Eine rätselhafte Entscheidung

von Redaktion

Erst kam die Verteidigerin zu spät zur Verhandlung am Landgericht Traunstein. Dann verweigerte die Hauptbelastungszeugin (21) im Fall Hanna die Aussage. Eine rätselhafte Entscheidung, die Konsequenzen für den weiteren Mordprozess haben kann.

Traunstein/Aschau – Die 21-jährige Frau schwieg am Dienstag, 5. Dezember, am Landgericht Traunstein. Und zwar, um sich nicht selbst belasten zu müssen. Damit endete der 17. Verhandlungstag gegen Sebastian H. wegen heimtückischen Mords an der Studentin Hanna W. schon fast wieder.

Stundenlange
Anhörung geplant

Eigentlich hatte die Zweite Jugendkammer mit Vorsitzender Richterin Jacqueline Aßbichler sechs bis sieben Stunden für die dritte Anhörung der „besten Freundin“ des Angeklagten und das eineinhalbstündige Video von ihrer früheren Vernehmung bei der Polizei eingeplant.

Die Staatsanwälte Wolfgang Fiedler und Florian Jeserer werfen dem Ausbildenden vor, die 23-jährige Medizinstudentin Hanna W. in der Nacht des 3. Oktober 2022 gegen 2.30 Uhr beim nächtlichen Joggen auf deren Heimweg vom Lokal Eiskeller in Aschau verfolgt zu haben. Danach habe er sie in sexueller Absicht angegriffen und mit einem Gegenstand niedergeschlagen. Danach soll der Tatverdächtige die bewusstlose Frau in den Bärbach geworfen haben, wo sie bei Hochwasser und Kälte ertrank. Zwölf Stunden darauf sichtete ein Lehrer den Leichnam in der Prien bei Kaltenbach.

In dem wohl mindestens bis März dauernden Prozess schwieg der Angeklagte von Beginn an. Und nun auch seine „beste Freundin“ (21).

Die kannte er aus der gemeinsamen Schulzeit in Marquartstein. Ihr soll er die Tat einen Tag vor seiner Festnahme bei einer Party in deren Elternhaus in Traunstein gestanden haben. Er soll gesagt haben: „Ok, dann war ich es halt. Ich hab‘ sie umgebracht.“ Außerdem soll er die Zeugin bereits am Abend des 3. Oktober 2022 bei einem Spaziergang gefragt haben: „Hast du gewusst, dass in der letzten Nacht in Aschau eine junge Frau umgebracht wurde?“ Dann habe er hinzugefügt: „Das tut mir leid, weil ich Hanna gekannt habe.“

Wenn die Darstellung der 21-Jährigen stimmt, hätte der 21-Jährige Täterwissen geäußert. Der Grund: Zur Zeit des Spaziergangs in Aschau, gut einen halben Tag nach dem Tod der Studentin, war in der Öffentlichkeit noch nichts über das Verbrechen und die Identität der Toten bekannt. Nach Schilderung der Zeugin hielt ihr der 21-Jährige nach der Bemerkung über das tote Mädchen an jenem Abend auch noch ein Messer an den Hals und sagte: „Haha, jetzt bring ich dich um.“

Die erste Zeugenvernehmung der 21-Jährigen am vierten Prozesstag hatte das Gericht abgebrochen. Die junge Frau war von der Situation im voll besetzten Gerichtssaal und mit dem „besten Freund“ nur wenige Meter entfernt auf der Anklagebank sichtlich überfordert. Mehrmals war die Zeugin in Tränen ausgebrochen. Widersprüche zu Angaben bei der Polizei konnte sie nicht erklären.

Für die zweite Vernehmung Mitte November hatte die Jugendkammer auf Antrag von Zeugenbeistand Andreas Leicher aus Rosenheim die Anhörung per Videotechnik bewilligt. Die 21-Jährige wiederholte im Grunde, was sie bereits beim ersten Mal vor Gericht geschildert hatte. Die Vorsitzende Richterin kommentierte die zweite Aussage: „Es ist sonnenklar, dass es im Randgeschehen Widersprüche gibt. Genauso klar ist, dass sie einer Konfliktbefragung durch die Verteidiger nicht gewachsen ist.“

Genau diese „Konfliktbefragung“ war für den Dienstag (5. Dezember) erwartet worden. Die Pflichtverteidiger, Harald Baumgärtl und Dr. Markus Frank, beide aus Rosenheim, sowie die Mitte November hinzugekommene Wahlverteidigerin Regina Rick aus München hatten eine „harte Befragung“ angekündigt. Offenbar auch zur Überraschung der Verteidiger sagte Zeugenbeistand Andreas Leicher aus Rosenheim, seine Mandantin verweigere die Aussage „nach Paragraf 55“.

Gründe nannte Leicher nicht. Dieser Paragraf im Strafgesetzbuch erlaubt Zeugen zu schweigen – falls sie sich im Fall einer wahrheitsgemäßen Aussage „selbst belasten müssten“. Nach einer Pause erklärte Verteidigerin Rick, aufgrund der momentanen Situation sei die Vorführung des Polizeivideos von der Vernehmung der 21-Jährigen „unzulässig“. Die Verteidigung sei mit der Augenscheinnahme nicht einverstanden.

Einen formellen Widerspruch legten die Anwälte allerdings – noch – nicht ein. Staatsanwalt Wolfgang Fiedler stellte fest, die Zeugin habe schon zweimal vor Gericht ausgesagt. Das Polizeivideo sei lediglich eine „Ergänzung“. Die Vorsitzende Richterin ging auf einen Antrag der Wahlverteidigerin ein, andere Sitzungstage als Dienstag und Donnerstag zu bestimmen. Das sei aufgrund der Raumnot bei der Traunsteiner Justiz nicht möglich, betonte Jacqueline Aßbichler.

Großverfahren
im neuen Jahr

Mehrere Großverfahren mit bis zu sechs Angeklagten stünden ab Januar bevor. Regina Rick habe ab Mitte Januar bis Mai 2024 ein Mandat in Ingolstadt angenommen. Eine Verpflichtung mit den gleichen Sitzungstagen. Da müsse sie sich entscheiden. Die Kammervorsitzende sicherte der Anwältin zu, sie werde „volle Akteneinsicht“ erhalten. Dort seien „alle wesentlichen“ Fakten erfasst. „Wenn erkennbar ist, dass etwas mit dem Fall nichts zu tun hat, wird es nicht Bestandteil der Akten“, hob Aßbichler heraus.

„Alles herbeizuschaffen, was man kann“, bat daraufhin die Verteidigerin. Bei den Handydaten beispielsweise müsse es mehr geben. Dazu konstatierte Staatsanwalt Wolfgang Fiedler: „Ich versichere, dass keine Sachen versteckt werden. Ihre unterschwelligen Vorwürfe sind angekommen. Jeder versteht, was Sie damit sagen wollen.“ Der Prozess geht am Donnerstag, 7. Dezember, um 9 Uhr mit der 18-jährigen Schwester der 21-Jährigen weiter.

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