Aschau/Traunstein – Ein Randständiger, einer, der kaum andere Menschen an sich heranlässt; dem manch andere Menschen aber auch nicht unbedingt näherkommen wollen, vielleicht, weil er ihnen „komisch“ vorkommt: Dieses Bild zeichneten Zeugen am gestrigen Dienstag am Landgericht Traunstein vom Angeklagten Sebastian T.
Es kamen Menschen zu Wort, die mit dem Angeklagten im Mordfall Hanna durchaus intensiveren Kontakt gehabt hatten, Zeugen aus dem Ausbildungsbetrieb T.s und ein Kamerad aus der Pfadfindergruppe.
Sie äußerten sich an einem Verhandlungstag, der ziemlich genau zeigte, worin die Arbeit des Gerichts angesichts eines weiterhin schweigsamen Angeklagten besteht: im Aufsammeln kleiner und kleinster Mosaiksteinchen. Um daraus irgendwann in ein paar Wochen ein Bild zusammenzustellen.
Woher kamen die
Kratzer am Arm?
Sebastian T. lernte Anlagenbauer. Einen Kollegen fragte Richterin Jacqueline Aßbichler nach den Umständen während der alltäglichen Arbeit. Ob man sich beispielsweise beim Werkeln an Rohren und Trockenbauwänden Kratzer zuziehen könne. „Eigentlich nicht“, sagte der Monteur.
Womit weiterhin vollkommen offen bleibt, wobei sich Sebastian T. die Kratzer zugefügt hatte, die eine Hausmeisterin an T.s Arm gesehen hatte. Wenige Tage nach Hannas Tod am 3. Oktober 2022 hatte T. beim Möbelschleppen im Aschauer Pfarrsaal geholfen, und dabei hatte die Zeugin die oberflächlichen Verletzungen wahrgenommen. Entstanden sie, als sich Hanna wehrte?
Viel Zeit räumte das Gericht der Aussage eines Zeugen ein, der Sebastian T. seit der Grundschule und der gemeinsamen Zeit bei den Pfadfindern kennt. Er beschrieb den Schulkameraden als „Außenseiter“, ein „bisschen komisch, introvertiert, nicht so wie die anderen“. Die Lehrer hätten sich nicht leichtgetan mit Sebastian, „weil er langsamer war. Einfach anders“.
Angeklagter
wurde ausgelacht
Er sei zwar nicht direkt gemobbt worden, ausgelacht aber schon. „Weil er sich einfach anders verhalten hat. Weil man gewusst hat, er ist halt nicht ganz normal.“ Der Mitschüler habe seine „Ansprechpartner“ gehabt, mit denen er im Pausenhof zusammengestanden sei. „Dass er einen guten Freund gehabt hätte, daran kann ich mich nicht erinnern.“
Auch bei den Pfadfindern sei Sebastian T. eher am Rand gestanden. „Wenn man was gespielt hat, dann hat es mit ihm immer eine Zeit gedauert, bis es gelaufen ist.“ Die Kameraden seien von ihrem langsamen Spielkameraden „genervt“ gewesen und hätten ihm zu verstehen gegeben, „dass er mehr folgen sollte“.
Inwiefern diese Züge der Persönlichkeit für Schuld oder für Unschuld sprechen können, dazu wird wohl erst der psychiatrische Gutachter Dr. Rainer Huppert etwas sagen. Er soll am 22. Dezember aussagen.
Es geht offenbar bei der Beweisaufnahme auch darum, einen Beweis zu führen: den Beweis für die Sorgfalt, die die Polizei bei der Ermittlung in diesem Mordfall walten ließ. Geladen wurde auch der Mann, der unwissentlich die falsche Spur legte, die der Polizei viel Mehrarbeit beschäftigte: der damals 32-jährige Mann aus Baden-Württemberg, der seine Armbanduhr der Marke „Holzkern“ nach einem Ausflug bei einer Firmenfeier im Bärbach verlor.
Gefunden wurde die Uhr im Bärbach, neben einem Ring, der Hanna gehört hatte. Die Polizei konnte daher einen Zusammenhang mit der Tat annehmen oder zumindest nicht ausschließen. Wochenlang forschten die Ermittler nach dem Eigentümer der Uhr, sogar über „Aktenzeichen XY“. Schließlich, ein Vierteljahr nach Sebastian T.s Verhaftung, wurde der Mann ausfindig gemacht – er stand in keinerlei Verbindung zur Tat. Am Dienstag erschien er dessen ungeachtet in Traunstein und schilderte, wie er die Uhr verlor.
Es geschah am Mittwoch, 28. September, zum Abschluss eines Firmenausflugs mit der Bergbahn zur Kampenwand, wo er und Kollegen zu Abend gegessen hatten. „Ich war kurz austreten“, sagte der Zeuge. „Ich bin einen Schritt zu weit gegangen und in den Bach gefallen.“ Beim Rausklettern sei ihm die Uhr abhandengekommen. So könnte der Zeuge schließlich ins Protokoll eingegangen sein: als vortreffliches Beispiel, wie nah Erkenntnisgewinn und Sackgasse beisammen liegen können. Und als Beispiel dafür, wie penibel die Polizei auch die letzten Detailfragen klären wollte.
Sechs, sieben Stunden
konfrontative Fragen
„Nachdem es so aussieht, als werde der Angeklagte keine Angaben machen“, wie Richterin Aßbichler feststellte, werde man um eine konfrontative Befragung der wichtigsten Zeugin, der Freundin aus Förderschulzeiten, nicht herumkommen. Die Vernehmung wird voraussichtlich am Dienstag, 5. Dezember, sein. Man werde sich Zeit für die Zeugin nehmen, sagte Aßbichler, die mit sechs, sieben Stunden Verhandlungsdauer rechnet.
Sechs, sieben Stunden Strapazen für eine junge Frau, die in den beiden Vernehmungen zuvor weder lügen noch ihren Schulfreund belasten wollte. Und die der einschüchternden Atmosphäre eines Mordprozesses kein gutes Nervenkostüm entgegensetzen kann.