Traunstein – In Rosenheim, Übersee und Bad Wörishofen schröpfte eine polnische Betrügerbande mit Schockanrufen, in denen von Verkehrsunfällen nahe stehender Personen die Rede war, drei Opfer um hohe Geldbeträge – insgesamt 42000 Euro. Einen 25 Jahre alten Polen verurteilte die Siebte Strafkammer am Landgericht Traunstein mit Vorsitzender Richterin Christina Braune nun wegen banden- und gewerbsmäßigen Betrugs zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und zwei Monaten.
Mit europäischem
Haftbefehl gesucht
Gegen die wesentlich ältere Ehefrau des Angeklagten aus der gleichen Gruppierung hatte die Zweite Strafkammer im April 2023 eine Freiheitsstrafe von zehneinhalb Jahren verhängt. Allerdings war die 38-Jährige vorwiegend als Logistikerin tätig, der 25-Jährige lediglich in einem Fall. Auf ihn war man im Zug der umfangreichen Ermittlungen gegen die mehrköpfige Bande gekommen. Der polnische Staatsangehörige wurde mit europäischem Haftbefehl gesucht und am 24. Mai 2023 festgenommen.
Gemäß Anklage der Staatsanwältinnen Stefanie Grossmann und Marion Schuller wirkten der 25-Jährige und seine Frau sowie weitere Täter ab etwa Mitte 2021 zusammen. Die Taten folgten dem üblichen Muster mit einem „Keiler“, der die Opfer anrief und sie mit Schreckensnachrichten in eine psychische Ausnahmesituation brachte, sowie mit einem Logistiker und Abholern. Teils wirkten weitere Bandenmitglieder mit, die bei den Telefonaten ein Schreckensszenario erzeugten. Bei dem Fall in Bad Wörishofen meldete sich am 8. Juni 2021 der jammernde angebliche „Neffe“ einer Frau. Er habe einen „Verkehrsunfall“ gehabt. Für die Reparatur benötige er Geld. Er offerierte, den Betrag am nächsten Tag per Blitzüberweisung zurückzuerstatten. Die Frau hob 7000 Euro von ihrem Konto ab. Ein von dem Keiler angekündigter „Herr“ in Person des Angeklagten nahm wenig später das Geld entgegen und verschwand damit auf Nimmerwiedersehen.
Im Hintergrund
Sirenen zu hören
Zwei Tage danach erhielt ein 87-Jähriger aus Rosenheim einen Anruf, der eine akute Notsituation seiner Enkelin in Ingolstadt nach einem Verkehrsunfall vorspiegelte. Im Hintergrund waren Feuerwehrsirenen zu hören. Eine „Polizistin“ berichtete, eine Frau sei getötet worden, die Enkelin befinde sich im Krankenhaus. Kurz darauf waren ein „Arzt“ und ein „Staatsanwalt“ am Telefon, begleitet von Rufen „Opa, hilf mir“. Für die zur Entlassung aus der Klinik notwendige Sicherheitsleistung und für die Überführung der Täter durch die „Kripo München“ rückte der Großvater 15000 Euro heraus, die er gerade zu Hause hatte. In der Luitpoldstraße in Rosenheim wartete der Angeklagte, sagte „habe Geld bestellt“, nahm das Geldkuvert entgegen und stieg in das Auto eines Komplizen.
Im Zeugenstand brach der 87-Jährige mehrmals in Tränen aus. Alles habe so echt gewirkt. Er sei selbst viele Jahre Feuerwehrmann gewesen und habe oft geholfen. „Wenn es um die Enkelin geht…“ meinte er vor Gericht weinend – ohne den Satz zu vollenden.
Ebenfalls am 10. Juni 2021 erleichterte die Bande eine Frau in Übersee mit der erfundenen Geschichte von einem Unfallschaden in Höhe von 50000 Euro. Ein hochdeutsch sprechender Mann, den sie für einen – allerdings sonst bayerisch redenden – Kollegen hielt, wollte den Schaden angeblich ohne Polizei regeln. Die Frau äußerte Zweifel, die der Mann zerstreute mit den Worten, er sei sehr aufgeregt. Ein Mitarbeiter einer Mercedes-Werkstatt werde kommen und das Geld entgegennehmen. Trotz Bedenken hob sie 20000 Euro von der Bank ab und gab sie dem Angeklagten. Abends erst merkte die Geschädigte, dass sie Betrügern aufgesessen war.
In einem vierten Vorwurf fungierte der Angeklagte zusammen mit seiner Ehefrau als Logistiker für andere Mittäter. Eine Dame im hessischen Lohra büßte am 15. Juli 2022 14000 Euro ein.
Staatsanwältin Marion Schuller plädierte in Traunstein auf eine Strafe von achteinhalb Jahren. Zum Geständnis des 25-Jährigen meinte sie: „Wir hätten die Taten auch ohne Geständnis nachweisen können.“ Die Geschädigten seien durch die Folgen sehr belastet. Ihre Hilfsbereitschaft sei ausgenutzt worden. Die von der Staatsanwaltschaft beantragte Strafe empfand der Verteidiger, Dr. Markus Frank aus Rosenheim, als deutlich zu hoch. Fünf Jahre seien tat- und schuldangemessen.
Auf den Opfern lastet
ein riesiger Druck
In der Urteilsbegründung würdigte die Vorsitzende Richterin das Geständnis des Angeklagten. Ohne es wäre der Umfang der Beweisaufnahme wesentlich höher gewesen. Zwei Zeugen hätten den 25-Jährigen als Abholer und somit Teil der Bande identifiziert. Im vierten Fall sei er weiter oben in der Hierarchie gestanden. Insgesamt habe er die Struktur und die Legenden der Bande gekannt. Jeder halte sich bereit, auf Fingerschnipsen seine jeweilige Aufgabe zu erfüllen, betonte Christina Braune.
Von einem Mitverschulden der Geschädigten, das der Verteidiger angeschnitten hatte, sei keinesfalls auszugehen. Auf die Opfer werde riesiger Druck aufgebaut. Das habe man bei dem 87-jährigen Zeugen gesehen, der zweieinhalb Jahre nach dem Betrug vor Gericht in Tränen ausgebrochen sei. Diese hätten nicht dem verlorenen Geld, sondern wiederum der Enkelin gegolten.