Teddybär für trauernde Kinder

von Redaktion

Krisenintervention statt Netflix: Sophia Huber und die Johanniter

Rosenheim/Mühldorf – Notfallrucksäcke, Einweg-Patientendecken, Verbandskoffer – und mittendrin ein Teddybär. Das Stofftier gehört zur Grundausstattung der Krisenintervention der Johanniter. Sophia Huber (25) hofft allerdings, dass der Bär so schnell nicht zum Einsatz kommt. Denn er soll Kinder trösten, die ihre Eltern verloren haben.

Eigentlich schreibt OVB-Redakteurin Sophia Huber viel lieber Geschichten über andere – statt sich selbst in den Mittelpunkt einer Zeitungsstory drängen zu lassen. Der Rollentausch kostet sie Überwindung, aber in diesem speziellen Fall kommt sie nicht darum herum, wo doch die Weihnachtsaktion „ihrer“ Zeitung diesmal „ihren“ Johannitern gewidmet ist, die seit ihrer Gründung 1991 eine ebenso bemerkenswerte wie rasante Entwicklung genommen haben.

Ständig neue Gesichter, neue Aufgaben, neue Teams: Als Mitglied der erst 2020 gegründeten Krisenintervention steht Sophia Huber exemplarisch für diesen Aufschwung. Statt es sich auf der Couch gemütlich zu machen und Netflix-Serien anzuschauen, opfern mittlerweile 23 der 150 ehrenamtlichen Johanniter-Retter ihre Abende und Wochenenden lieber für Kurse, Fortbildungen, Hospitationen, Prüfungen, Supervisionen oder Einsatzfahrten in der Krisenintervention.

Und so ist der Bau des neuen Johanniter-Zentrums Oberbayern Südost in Wasserburg unausweichlich geworden. Jeder Cent der Weihnachtsaktion „OVB-Leser zeigen Herz“ (Kontonummern siehe Grafik) fließt in das Großprojekt, das die Johanniter zu einem Großteil selbst mit Spenden stemmen müssen.

Mitten im Interview geht der Piepser los

Auch Huber stemmt so manches. Es ist 10.11 Uhr, mitten im Interview klingelt der Piepser. „Ein THL-Einsatz“, sagt die 25-Jährige noch kurz beim Aufstehen, dann ist sie weg. Nach einer Stunde kommt sie wieder. Dann wird einiges klar: Die Abkürzung THL steht im Retter-Jargon für Technische Hilfeleistung. Und: Der Alarm kam gar nicht über die Johanniter, sondern über die Feuerwehr. „Ja, da bin ich auch aktives Mitglied“, grinst sie.

Kein Wunder also, dass die Wasserburgerin weder Zeit für TV-Serienabende noch zum Musikmachen hat. Die Jungredakteurin würde gern öfter zu Querflöte, Klarinette und Saxofon greifen. Auch für eine Beziehung ist, zumindest jetzt, kein Platz in ihrem Leben. Warum sie auf so manches verzichtet? „Weil es sehr erfüllend sein kann, Menschen in schwierigen Situationen beizustehen“, antwortet Huber. Und: „Man lernt was fürs Leben.“

Beim Feuerwehr-Einsatz ging es darum, eine verletzte Patientin per Drehleiter aus dem zweiten Stock zu holen, weil es für die Rettungssanitäter mit der Trage im engen Treppenhaus kein Durchkommen gab. Krisenintervention war hier nicht erforderlich – in anderen Fällen schon.

Dann bleiben die Kräfte der Kriseninvention da, wenn der Rettungsdienst weiter zum nächsten Einsatz muss. Sie sind diejenigen, die sich in extrem belastenden Momenten um Angehörige oder auch Opfer von Gewalttaten kümmern; diejenigen, die Schmerz oder Wut aushalten, teilen, mildern können.

Für Krisenintervention und Feuerwehr benutzt Huber gleich vier Kanäle gleichzeitig: Drei Retter-Apps auf dem Handy und den Piepser – soziale Medien, reduziert aufs Wesentliche: schnell zur Stelle sein, anpacken, helfen, begleiten, trösten, retten.

Die Johanniter schenken Betroffenen in dieser akut traumatischen Situation, oft nach einem schweren Schicksalsschlag, psychosozialen Beistand. „Dafür ist nicht jeder geeignet“, erklärt Ralph Bernatzky (43), Leiter und treibende Kraft beim Aufbau des 23-köpfigen Teams. Man muss mindestens 23 sein, offen, empathiefähig – und über eine gesunde Selbstwahrnehmung verfügen. Aber das ist nur der Anfang. Der Weg zur Fachkraft für Psychosoziale Akuthilfen ist weit. Er führt über 108 Kursstunden, dazu kommen etwa 60 Stunden für die Sanitätshelferausbildung. Dieses enorme Pensum hat Sophia Huber schon erfüllt, jetzt muss sie noch auf die erforderlichen zehn Hospitationsschichten kommen, das sind Einsatzfahrten zusammen mit einer erfahrenen Fachkraft für Psychosoziale Akuthilfen.

Zwei Einsatzfahrten hat die 25-Jährige schon hinter sich. Bei einer davon, in Vogtareuth, ging es um die Überbringung einer Todesnachricht, zusammen mit der Polizei. Am schlimmsten ist es, wenn Eltern ihre Kinder verlieren – oder umgekehrt, Kinder ihre Eltern. Kriseninterventionsleiter Bernatzky kann sich noch gut an einen Einsatz vor Jahren erinnern, als er drei Kindern – zwölf, acht und drei Jahre – klar machen musste, dass Papa und Mama tot sind. Sie waren mit einem Auto in einen Fluss gestürzt und ertrunken.

Für solche Tragödien ist der Johanniter-Teddybär gedacht. Ein Stofftier zum Kuscheln und Festhalten – in der Stunde eines schmerzhaften Verlustes. Sophia Huber: „Ich hätte nichts dagegen, wenn er noch möglichst lange nicht zum Einsatz kommen würde. Er darf ruhig in unserer übervollen Dienststelle verstauben.“

Zahlschein liegt der heutigen Ausgabe bei

Überweisungsträger (Zahlscheine) für die Weihnachtsaktion „OVB-Leser zeigen Herz“ liegen der heutigen Ausgabe bei.

Das Projekt

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