Fluch und Segen der Region

von Redaktion

Den Menschen ist die Region lieb – und teuer: Hohe Mieten treiben die Lebenshaltungskosten und drücken die Kaufkraft. Doch ist Nordbayern wirklich stärker als Oberbayern, wie eine aktuelle Studie behauptet? Gibt es auch positive Seiten? Vielleicht schon, sagt Wirtschaftsexperte Thomas Bugl.

Rosenheim – Armes reiches Oberbayern? Eine neue Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) und des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) beziffert erstmals die Lebenshaltungskosten für alle 400 Kreise und kreis-freie Städte in Deutschland. Und da scheinen die untersuchten Regionen in Oberbayern und vor allem die Region Rosenheim nicht gut abzuschneiden.

Doch stimmt das so überhaupt? Ist das wirklich schlecht? Und wenn ja – was sind die Ursachen und die Folgen? Dazu hat Rosenheims Wirtschaftsdezernent Thomas Bugl im Gespräch mit den OVB-Heimatzeitungen klare Antworten und Meinungen.

Wie aussagekräftig ist diese Studie des IW?

Die Studie bestätigt, was jeder erkennt, der mit halbwegs offenen Augen und ökonomischem Gespür in Deutschland unterwegs ist: Es gibt ein erhebliches Preisgefälle zwischen den Ballungsräumen und den eher ländlichen Regionen.

Das führt dann erfreulicherweise dazu, dass die Lebensverhältnisse im Land in Wirklichkeit wesentlich weniger ungleich sind als sie scheinen.

Aber sie sind ungleich. In Rosenheim kann sich ein Mensch klar weniger leisten als in Wunsiedel.

Das ist eine Übertreibung. Dazu reicht ein Blick auf den Arbeitsmarkt. So ist die Arbeitslosigkeit im Agenturbezirk Rosenheim um ein Drittel niedriger.

Über Jahrzehnte hinweg hat man in der Landespolitik des Freistaats das Süd-Nord-Gefälle in Bayern beklagt. Da ist es doch regionalwirtschaftlich gesehen positiv, wenn sich die Lebensverhältnisse zwischen dem bayerischen Süden und dem Norden angleichen.

Indem die Menschen hier zwar viel verdienen, aber wegen der Nähe zu München mehr für Miete und Biergartenbesuche in die Tasche berappen?

Die Zugehörigkeit zur Metropolregion München ist Fluch und Segen zugleich. Fluch, weil die dynamische Entwicklung der Wohlstandsregion München natürlich dazu führt, dass es mehr Knappheiten gibt als anderswo und deshalb das Preisniveau stärker steigt als in strukturschwächeren Räumen.

Der Segen an der Metropolregion ist, dass wir in Rosenheim nicht mit dem Teufelskreis aus wirtschaftlichem Niedergang und Absiedelung konfrontiert sind, wie er in anderen Regionen des Landes zu beobachten ist. Im Übrigen: Bei den verfügbaren Einkommen je Einwohner liegt Rosenheim auf Rang 31 unter den 105 kreisfreien Städten in Deutschland, also im ersten Drittel. Verarmungs-Alarmismus ist fehl am Platz.

Ein großer Unterschied besteht aber auch zwischen der Stadt und dem Landkreis Rosenheim.

So groß ist der Unterschied gar nicht. Ohne Wohnkosten haben wir nach dieser Studie sowohl in der Stadt als auch im Landkreis einen regionalen Preisindex von 100,9. Mit Wohnen liegt er bei 118 in der Stadt beziehungsweise bei 113,1 im Landkreis. Wenn Boden knapper wird, dann muss der Preis raufgehen. In der städtischen Einwohnerstatistik sieht man seit Jahren unterm Strich den Wegzug inländischer Bevölkerung. Das ist Folge der Tatsache, dass die Menschen vergleichen: Was kostet uns und was bringt uns das Leben in Rosenheim?

Wäre es nicht erfreulich, wenn das Leben in Rosenheim für jeden ein positives Saldo hätte?

