Ein Puzzle mit vielen Teilen

von Redaktion

Fall Hanna Zwischenbilanz nach den ersten zwei Prozess-Monaten

Aschau/Traunstein – Wenn am heutigen Dienstag die Zweite Jugendkammer des Landgerichts Traunstein zum 19. Verhandlungstag im Mordprozess um den Tod von Hanna W. zusammenkommt, werden zwei Monate seit dem Prozessauftakt vergangen sein. Und ziemlich zu Beginn ereignete sich etwas Mutiges und Berührendes: Am zweiten Tag sagten die Eltern und der Bruder der jungen Studentin aus Aschau aus.

Die Familie zeichnet
ihr Bild von Hanna

Sie gaben ein beeindruckendes Bild der 23-Jährigen wieder: Das Bild einer weltoffenen, liebenswürdigen, hilfsbereiten und selbstständigen jungen Frau, die im Mittelpunkt eines großen Kreises von Freunden und Bekannten stand. So sei ihre Hanna gewesen. Ein Mensch, der einfach positiv auf andere gewirkt habe, wie ihre Mutter Rosalie (53) sagte. 60 Tage danach ist ein Ende des Mordprozesses nicht abzusehen. Hannas Bild beginnt zu verblassen, es scheint im Moment hinter einem Dickicht aus Aussagen, Indizien und Gutachten verborgen.

Immer wieder
Überraschungen

Und immer wieder gibt es überraschende Wendungen. So wie am Donnerstag, als Manfred Genditzki im Besucherbereich des großen Saals Platz nahm, der im Sommer sensationell freigesprochene Hausmeister aus dem Fall des „Badewannen-Mords“. Nicht nur als interessierter Beobachter, sondern auch, um gemeinsam mit seiner damaligen Anwältin Regina Rick von Traunstein aus über Salzburg nach Düsseldorf zu reisen. Die beiden hatten am Donnerstagabend ihren Auftritt in „Menschen, Bilder, Emotionen“, dem Jahresrückblick 2023 bei RTL. Eine Aktion, die in Traunstein für Irritationen sorgte. Schließlich ist Regina Rick aktuell die Wahlverteidigerin von Sebastian T. Und Manfred Genditzki, der Mandant, der Regina Rick weit über die Grenzen Bayerns hinaus bekannt machte, nahm direkt neben den Angehörigen des Angeklagten Platz.

„Hannas Eltern haben das mitbekommen und waren etwas erstaunt, weil sie ja keinen Zusammenhang sehen zwischen Manfred Genditzki und dem vorliegenden Fall“, kommentierte Nebenkläger-Anwalt Walter Holderle gegenüber dem OVB Genditzkis Erscheinen. „Die Eltern können also nur mutmaßen, dass da eine Verbindung konstruiert werden soll, die für sie sehr verstörend ist.“

Überhaupt gehe es nicht nur um den mutmaßlichen Täter, sondern auch um die getötete Hanna und deren Eltern, die immer noch viel erdulden müssten. „Die können mit der Art, mit der teilweise von der Verteidigung vorgegangen wird, sehr schlecht umgehen.“

Verstörendes könnte auch der 19. Verhandlungstag am Dienstag bringen. Laut Walter Holderle ein Tag, der wichtige Einblicke gewähren könnte. „Die Sachen, die wir am Dienstag hören und sehen werden, sind wichtig“, meint Holderle.

„Da wird, so glaube ich, für den Angeklagten einiges dabei sein, was ihm nicht besonders gefallen wird. Weil man da halt sieht, mit was sich er sich so beschäftigt hat.“ Es werden also wohl Videos zu sehen sein, ebenso Seiten, die er sich im Internet angesehen hat. „Das wird nicht besonders appetitlich werden“, prophezeit der Rosenheimer Rechtsanwalt.

„Knastzeuge“ im
besonderen Fokus

Auch die Verteidiger setzen auf Einblicke – auf Einblicke in die Persönlichkeit des sogenannten Knastzeugen. Der war Sebastian T. in der Untersuchungshaft näher gekommen, hatte sein Vertrauen gewonnen und, so sagte er aus, ein schockierendes Geständnis gehört. Sebastian T., so erzählte der Häftling, habe ihm den Mord an Hanna gestanden. Er war der Überraschungszeuge im bisherigen Prozessverlauf, er hatte sich einige Tage nach dem Auftakt überraschend über seinen Anwalt bei der Staatsanwaltschaft gemeldet.

Was naturgemäß Zweifel bei der Verteidigung weckt. „Man muss bei Gefängniszeugen besonders vorsichtig sein“, sagte Pflichtverteidiger Harald Baumgärtl. Es gelte zu prüfen, ob dieser Zeuge wahrheitsgemäße Angaben gemacht habe oder eben nicht. „Dazu ist es schon notwendig, dass man sein Vorleben mal ein bisschen durchleuchtet.“

Darum geht es also in dem Beweisantrag, den die Münchner Rechtsanwältin Regina Rick im Namen des Verteidiger-Trios vortrug. Es geht um Zeugnisse, die Rückschlüsse auf die Persönlichkeitsstruktur des Untersuchungshäftlings zulassen. Um Unterlagen aus vorangegangenen Verfahren etwa, aber auch um die Beurteilung einer Psychologin, die den Mann in der Untersuchungshaft betreute. Wie wichtig die Rolle des Gefängnis-Genossen von Sebastian T. in diesem Prozess werden wird, hängt auch davon ab, welche Glaubwürdigkeit die Hauptbelastungszeugin und deren Schwester genießen.

Widersprüchliche
Aussagen verwirren

Die beiden jungen Frauen – die ältere Schwester kennt Sebastian T. seit der Schule – berichteten wiederholt davon, dass Sebastian T. auffällig früh eine beunruhigende Frage gestellt habe: Ob sie gehört hätten, dass eine junge Frau in Aschau umgebracht worden sei. Und dass er an dem durchzechten Abend vor seiner Verhaftung seinen Freunden gestanden habe: „Gut, dann war ich‘s halt. Ich hab sie umgebracht.“

Allerdings äußerten sich die beiden auch öfter widersprüchlich. Verena R. verweigerte zuletzt die Aussage, mit Rückgriff auf Paragraf 55 der Strafprozessordnung. Ihre jüngere Schwester sagte hingegen am Donnerstag aus, dass Sebastian T. die beunruhigende Frage bereits am Abend des 3. Oktober, des Todestages von Hanna, gestellt habe. Wenn das zutrifft, hätte Sebastian T. eindeutig Täterwissen geäußert.

Verteidigung sieht große Diskrepanzen

Doch bestehen nach wie vor Zweifel, ob das Gespräch tatsächlich am 3. Oktober geführt worden ist. „Wesentliche Diskrepanzen, die für die Verteidigung sehr wichtig sind“, entdeckte Verteidiger Dr. Markus Frank in ihrer Aussage.

Nebenkläger-Anwalt Walter Holderle hingegen sieht darin einen „wichtigen Mosaikstein“.

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