Mit Drohne und Hydro-Mechaniker

von Redaktion

Die Lage im Mordprozess um den gewaltsamen Tod von Hanna W. in Aschau bleibt unübersichtlich. Die Anwälte von Sebastian T. wollen mit neuen Gutachtern die Wende erreichen. An ihrem Einsatz gibt es aber auch Zweifel.

Aschau/Traunstein – Wer war schuld am Tod von Hanna W. aus Aschau? Aus Sicht der drei Verteidiger des Angeklagten Sebastian T. wäre der Fall gewonnen, wenn die Antwort auf diese Frage „Niemand“ lauten würde. Wenn Hanna W. ihr Leben vor 14 Monaten also durch einen Unfall verloren hätte.

Diese Version wollen sie erhärten; daher der Beweisantrag, den Regina Rick, Harald Baumgärtl und Dr. Markus Frank im Landgericht Traunstein stellten. Um dies zu erreichen sollen Fachleute prüfen, welche Kräfte ein Fluss bei Hochwasser entwickelt. Und ob diese Kräfte einem Körper die Verletzungen zufügen kann, die Hannas Körper aufwies.

Warum die
neuen Gutachter?

Rückblende: Am 3. Oktober 2022 macht sich Hanna W. (23) frühmorgens auf den Heimweg von einem Party-Abend. Es ist kurz vor halb drei nachts, als sie den Club „Eiskeller“ in Aschau verlässt. Nicht einmal 900 Meter ist ihr Elternhaus entfernt. Doch sie kommt nie zu Hause an.

Zwölf Stunden später, am Nachmittag des 3. Oktober, entdeckt ein Spaziergänger ihre Leiche in der Prien – über zehn Kilometer von Aschau entfernt. Sie weist schwere Verletzungen auf, Spuren wohl eines Gewaltverbrechens. Täter soll, zu diesem Schluss kommt die Polizei gut sechs Wochen später, Sebastian T. gewesen sein. Er soll Hanna heimtückisch und aus sexuellem Interesse angefallen, brutal geschlagen und in den Fluss geworfen haben, wo sie ertrank.

War es tatsächlich so? Ist Sebastian T. ein Mörder? Nach sechs Wochen Prozess ist die Lage unübersichtlich.

War es Mord? Darauf deuten die Verletzungen hin, die Hanna zugefügt worden waren. Und zwar ziemlich eindeutig, wie Walter Holderle, der Anwalt von Hannas Familie, dem OVB erklärte. Die Verletzungen, im Zusammenhang betrachtet, ließen sich mit einem Unfallgeschehen nicht in Einklang bringen. Das hätten die gerichtsmedizinischen Aussagen der Gutachter ergeben.

Diese Gewissheit wollen die Verteidiger erschüttern. Sie sprechen von der Möglichkeit eines Unfalls. Und dieser Möglichkeit gilt auch der Beweisantrag, den die drei Rechtsanwälte von Sebastian T. stellten. Es gehe darum, zu zeigen, dass ein Körper – wenn da Stufen oder andere Hindernisse im Weg sind – „sehr wohl im fließenden Gewässer erhebliche Verletzungen erleiden kann, die möglicherweise in Einklang zu bringen sind mit den Verletzungen, die wir hier bei unserem Opfer vorgefunden haben“, sagte Harald Baumgärtl aus Rosenheim.

Ein Experte für das
Verhalten von Wasser

Regina Rick aus München erklärte gegenüber den Oberbayerischen Heimatzeitungen, wie die Gutachter arbeiten. Der Antrag ziele auf die Einvernahme eines Sachverständigen für Hydromechanik. Also eines Fachmanns, der erklären kann, wie sich Wasser verhält und welche Kräfte es entwickelt. Der bereits zuvor geladene Sachverständige Jiri Adamec habe eingeräumt, dass er über Verletzungen in Gewässern nicht viel sagen könne, sagte Rick. „Das kann ein Hydromechaniker.“

