Aschau/Rosenheim – Seit Mitte Oktober läuft der Prozess um den Tod von Hanna W. in Aschau bereits, zehn Verhandlungstage lang haben Gericht, Staatsanwalt, Nebenkläger und Verteidiger oft um scheinbare Kleinigkeiten gerungen. Alles, um die Frage zu klären, ob Sebastian T. (21) die junge Medizinstudentin tatsächlich am frühen Morgen des 3. Oktober 2022 getötet hat. Der Angeklagte schweigt, handfeste Beweise gibt es offenbar nicht. Um so wichtiger sind die Zeugen. Warum die Belastungszeugen aus seiner Sicht glaubwürdig sind und warum manche Details zugleich schmerzhaft und entscheidend sein könnten, darüber sprach Walter Holderle, Anwalt der Nebenkläger, mit den OVB-Heimatzeitungen.
Welches Fazit ziehen Sie bislang?
Für die Eltern gestaltet sich der Prozess sehr belastend. Das führt dazu, dass ich sie für diese Woche aus dem Verfahren herausnehme. Ansonsten schaffen sie es insgesamt nicht mehr. Die Art des Verfahrens, im selben Raum mit dem Menschen, der dringend tatverdächtig ist, die Tochter umgebracht zu haben: Das ist extrem belastend.
Und wo stehen wir nach all den vielen Zeugen?
Wir haben Fakten. Wir haben den Angeklagten, der zum fraglichen Zeitpunkt dort gejoggt ist. Einen Angeklagten, der sich in den Aussagen bei der Polizei deutlich widersprochen hat. Der zum Beispiel angab, für einen Halbmarathon zu trainieren, obwohl die Zeit, die er für die Strecke gebraucht haben will, für ein Training überhaupt nicht passt. Auch gibt es die Aussage des Mithäftlings, dem gegenüber sich der Angeklagte offenbart hat, mit Details, die mit dem im Einklang stehen, was die bisherige Beweisaufnahme ergeben hat. Und der besten Freundin gegenüber hat er Täterwissen offenbart.
Die Verteidigung bezweifelt, dass diese Unterhaltung tatsächlich am Abend des Tattages war.
Woher hätte Sebastian T. es wissen sollen? Auch wenn die Verteidiger das kritisch sehen, so gibt es doch keine Anzeichen auf undichte Stellen, durch die etwas zu ihm hätte durchdringen können. Selbst wenn sich Verena R. theoretisch irren würde und er erst am 4. damit herausrückte, dann wäre dennoch nichts zu ihm durchgesickert. Er war in keinen Foren, war auch nicht ins Ortsgeschehen eingebunden. Auch im Kreise der Familie von Verena R. hat er die Tat im Grunde gestanden. Wenn es ihm wirklich einfach nur zu blöd gewesen wäre, dass er immer wieder von der Polizei befragt wurde, dann hätte er doch in diesem Kreis geschworen: Ich war‘s nicht. Die Reaktion der Familie hat man doch gesehen. Die glaubten, dass an diesem Geständnis was dran war. Die Mutter hat ihm geraten, nimm dir einen Anwalt. Verena R. hat von der Drohung mit dem Messer erzählt. Und Verenas Freund hat geschildert, warum er den vermeintlich ruhigen netten Typen dann auf einmal mit anderen Augen gesehen hat.
Wie glaubwürdig sind all die Zeugen?
Wir haben den Tatsachenkern der jeweiligen Zeugenaussagen und dazu einiges Drumherum. Aufgabe der Verteidigung ist es, alles zu hinterfragen. Trotz dieser Nachfragen hat sich am Tatsachenkern aber nichts geändert. Dass die Zeugin sicher war, dass es der 3. Oktober war, an dem er sich offenbart hat – daran gibt’s keinen Grund zu zweifeln. Darauf hat sie sich explizit festgelegt. Selbst wenn sie sich an Details drum herum nicht mehr vollständig erinnert, ist dies nachvollziehbar. Mehr noch: Alles andere könnte heißen, sie habe etwas auswendig gelernt oder sich aus Presseberichten zusammengereimt.
