Traunstein/Bernau/Rosenheim – Nach dreitägigem Prozess wegen schadensträchtiger Schockanrufe verurteilte die Zweite Strafkammer am Landgericht Traunstein mit Vorsitzendem Richter Volker Ziegler kürzlich einen 30 Jahre alten gebürtigen Ukrainer, der zuletzt in Polen lebte, zu sechs Jahren Freiheitsstrafe. Das Gericht gelangte zu banden- und gewerbsmäßigem Betrug in zwei Fällen und der Beihilfe zum banden- und gewerbsmäßigen Betrug in drei Fällen. Der Angeklagte gehörte einer kriminellen Organisation an, die ihn teils als Fahrer, teils als Abholer einsetzte. Seine sichergestellten Handys wurden samt SIM-Karten eingezogen.
Über Stunden psychischer Druck
Schockanrufe bei meist alten Menschen mit völlig erfundenen tödlichen Verkehrsunfällen und eine ganze Reihe von Angeklagten beschäftigen aktuell gleich mehrere Strafkammern.
Der modus operandi der Banden ist immer gleich. „Keiler“ akquirieren die Opfer via Telefon, erzählen Schauergeschichten über nahe Angehörige, lassen irgendjemanden im Hintergrund „weinen“, üben über Stunden psychischen Druck mit vorgeblichen Amtspersonen wie „Polizisten“ und „Staatsanwälten“ aus, erforschen eventuelle Vermögenswerte und fordern hohe Kautionen, damit die angeblichen „Unfallverursacher“ nicht ins Gefängnis müssen.
„Logistiker“ organisieren Autos samt Fahrer und überwachen die „Abholer“. Bekommen diese Geld und/ oder Wertgegenstände in die Hände, wird die Beute sofort weitergeleitet an die Hintermänner im Ausland. Die letzten in der Kette der Betrügerbanden dürften dagegen nur einige Hundert Euro als Lohn behalten.
In diese kriminellen Methoden war der 30-jährige Angeklagte voll eingebunden nach Überzeugung des Gerichts.
Zwei Fälle ereigneten sich am 8. Dezember 2022 und am 3. März 2023 in Freiburg/Breisgau. Beim ersten Mal verlor eine 78-jährige Frau ihr gesamtes bei einer Sparkasse deponiertes Goldvermögen, darunter elf Goldbarren à 100 Gramm, 27 Gedenkmünzen und 55 österreichische Goldstückchen verschiedener Größe. Der Gesamtschaden summierte sich auf rund 75000 Euro.
Nicht besser erging es am 2. März 2023 einem 91-jährigen schwerhörigen Mann. Seine Tochter glaubte, in der „weinenden Frau“ ihre Schwester zu erkennen. Die Familie gab alles her, um die Frau in Not vor Untersuchungshaft zu bewahren – 15 Goldbarren zwischen je 20 und fünf Gramm, 500 Schweizer Franken, 8100 Euro und mehrere Goldmünzen im Gesamtwert von 30000 Euro. Ende Januar 2023 erhielt ein 88-Jähriger in der Nähe von Stuttgart einen derartigen Schockanruf. Er händigte den Betrügern Geld und Gold mit einem Wert von mindestens 46000 Euro aus.
Die restlichen zwei Fälle spielten am 15. März 2023 im Südosten Bayerns. Eine 81-Jährige in Bernau büßte 40000 Euro ein. Eine Dame vom „Amtsgericht Traunstein“ hatte der Frau vorgespiegelt, ihr Sohn sei in einen tödlichen Verkehrsunfall verwickelt und habe Fahrerflucht begangen. Einen 92-Jährigen legte die Bande in Rosenheim herein. Dieses Mal sollte die Nichte schuld an einem Unfall gewesen sein. Der „Staatsanwältin“ am Telefon erklärte der Geschädigte, er werde die Kaution von 50000 Euro beim Amtsgericht Rosenheim einzahlen. Das versuchte der Mann tatsächlich. Das Amtsgericht verständigte sofort die Polizeiinspektion. Die Beamten klärten den Mann auf und warnten ihn eindringlich vor der Betrugsmasche. Zu Hause waren die Betrüger wieder in der Leitung und spannen die Geschichte mit der Nichte weiter, wie es in der Anklage der Staatsanwaltschaft hieß. Der 92-Jährige glaubte die Story erneut und lieferte der Bande die 50000 Euro doch noch aus.
Monika Kretzmer-Diepold