderjähriger Buben in den Jahren 2021/2022 mit ein. Die Verteidiger erwägen, in Revision zum Bundesgerichtshof zu ziehen.
Angeklagter
wirkt teilnahmslos
Die Staatsanwältinnen Helena Neumeier und Theresa Finsterwalder hatten neben der Sicherungsverwahrung 14 Jahre Gefängnis beantragt. Nebenklagevertreter Jörg Zürner aus Mühldorf hatte sich angeschlossen. Auf Freispruch hatten die Verteidiger Axel Reiter aus Mühldorf und Dr. Markus Frank aus Rosenheim plädiert. Wie bei den Schlussanträgen wirkte der Angeklagte auch gestern völlig teilnahmslos, verzog keine Miene bei den sehr deutlichen Worten des Gerichts.
„Wie sich das erste und das zweite Verfahren, wie sich die Vorwürfe und Ihre Positionierung gleichen. Sie erwecken den Eindruck, als ginge Sie das alles gar nichts an“, betonte Heike Will. Der Angeklagte wirke, als ob er sich „in eine eigene Welt“ zurückgezogen habe – vielleicht weil er Bestrafung fürchte oder weil er sich „abgrundtief schämen müsste, was er den Kindern angetan hat“.
An den etwa zehn bis elf Jahre alten Opfern, darunter sein Sohn, habe er sich vielfältig vergangen – unter Anwendung erheblicher Gewalt. Er habe die Kinder geschlagen, auch mit einem Gürtel, habe ihnen Boxhiebe versetzt, sie bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt.
Sadismus und
Gewaltandrohung
In sadistisch anmutender Manier habe er ein Kind gezwungen, auf einem Bein zu stehen, bis es umfiel. Weiter habe der 57-Jährige Gewalt gegen deren Familien angedroht, sollten sie sich jemand offenbaren. Die Buben hätten keinerlei Gegenwehr leisten können: „Das war aussichtslos. Sie haben sich genommen, was Sie wollten.“ Die Kinder hätten sich „aus Angst und Verzweiflung“ gefügt, hob die Vorsitzende Richterin heraus.
Zu den einzelnen Taten führte Richterin Will aus, der Ex-Busfahrer habe bei einem der Übergriffe seinen schlafenden Sohn ausgezogen, gefesselt und mit ihm Geschlechtsverkehr ausgeübt. Als der Bub das nicht wollte, habe der Vater ihn mit der Faust geboxt. Der 57-Jährige habe mehrmals den Oralverkehr erzwungen. Der zweite Geschädigte sei ihm von den berufstätigen Eltern anvertraut worden. Bei fünf Taten habe der Ex-Busfahrer die Schlafzimmertür versperrt – „um ein Entkommen unmöglich zu machen“. Beim ersten Mal habe er dem Jungen das Nintendo-Spielen versprochen. Weil sich der Bub beim nächsten Mal weigerte, sei er gewaltsam in das Zimmer gezogen worden. Beim dritten Geschädigten habe der Angeklagte die Vaterrolle übernommen. In Waldkraiburg habe es mindestens sieben Übergriffe mit ungeschütztem Geschlechtsverkehr gegeben.
Familie kehrt Vorfälle
unter den Teppich
In der Beweiswürdigung hob Frau Will heraus: „Wir haben keine Zweifel an der Richtigkeit der Zeugenangaben. Allen fiel es erkennbar schwer, sich der Situation zu stellen. Die Kammer ist überzeugt, die Schilderungen waren nur die Spitze eines Eisbergs. Einer der Jungen hat von nahezu täglichem Missbrauch berichtet.“ Die Aussagen seien beim Kerngeschehen konstant und detailreich gewesen. Das Vorgehen des Angeklagten sei im ersten wie im zweiten Verfahren immer gleich abgelaufen. Die Kammer habe keinerlei Belastungseifer der Geschädigten festgestellt. Der Sohn habe dargelegt, warum die Taten so spät angezeigt wurden. „Der Zeuge hatte dem Vater angekündigt, er werde – sollte wieder etwas passieren – zur Polizei gehen. Als er 2023 während des ersten Prozesses aus den Medien vom Missbrauch weiterer Opfer sowie dem Leugnen des Vaters erfuhr, wollte er diese Kinder unterstützen.“ Die jetzigen Geschädigten wussten, „wie es sich anfühlt, wenn einem nicht geglaubt wird“. Familienintern sei einiges bekannt gewesen. Das hätten drei Zeugen bestätigt. Doch habe die Familie „alles unter den Teppich gekehrt“. Ein Motiv für Falschbezichtigungen könne das Gericht nicht erkennen, unterstrich die Vorsitzende Richterin. Eine „späte Rache nach 14 Jahren“, wovon die Verteidiger geredet hatten, sei nicht nachvollziehbar.
In beiden Verfahren hatte der psychiatrische Sachverständige auf volle Schuldfähigkeit des 57-Jährigen erkannt. Zwar existiert nach Worten von Frau Will eine „sexuelle Kernpädophilie“. Dennoch habe der Angeklagte sich normkonform verhalten und „ein ganz normales Leben geführt“. Die Vorsitzende Richterin wandte sich direkt an den Angeklagten: „Sie sind nicht krank, sondern einfach ein Schwerverbrecher.“
Zu den Argumenten der Verteidiger konstatierte Heike Will, trotz Anhaltspunkten und einer anonymen Anzeige sei der 57-Jährige nicht gestoppt worden. Die Familie habe von den Neigungen und Taten gewusst, dennoch den Sohn als „Lügner“ bezeichnet. Die Vorsitzende Richterin wörtlich: „Die Familie hat völlig verantwortungslos und rücksichtslos alles vertuscht. Diese Personen gehören moralisch mit auf die Anklagebank.“
Möglicher Gang zum
Bundesgerichtshof
Wenige andere Familienmitglieder hätten versucht zu helfen und seien an der Ignoranz der Familie gescheitert. Die Geschädigten litten noch immer „unter den Dämonen der Vergangenheit“. Für Sicherungsverwahrung nach Ende der Haftzeit seien alle Voraussetzungen erfüllt, beispielsweise ein „Hang“ zu vergleichbaren Taten sowie eine hohe Gefährlichkeitsprognose. Die Kammer folgte gemäß Frau Will den Staatsanwältinnen: „Dem Angeklagten soll jede Möglichkeit genommen werden, jemals wieder ein Kind anzufassen und das Leben eines Kindes zu zerstören.“