Der Hydromechaniker rechne die Fließgeschwindigkeit der Prien aus. Davon ausgehend beschreibe er die Dynamik einer Wasserwalze, wie sie sich nach einer Stufe oder einem Absturz bilde. Darauf könne Professor Dr. Syn Schmitt aus Stuttgart aufbauen. „Er kann mit seiner Computersimulationstechnik etwas dazu sagen, wie diese Verletzungen zustandekommen und ob diese Fließgeschwindigkeiten geeignet sind, diese Verletzungen hervorzurufen.“

Syn Schmitt wurde in einem aufsehenerregenden Prozess bekannt. Seine Simulation zeigte, dass das vermeintliche Opfer im Badewannen-Mordfall einem Unfall erlegen war. Es war die Entscheidung zugunsten Manfred Genditzkis, der über 13 Jahre lang unschuldig im Gefängnis gesessen hatte.

Nebenkläger-Anwalt Walter Holderle aus Rosenheim zeigte sich irritiert. Ein objektiver Beobachter könne sich über den Beweisantrag nur „verdutzt“ äußern. „Das Typische für einen Beweisantrag ist ja, dass eben eine Beweisbehauptung aufgestellt und zum Beweis dieser Tatsache dann der Sachverständige angeboten wird.“ Die Verteidigung habe aber lediglich eine Hypothese aufgestellt, eine Annahme, die in „keinster Weise“ bewiesen sei.

Verteidiger Baumgärtl hatte einen Abflug der Prien mit der Drohne angeregt. Auf diesem Weg könnte nachgeprüft werden, ob in diesem Abschnitt überhaupt Wehre oder Brückenpfeiler zu finden sind.

Prien-Überflug: Video
wird ausgewertet

Davon könnte abhängen, ob der Hydromechaniker als Gutachter überhaupt geladen wird. Wenn das Video vom Drohnenflug gezeigt wird, soll er für eine „informatorische“ Befragung dabei sein, erklärte Harald Baumgärtl dem OVB . Nicht um ein Gutachten zu erstellen, sondern um Klartext zu reden – ob ein aufwendiges Gutachten überhaupt sinnvoll und erforderlich sei.

Polizeibeamte aus Roth bei Nürnberg haben mittlerweile mit einer Drohne die Prien abgeflogen. Die Videoaufzeichnung werde gerade aufbereitet, sagte Baumgärtl. Auch würden Fotos gemacht, von Stellen, wo Verletzungen entstehen könnten.

„Uns liegen bereits Lichtbilder vor“, sagte Verteidiger Dr. Markus Frank. „Von einem Elektrizitätswerk, welches über einen Rechen verfügt, mit dem wir von der Verteidigung die Verletzungen zumindest zu einem erheblichen Teil erklären können.“

Eltern-Anwalt erwartet
wenig von Drohne

Nebenklägeranwalt Holderle erwartet wenig vom Flug-Film. „Dass es da einige Wehre gibt, glaube ich schon“, sagte er dem OVB. Ob die zu dem Zeitpunkt, da der Bärbach und die Prien so viel Wasser gehabt haben, überhaupt eine Rolle gespielt hätten, oder ob das Wasser so hoch gestanden sei, dass es einfach drüberfließen konnte, könne man letztlich nur vermuten. „Da wird der Drohnenflug auch keinen Aufschluss bringen.“

Die Hauptbelastungszeugen werden nun nochmals als Zeugen zu hören sein: Verena R., die Schulfreundin des Angeklagten, sowie ihre Schwester werden am 5. und am 7. Dezember einvernommen. Für die Schulfreundin wird es der dritte Auftritt sein. Bei ihren beiden bisherigen Vorladungen war die sichtbar aufgeregte Zeugin von der Situation überlastet und verwickelte sich in Widersprüche. Daher war sie beim zweiten Mal bereits audiovisuell zugeschaltet.

Am 12. Dezember werden voraussichtlich Details besprochen, die die Polizei beim Auslesen von Sebastian T.s Handys entdeckt hat – etwa Gewaltvideos und Spiele. Auch sollen Chatverläufe ergründet werden. Besagte Gutachter werden in diesem Jahr sicherlich nicht mehr vor Gericht aussagen.

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