Alptraum statt Traumgefährt

von Redaktion

Rosenheimer Firma FlexiCamper zieht Hunderte Kunden über den Tisch und geht insolvent – Hauptverdächtige festgenommen

Rosenheim – Bleiben, dort, wo‘s einem gefällt. Losfahren, wenn einen nichts mehr hält. In der Welt zu Hause, mit dem eigenen Heim stets bei sich: Der Traum vom Camping-Mobil fasziniert Millionen. Für Dutzende, wenn nicht gar Hunderte wurde er 2023 zum Alptraum: Mit der Insolvenz der Rosenheimer Firma FlexiCamper verloren sie ihre Anzahlungen – in den meisten Fällen Zehntausende von Euro.

Von reinem Pech ist nicht auszugehen. FlexiCamper fuhr mit Anlauf gegen die Wand. Betroffene fühlen sich nicht nur geschädigt. Sie fühlen sich ausgenützt und gedemütigt, einige berichteten sogar von Depressionen.

Ein Schlag gegen
die Strippenzieher

Da könnte diese Nachricht im Herbst wie Balsam auf tiefe Wunden gewirkt haben: Am 14. November holte die Polizei zu einem Schlag gegen die FlexiCamper-Strippenzieher aus. In den frühen Morgenstunden durchsuchte die Polizei frühere Firmensitze und Niederlassungen von FlexiCamper sowie Wohnungen. Die Ermittler zogen die Aktion zeitgleich und wohl koordiniert in sieben Bundesländern durch.

Ihnen fielen nicht nur Unterlagen und Datenträger in die Hände. Sie konnten auch die beiden Hauptverdächtigen festnehmen: Jessica K. (34), Geschäftsführerin der Pleite-Firma, und ihr Lebensgefährte Siegfried H. (61), graue Eminenz im undurchschaubaren Firmengewirr von FlexiCamper.

Gegen beide werde unter anderem wegen des Verdachts der Insolvenzverschleppung und des gewerbsmäßigen Betrugs in über 30 Fällen ermittelt, teilte die Staatsanwaltschaft München II mit. Unter ihrer Federführung hatte die Kripo Rosenheim seit August ermittelt. „Wow, das ist eine Super-Nachricht“, freute sich Jürgen Deinhart aus Siegsdorf. Er und seine Lebensgefährtin wurden um 30000 Euro geprellt.

Die Pleite des Wohnmobilunternehmens ist nicht die erste Bruchlandung, die mit Siegfried H. zusammenhängt. Im Gegenteil: Er hat offenbar eine Tradition als Bruchpilot. 2002 ging sein Familienunternehmen in Konkurs. 2016 musste sein Firmen-Konglomerat KTG Agrar Insolvenz anmelden. KTG Agrar galt als größter deutscher Agrarkonzern. Nach Ansicht des Insolvenzverwalters war die KTG-Dachgesellschaft bereits ein Jahr zuvor überschuldet gewesen – mit 600 Millionen Euro Schulden bei 10000 Gläubigern. Siegfried H. wurde dennoch nicht verurteilt: 2019 einigten sich Kläger und Beklagter auf einen Vergleich.

Die Parallelen zwischen den Großschadensfällen von KTG und FlexiCamper sind nicht zu übersehen. Ähnlich wie bei FlexiCamper bauten Jessica K. und Siegfried H. bei KTG ein undurchsichtiges Gewirr von Niederlassungen und Firmen auf, das offenbar noch in jüngster Vergangenheit im Agrargeschäft mitmischte. Beiden Konstrukten lag ein Geschäftsmodell zugrunde, das Finanzfachleute vor Rätsel stellt. In beiden Fällen wurden sehr viele Menschen geschädigt: Tausende im Zuge der Agrarpleite, Hunderte bei FlexiCamper.

Um wie viel Geld es insgesamt geht, ist noch nicht abzusehen. Die Verhältnisse sind unübersichtlich, zur Konkursmasse zählen reihenweise Campingmobile, die aber wohl in den meisten Fällen noch den Banken gehören. Die Buchführung sei chaotisch, berichtet Insolvenzverwalter Klaus Martin Lutz aus Rosenheim. Er schildert Zustände, „wie sie uns in 30 Jahren nicht begegnet sind“. Die Geschäftsunterlagen stellten „einen einzigen Sumpf“ dar, sie seien „zusammenhangslos und unübersichtlich – eine Katastrophe“. Lutz fasst zusammen: „Das ist Wirecard im Kleinen.“

Von weit über Hundert geprellten Kunden, die sich bislang gemeldet hätten, sprach Lutz im November. Die Forderungen lagen damals bei 18,5 Millionen Euro liegen. Gewaltig auch die Dimensionen der Aufräumarbeiten: Lutz spricht von 700 Leitz-Ordnern plus Unterlagen, die erst noch herbeizuschaffen seien. Die Polizei arbeitet ebenfalls weiter an dem Fall. Sie hat die Ermittlergruppe Camper am Start, das ist so was wie eine Soko, nur mit etwas weniger Ermittlern.

Opfer erhalten wohl nur Bruchteil zurück

Die Geprellten werden wohl nur einen Bruchteil des angezahlten Geldes zurückerhalten. Ebenso sicher scheint, dass das OVB in seinem nächsten Jahresrückblick noch keine Erfolgsmeldung verkünden kann. Mit „drei vier, fünf Jahren“ rechnet Lutz.

Jürgen Deinhart hat sich damit offenbar arrangiert. „Von unserem Geld sehen wir wahrscheinlich nicht viel wieder“, sagte er dem OVB. „Aber es ist eine Genugtuung. Die Schuldigen kommen nicht einfach davon. Dass die zur Rechenschaft gezogen werden, war so etwas wie das Minimalziel.“ Michael Weiser

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