Richtig. Aber Rosenheim ist eine Studentenstadt und hat einen überproportionalen Zuzug an Flüchtlingen und an ausländischer Bevölkerung zu bewältigen. Das drückt die verfügbaren Einkommen, weil die ja auf die Einwohnerzahl bezogen werden. Kommt dann noch ein höheres regionales Preisniveau dazu, geht das weiter zu Lasten der Kaufkraft.

Sind die hohen Mieten auch eine Folge des hohen Freizeitwertes und der schönen Landschaft?

Sicher. Der Freizeitwert ist bei uns höher als an vielen anderen Stellen der Republik. Regionalwirtschaftlich gesehen ist es aber eigentlich unbedeutend, ob jemand in Großkarolinenfeld oder in Rosenheim lebt.

Wir sollten uns angewöhnen, die kreisfreie Stadt und ihre Nachbargemeinden stärker als einheitlichen Raum zu verstehen.

Entlang der Mangfall, zwischen Rosenheim und Feldkirchen-Westerham, meint man in einer einzigen großen Siedlung unterwegs zu sein…

Nicht umsonst haben unsere Vorgänger die Stadt-Umland-Region Rosenheim gegründet. Über die Gemeindegebiete hinaus wollten die SUR-Gemeinden die gemeinsame Entwicklung der Region voranbringen. Sonst gibt es tatsächlich diese Mangfallbandstadt von Feldkirchen bis Rosenheim als kilometerlangen Siedlungsbrei, in dem Gemeindegrenzen nicht mehr wahrnehmbar sind.

Wollen wir das? Wenn wir solche Entwicklungen überwinden wollen, dann müssen wir gemeindeübergreifend im Zusammenhang denken.

Wie kann man das dann steuern?

Welche Gemeinde hat welche Kapazitäten und wie will sie die nutzen? Das muss sich jede Gemeinde für sich selbst überlegen. Es hat gerade in der Metropolregion München immer Gemeinden gegeben, die versucht haben, sich dem Zuwanderungsdruck zu entziehen. Andere wollen wachsen. Nochmal: Die Menschen in unserer Region verstehen sich als Rosenheimer. Also sollten auch die politischen Akteure diesen Raum als gemeinschaftlichen Raum betrachten, der nicht jenseits der eigenen Gemeindegrenzen aufhört.

Die geringe Kaufkraft scheint Sie weniger zu beunruhigen als die Mangfallbandstadt.

Beunruhigt bin ich da schon deswegen nicht, weil ich sehe, wo wir bei den kreisfreien Städten stehen. Die bayerischen Städte, die beim Preisniveau besser dastehen als wir, liegen allesamt nicht in Oberbayern. Die Nähe zu München ist eben Segen und Fluch. Das, was wir an erhöhtem Preisniveau haben, machen wir aber durch attraktive Lebensumstände wett. Das Leben besteht ja nicht nur aus Einkommen und Preisen, sondern aus der Antwort auf die Frage: Wo finde ich eine mir angemessene Arbeit und wo kann ich gut leben?

Trotzdem muss ich die hohen Kosten für Mieten nochmals erwähnen. Warum stehen bei den zu erwartenden Profiten in Rosenheim so viele Häuser leer?

Einen so großen Leerstand wie von Ihnen diagnostiziert sehe ich nicht. Häuser stehen zum Teil leer, weil die Eigentümer noch letztes oder vorletztes Jahr vorgehabt hatten, den Altbestand zu modernisieren oder neu zu bauen. Dann kam die Wende in der Zinspolitik und hat viele Pläne zunichtegemacht. Im Übrigen: Unser städtisches Sozialamt sucht händeringend Unterkunftsmöglichkeiten für Flüchtlinge. Allein in den letzten drei Wochen haben wir 150 Flüchtlinge neu zugewiesen bekommen. Wer immer im Stadtgebiet freien Wohnraum hat, möge ihn uns gerne anbieten.

Interview: Michael Weiser

Artikel 2 von 9