Rosenheim/Maitenbeth/Babensham – Eine Welle der Empörung und des Entsetzens ging dieses Jahr durch die gesamte Region, als in Rosenheim, Maitenbeth und Babensham bekannt wurde, dass Geistliche dort Kinder und Jugendliche missbraucht haben sollen. Die erschütternden Enthüllungen, die von belastenden Gutachten und vertuschten Vorfällen bis zur Aberkennung von Ehrenbürgerschaften reichen, legen ein bedrückendes Zeugnis über das jahrelange Leid der Betroffenen und das Versagen der kirchlichen Institutionen ab.
Schwere Unzucht
mit Kindern
Dieses Versagen wurde im März 2023 durch den Fall des 2018 verstorbenen Pfarrers Rudolf Kassian Greihansel, der in Rosenheim jahrzehntelang als Krankenhausseelsorger diente, deutlich.
Durch das Missbrauchsgutachten der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl und durch die Staatsanwaltschaft wird der Geistliche schwer belastet. Anfang der 60er-Jahre war der in der Diözese München-Freising tätige Priester bereits „wegen der fortgesetzten schweren Unzucht mit Kindern“ zu einer Haftstrafe von fünf Jahren verurteilt worden. Die Geschädigten waren zehn bis 13 Jahre alt. Im Falle eines Kindes verzeichnen die Unterlagen des Gerichts 50 Übergriffe. 40 Jahre nach dem ersten Urteil und lange, nachdem er in Rosenheim Seelsorger geworden war, kam es zu weiteren Vorwürfen. Der Priester solle im Klinikum Rosenheim eine „zu intensive Nähebeziehung zu den Krankenhausministranten“ pflegen. Schließlich wurde, so steht es im Gutachten der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSV), in einer Sitzung mit Kardinal Wetter „die Entpflichtung des Priesters aus der Krankenhausseelsorge“ und 2003 die Versetzung in den Ruhestand beschlossen. Zu spät, um einige Betroffene zu schützen: Ein Mann berichtete dem OVB, wie er als Ministrant von Greihansel vergewaltigt worden sei.
Die Kanzlei beanstandet in dem Gutachten, dass die Kirchenoberen – zu diesem Fall ist unter anderem von Kardinal Döpfner und Kardinal Wetter die Rede – über den Fall informiert gewesen seien. Die Kardinäle hätten „keine zielführenden Maßnahmen“ unternommen. Vielmehr, so heißt es an anderer Stelle, hätten sie den Schutz der Kirche über den Schutz von Menschen gestellt.
Straße wird umbenannt
Auch in Maitenbeth gab die Erzdiözese im Juli bekannt, dass Pfarrer Ludwig Axenböck Kinder sexuell missbraucht haben soll. Der Geistliche war von 1949 bis 1972 in der Gemeinde stationiert. Zwei Betroffene wandten sich 2022 an die Erzdiözese, um die Taten des Geistlichen zu melden. Ein Aufschrei des Entsetzens ging nach Bekanntwerden durch die Region.
Weitere Betroffene meldeten sich, unter ihnen Helmut Bader. Er wurde als Bub im Alter von acht Jahren von dem Geistlichen „schwer sexuell missbraucht“, wie er im Gespräch mit der Redaktion berichtete.
Das Martyrium, das der heute 64-Jährige durchleiden musste, war für ihn nur schwer in Worte zu fassen. „Mein Leben wurde als Kind zerstört“, sagte er. „Ich bin nicht der Mensch geworden, der ich hätte sein wollen.“
Um anderen Betroffenen Mut zu machen, ging Helmut Bader mit seiner Geschichte an die Öffentlichkeit.
Mehr noch: Durch sein Zutun wurde im September die „Pfarrer-Axenböck-Straße“ in „Kirchplatz“ umbenannt und er trat dem Betroffenenbeirat bei. Auch Generalvikar Christoph Klingan lobte Helmut Baders Bemühungen. „Durch den Mut, den er bewiesen hat, haben sich bisher vier weitere Betroffene gemeldet. „Es ist sein Verdienst“, sagte Klingan bei der Veranstaltung.
Auch Peter Ernst aus Maitenbeth fasste den Entschluss, sein Schweigen zu brechen: Der 64-Jährige wurde ebenfalls als Bub von Pfarrer Axenböck sexuell missbraucht. Für Ernst sei das Bekanntwerden der Taten des Geistlichen im Nachhinein eine „Art von Gerechtigkeit“, die ihm widerfahren würde, mehr noch: Axenböck sei nun als pädophiler Sexualstraftäter enttarnt, sagte er im Gespräch mit der Redaktion.
Mittlerweile haben sich sechs Personen bei der Erzdiözese gemeldet, die von Pfarrer Axenböck sexuell missbraucht worden seien und die der Institution namentlich bekannt sind, wie Dr. Christoph Kappes, Leiter der Pressestelle der Erzdiözese München und Freising, auf Anfrage mitteilt. Der Aufruf in Maitenbeth war bis dahin bereits der zweite der Erzdiözese im Altlandkreis Wasserburg. Zuvor gab es im Februar 2023 einen Aushang in Schnaitsee. Hier war von 1972 bis 1993 Pfarrer Georg Pitzl tätig, der inzwischen ebenfalls verstorben ist. In seiner Zeit als Kaplan in Eichenau (Landkreis Fürstenfeldbruck) zwischen 1964 und 1972 soll er Kinder missbraucht haben.
Doch bislang sei der Erzdiözese von Missbrauchsbetroffenen in Schnaitsee nichts bekannt, weder vor noch nach dem Aufruf. Das bestätigte die Institution auf Anfrage.
Fünf Betroffene
aus Babensham
Der dritte Aufruf der Erzdiözese im Altlandkreis fand Ende November in Babensham statt. Generalvikar Christoph Klingan informierte die Gemeinde darüber, dass die Erzdiözese in den vergangenen Jahren von fünf Personen aus Babensham Hinweise erhalten habe, wonach diese im Kindes- und Jugendalter von Pfarrer Josef Schneller sexuell missbraucht worden seien. Der Geistliche war in den 60er- und 70er-Jahren in der Kommune tätig. Er verstarb 2003. Der Generalvikar zeigte sich „erschüttert über die Taten und insbesondere über das Leid der Betroffenen“ und versicherte, „alles in unserer Macht Stehende zu tun, um die Ausübung sexueller Gewalt gegenüber Kindern und Jugendlichen zu verhindern.“ Auch der Gemeinderat zeigte sich in seiner jüngsten Sitzung sehr betroffen über die Bekanntmachung der Erzdiözese. Das Gremium entschied einstimmig, sich nachträglich von der Ehrenbürgerschaft für Pfarrer Schneller, die ihm 1984 verliehen wurde, zu distanzieren.