Rosenheim/München – Ilse Aigner (59) aus Feldkirchen ist Bezirkschefin der Oberbayern-CSU. Seit 2018 ist sie auch Präsidentin des Bayerischen Landtags. Eine Rolle, die sie sehr ernst nimmt. Im OVB-Interview äußert sie sich zu den vielen Herausforderungen der Gegenwart. Und sie äußerte sich darüber, wie sie über die Einhaltung der roten Linien im Landtag wacht.
Gratulation zur Wiederwahl als Präsidentin. Gratulation auch zu einem anderen Titel. Wunderwaffe der CSU. So hat die Bild Sie bezeichnet.
Echt? Habe ich gar nicht mitbekommen.
Freut man sich da als Präsidentin des Landtags? Sie sollten doch über den Parteien stehen.
Mit meiner langen Geschichte kann ich das als Kompliment empfinden. Ich kann beide Ämter gut trennen. Ich bin weiterhin CSU-Bezirksvorsitzende, aber ich weiß sehr wohl, dass ich als Landtagspräsidentin eine überparteiliche Rolle innehabe. Und das beachte ich sehr stringent.
In diese Legislaturperiode sind Sie mit einem besonderen Erlebnis gestartet: Ein Abgeordneter, ausgerechnet der jüngste, ist gleich mal festgenommen worden. Gab‘s das schon mal?
Ich wüsste nicht. Es hat immer wieder mal Ermittlungsverfahren gegeben, ja, auch mehrfach in einer Legislaturperiode. Es gab auch schon mal Durchsuchungen im Haus. Aber eine Festnahme hat es meines Wissens noch nicht gegeben.
Wie hat sich durch den Einzug der AfD in den Bayerischen Landtag das Klima verändert?
Das Klima ist rauer und ruppiger geworden. Das hat man in der letzten Legislaturperiode auch schon an der Anzahl der Rügen erkennen können. Die hat es jahrzehntelang vorher gar nicht gegeben. Aber in der letzten Legislaturperiode waren es 26 im Plenum, daran kann man schon sehen: Da war einiges los. Und es gab auch unschöne Szenen.
Sie zeigen Kante, haben auch schon mal über Bußgelder nachgedacht.
Das müssen wir noch mit den Fraktionen diskutieren. Denn da geht es um eine gesetzliche Änderung, das kann ich nicht einfach per Hausrecht verfügen. Aber es geht. Das sieht man ja auch im Bundestag, und deswegen werde ich das vorantreiben. Das soll keine inflationäre Maßnahme werden. Aber ich stelle schon fest, dass eine Rüge für einige anscheinend ein Kavaliersdelikt ist – oder sogar wie eine Trophäe gehandelt wird. Das kann ich nicht akzeptieren.
Das Klima in Deutschland generell hat sich verändert. Das Geld wird knapp, die Leute sorgen sich um den Besitzstand, die Polarisierung schreitet voran. Was wird das für Auswirkungen auf die Arbeit im Maximilianeum haben?
Die Krisen wirken sich auf die Menschen aus, und damit auch auf die Abgeordneten. Wir haben eine multiple Krisenanhäufung, die ich in der Form auch noch nicht erlebt habe. Und gerade die Krisen im Ausland führen dazu, dass das Wohlstandsversprechen, dass es der nachfolgenden Generation automatisch besser geht, nicht mehr von jedem als garantiert angesehen wird. Das verunsichert die Menschen. Übrigens hat auch die Art der Kommunikation, die Art, wie man sich Informationen beschafft, Auswirkungen. Die sozialen Medien machen etwas mit den Menschen. Es gibt Kräfte in unserem Land, die gehen komplett ihre eigenen Wege. Die halten sich teilweise nur noch in ihren Filterblasen auf, wo sie sich gegenseitig hochschaukeln.
Weil Sie vom Wohlstandsversprechen sprachen: Es zu geben, wäre das heute noch ehrlich?
Grundsätzlich muss man sagen, dass wir immer noch in einem Land leben, das viele Menschen auf der ganzen Welt als erstrebenswertes Ziel ansehen. Wir haben schon sehr gute Voraussetzungen, gerade in Bayern, mit sehr guten Wirtschafts- und Sozialstrukturen, guten Bildungsstrukturen. Wir können nach wie vor stolz sein, müssen aber etwas dafür tun, dass es so bleibt.