Für den heutigen Donnerstag hat die Vorsitzende Richterin die Resultate der Geodaten angekündigt. Was kann man daraus schließen?
Die Geodaten werden die Zeitpunkte untermauern, wer wann wo war. Diese waren bislang nicht so im Detail aufbereitet, dass man verlässlich Rückschlüsse ziehen konnte. Deshalb werden die Zeugen, die bei der Auswertung der Handys dabei waren, nochmals geladen.
Kann man daraus schließen, ob jemand zu einem bestimmten Zeitpunkt ganz nah bei jemandem war?
Wie nahe, das kann ich nicht einschätzen. Man kann sagen, wann Handys wo eingeloggt waren. War Verena R. am 3. Oktober wirklich in der Nähe des „Eiskellers“? Kann es das Treffen gegeben haben? Das sind Kernpunkte. Das Handy von Hanna wurde auch ausgelesen. Und die Untersuchung lässt Rückschlüsse zu, wann das Handy ins Wasser eingebracht wurde. Und damit auch Hanna.
Schlimm für die Angehörigen.
Deswegen will ich den Eltern eine Ruhepause verschaffen. Sie spüren die Belastung ohnehin schwer genug. Es heißt ja, dass die Zeit Wunden heilt. Das habe ich bis jetzt noch nicht feststellen können. Das Verfahren reißt sogar wieder neue Wunden auf. Der im Haftbefehl angenommene dringende Tatverdacht hat sich nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens bestätigt. Wegen des Schweigens des Angeklagten ist nun aber ein Indizienprozess zu führen mit der Konsequenz, dass von der Verteidigung alle belastenden Details zu hinterfragen sind. Das ist von der Strafprozessordnung gestattet, doch ungeachtet dessen gestaltet sich die Art und Weise der teilweise kleinteiligen Fragestellungen für die Eltern sehr belastend.
So wie auch die Fragen nach dem Alkoholkonsum an jenem Abend.
Eltern hören vom Alkoholkonsum ihrer Kinder generell nicht gern. Vorliegend kommt hinzu, dass Hanna ansonsten nicht übermäßig Alkohol konsumiert hat. Für das Verfahren ist aber entscheidend, wie weit sich Hanna eines Angriffs noch erwehren konnte. Je nach dem Grad ihrer Alkoholisierung war es für sie unterschiedlich schwierig.
Ein Zeuge war nicht vor Gericht zu hören, seine Aussage wurde den Prozessbeteiligten im Selbstleseverfahren überlassen.
Es war die Zeugenaussage eines Mithäftlings in der U-Haft, die an sich wenig Aussagekraft hat. Das Gericht hat aus seiner Fürsorgepflicht für den jungen Angeklagten das Selbstleseverfahren gewählt, um zu vermeiden, dass herabwürdigende Äußerungen in Richtung des Angeklagten, welche keinen unmittelbaren Bezug zur verfahrensgegenständlichen Tat haben, in die Öffentlichkeit gelangen.
Sebastian T. schweigt und schweigt. Wird er am Ende noch ein Einsehen haben?
Ich gehe davon aus, dass der Angeklagte bis zum Ende schweigen wird. Das ist wohl die von ihm und seiner hinter ihm stehenden Familie gewählte Strategie.
Verena R., Sie sagten es, muss nochmals aussagen. Auch sonst gibt es immer wieder Planänderungen. Wird der Prozess länger dauern?
Das ist reine Spekulation. Im Moment liegt das Gericht im Fahrplan. Das Verfahren wäre wohl bis Ende des Jahres zu bewältigen, aber gegen unerwartete Änderungen ist es nicht gefeit. Wie wir bereits erlebt haben, kann überraschend ein weiteres Beweismittel, wie etwa ein neuer Zeuge auftauchen, so etwa der Mithäftling, der geschildert hat, wie Sebastian T. ihm die Tat gestanden hat.
Interview: Michael Weiser