Rosenheim/Frasdorf – So schnell wird sich nicht heilen lassen, was FlexiCamper bei Hunderten Menschen auch aus der Region Rosenheim angerichtet hat. Sie hatten für ihren Lebenstraum vom Wohnmobil ihr sauer erspartes Geld hingeblättert. Und schauen nun, nach der Pleite des Rosenheimer Camper-Anbieters, in die Röhre.
Da wirkt die Nachricht vom Schlag der Polizei gegen die Strippenzieher der Skandal-Firma wie Balsam auf Wunden. „Das ist ja ein Ding“, freut sich Jörg Gauder aus Köln, als ihn der Anruf des OVB erreicht. „Das ist ja mal eine richtig gute Nachricht. Das freut mich!“ Und Jürgen Deinhart aus Siegsdorf ist aus dem Häuschen: „Wow, das ist eine Super-Nachricht!“
Festnahme der
Hauptverdächtigen
Was da so viel Freude auslöste, war dieser Zugriff der Polizei: In den frühen Morgenstunden des 14. November hatte die Polizei frühere Firmensitze und Niederlassungen von FlexiCamper sowie Wohnungen durchsucht – zeitgleich und wohl koordiniert in sieben Bundesländern.
Den Ermittlern fielen nicht nur Unterlagen und Datenträger in die Hände. Sie konnten auch die beiden Hauptverdächtigen festnehmen. Die beiden – Jessica K., die 34-jährige ehemalige Geschäftsführerin der Pleite-Firma, sowie Siegfried H., deren 61-jähriger Lebensgefährte – sitzen nun in Untersuchungshaft.
Nach Angaben von Polizei und Staatsanwaltschaft sind sie, ebenso wie vier weitere Beschuldigte, dringend der Insolvenzverschleppung sowie des Betruges verdächtig. Sie sollen, so sieht es die Staatsanwaltschaft II in München, hohe Anzahlungen von Wohnmobilkäufern entgegengenommen, die Autos in vielen Fällen jedoch nicht geliefert haben.
Rund 30000 Euro haben Annett Liedtke und Jürgen Deinhart angezahlt. Fast 60000 Euro waren es bei Jörg Gauder. Nicht nur, dass sie viel Geld und ihren Lebenstraum von Unabhängigkeit beim Reisen im Alter verloren haben.
Ihnen kam auch das Vertrauen abhanden. Das Vertrauen in andere Menschen nicht weniger als das in das eigene Urteilsvermögen. „Wir hatten lange dafür gespart“, sagt etwa Jürgen Deinhart. „Das war unser Lebenstraum.“ Der Erfolg der Polizei baut diesen Lebenstraum nicht wieder auf, davon ist auch er überzeugt. Dennoch freut ihn die Aktion. „Von unserem Geld sehen wir wahrscheinlich nicht viel wieder“, sagt er. „Aber es ist eine Genugtuung. Die Schuldigen kommen nicht einfach davon. Dass die zur Rechenschaft gezogen werden, war so etwas wie das Minimalziel.“
Das Insolvenzverfahren für FlexiCamper wurde im August eröffnet und steht nach den Worten von Insolvenzverwalter Klaus Martin Lutz noch immer ziemlich am Anfang: An der ursprünglichen Perspektive von drei bis fünf Jahren habe sich durch den Schlag der Polizei gegen die Flexi Camper-Strippenzieher nicht viel geändert. Denn die Dimensionen sind gewaltig. „Das ist Wirecard im Kleinen“, sagt der Jurist von der Rosenheimer Rechtsanwaltskanzlei Kugler Lutz Multrus Fricke. „Eine mittlere Katastrophe.“ Über 100 Betroffene hätten sich gemeldet, sagte er dem OVB. Bei etwa 18,5 Millionen Euro liegen die Forderungen. Die Arbeit entwickle sich zäh, auch weil Behörden wie Zulassungsstellen nicht immer eifrigst kooperierten. „Da mahlen die Mühlen manchmal schon langsam“, sagt Lutz. Insgesamt 700 Leitz-Ordner seien zu sichten, manche Belege aber auch erst noch herbeizubringen. Nach seiner Schilderung ähnelt das Geschäftsgebaren von Flexi Camper einem finanziellen Hütchenspiel. Nie weiß man wirklich, wo sich wann welche Summe befindet. Immer wieder versuchten die FlexiCamper-Mitarbeiter wohl auch, Löcher zu stopfen, wo sie besonders nervten. Etwa, wenn Gläubiger Druck über Anwälte machten. Oder wenn Banken auf Rückzahlungen pochten. Dann musste Geld locker gemacht werden, und wenn Fahrzeuge dazu unter Wert verkauft werden mussten.
Ein Kunde muss sich im Durcheinander der Flexi Camper-Abwicklung bereits als großer Gewinner gefühlt haben.
Er erhielt ein neues Mobil, allerdings ohne Papiere, weil die noch bei der Bank lagen. Dazu übergab ihm FlexiCamper noch ein Fahrzeug aus dem Wagenpark der Miet-Camper. „Er musste nach der Pleite beide Fahrzeuge zurückgeben“, sagte Lutz.
Wie viel er und andere geprellte Kunden von ihrem Geld zurückerhalten, ist von vielen Faktoren abhängig. Banken haben in solchen Verfahren meist eine starke Stellung und bevorzugten Zugriff. Unklar ist noch, wie viel Geld auf Konten der beiden Festgenommenen ruht oder was die an verschiedenen FlexiCamper-Standorten unter anderem in Rosenheim und Frasdorf sichergestellten Camping-Mobile wert sind. Aber auch Lutz geht davon aus, dass das Geld der Kunden zu einem großen Teil verloren ist.
Von „sehr umfangreichen Ermittlungen“ spricht derweil Stefan Sonntag, Sprecher des Polizeipräsidiums Oberbayern Süd in Rosenheim. Es seien sehr viele Geschädigte, und es werden immer mehr. „Wir können noch gar nicht sagen, wie lange es dauert.“
Umfangreiche
Datenauswertung
Warum Polizei und Staatsanwaltschaft eine Woche verstreichen ließen, bevor sie die Öffentlichkeit informierten, erklärte Sonntag mit dem Abstimmungsbedarf zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft.
Nun liege die Auswertung der sichergestellten Unterlagen und Datenträger bei den Experten für Wirtschaftskriminalität. Zusammengefasst sind die Beamten in der Ermittlungsgruppe Camper – organisatorisch vergleichbar mit einer Soko, nur mit „weniger Ermittlern“, wie Sonntag sagt.