Ja, hierher wollen viele. Wie viele könnten wir noch aufnehmen? Rosenheims Landrat Otto Lederer, sagt, wir seien am Rande unserer Möglichkeiten.
Wenn es so weiter geht, wird es extrem schwierig. Das ist es eigentlich schon jetzt. Deswegen sagen wir ja immer – da spreche ich als CSU-Politikerin – , dass die Ursachen bekämpft werden müssen. Wir brauchen einen wirksamen Schutz der Außengrenzen. Wir werden auch über Zurückweisungen an den Grenzen reden müssen. Denn die, die zu uns kommen, bleiben zu einem Großteil. Und die Rückführung funktioniert nur bedingt gut.
Die vergangene Landtagswahl verschob die Gewichte, auch die CSU hat Prozente verloren. Gibt es Volksparteien an sich noch?
Wir haben immer noch die gleiche Anzahl an Abgeordneten. Und das bei einem verstärkten Bewerberumfeld. Auch die Freien Wähler
haben sich entwickelt, das brauchen wir nicht schönzureden, und von den Diskussionen kurz vor der Wahl haben sie profitiert. Ich glaube, dass viele Menschen auch Denkzettel verteilen wollten, nicht so sehr wegen Bayern, sondern vielmehr aus Unzufriedenheit über die Bundespolitik.
Und nun gibt es in Bayern eine Regierung aus CSU und kraftstrotzenden Freien Wählern. Von wem geht die größere Gefahr für die Volkspartei CSU aus – von den Freien Wählern? Oder von der AfD?
Die Freien Wähler sind unsere Partner, das wird die AfD niemals werden. Gerade zu dieser Legislaturperiode haben sich die vom Personal her nochmals radikalisiert, was man auch an der Festnahme gesehen hat.
In Bayern hat die AfD zugelegt. In drei ostdeutschen Ländern steht die Wahl noch bevor. Ist Ihnen da bang?
Insgesamt sehe ich das natürlich mit Sorge. Ich hoffe aber auch, dass die Menschen nicht nur Denkzettel verteilen, sondern genau hinschauen, wer da in den Landtag einziehen will.
Schauen wir die nächsten fünf Jahre in Bayern an. Wie sehen die Prioritäten für den Landtag aus?
Für den Freistaat Bayern ist am wichtigsten, dass wir wirtschaftlich erfolgreich bleiben. Wirtschaft ist nicht alles, aber ohne Wirtschaft ist alles nichts. Die Steuereinnahmen brauchen wir auch für die Finanzierung der Bildung, und ebenso für die Innere Sicherheit auf dem hohen Niveau, das wir hier haben. Dazu kommen Herausforderungen wie die Energiewende. Und auch der knappe Wohnraum wird ein Thema sein, zudem die Infrastruktur. Und man darf nicht vergessen: Wir sind ein starkes soziales Land. Auch was ehrenamtliche Strukturen betrifft, ist Bayern herausragend.
Ihre Rolle darin?
Dass das im Parlament geordnet funktioniert. Wir sind ein sehr lebendiges Parlament, in dem auch sehr intensiv diskutiert werden darf. Und zu organisieren, dass das reibungslos läuft, und dass auch die Abgeordneten ihren Job machen können – das ist meine Aufgabe. Besondere Bedeutung kommt auch den Ausschüssen zu. Dort wird die Hauptarbeit gemacht. Da sind wir in Bayern vorbildlich. Die sind öffentlich. Und ich kann den Bürgerinnen und Bürgern nur empfehlen, da mal reinzuschauen. Da wird um die Sache hart gerungen. Das alles zu organisieren, bei 203 Abgeordneten und fünf Fraktionen, ist eine Herausforderung, der ich mich sehr gern stelle. Sie ist es mehr als wert.
Ein sehr lebendiges Parlament, in dem manchmal auch jemand rote Linien überschreitet. Wo gibt es für Sie Grenzen?
Persönliche Beleidigungen gehen überhaupt nicht. Man muss immer wieder überlegen, wie und wo man reagiert – so, dass es nicht inflationär wird, aber dass man einschreitet, wenn es zwingend erforderlich ist. Wenn es turbulent wird, ist es gut, wenn man noch mal im Protokoll nachliest. Deswegen haben wir eine Art Videobeweis. So kann man sich im Präsidium nochmals beraten und gegebenenfalls bei der nächsten Sitzung mit einer Rüge nachlegen. Interview: Michael Weiser