Wie das Christkind die Lena findet

von Redaktion

Weihnachten – ein emotionaler Ausnahmezustand, für uns alle. Aber für Simon (10) und Lena (7) ganz besonders. Es ist der erste Heilige Abend ohne ihren toten Papa. Aber sie sind darauf vorbereitet worden, unter anderem von Ilselotte Keksberg.

Erhöhter Kuschelbedarf: In der Lacrima-Kindertrauergruppe der Johanniter brennen viele Lichter der Hoffnung. Links: Ilselotte Keksberg und Dr. Beate Düntsch-Hermann – ein eingespieltes Duo, das die Kinder stützt. Fotos fkn / Birte Zellentin

Rosenheim/Mühldorf – Jawohl: Ilselotte Keksberg, diesen Namen gibt es wirklich. Genau so heißt die kapriziös-eigenwillige Handpuppe, die in der Rosenheimer Lacrima-Gruppe der Johanniter nur ein Ziel verfolgt: Buben und Mädchen, die ihren Vater oder ihre Mutter verloren haben, dabei zu helfen, ihren ganz persönlichen Trauerweg zu finden; mit dem Verlust klarzu- kommen; ihre Trauer nicht hinter einer scheinbar unbeschwerten Fassade verbergen zu müssen; und sie auch mal zum Lachen zu bringen.

Das schafft die manchmal recht vorlaute Ilselotte ganz gut, weil hinter der zotteligen Haarpracht, die ihr tief ins Gesicht hängt, auch eine Menge Einfühlsamkeit und Kompetenz steckt. Die Puppe ist der verlängerte Arm von Dr. Beate Düntsch-Hermann, der Leiterin von Lacrima, und ihrem Team. Mit Ilselotte als Medium ist es für die erfahrenen Trauerbegleiterinnen leichter, das Innenleben der Kinder zu erkunden.

Kennt sich das Christkind in Madagaskar aus?

„Ilselotte darf das fragen, was Beate nicht fragen darf“, sagt sie – und so kurz vor Weihnachten ist das besonders hilfreich. Denn in den vom Tod zerrissenen Familien gibt es speziell im Advent zwei Trauerlager. Hier die Kinder, die an Heiligabend so feiern wollen wie immer – als ob der Papa noch da und alles so wie früher wäre. Und dort der verbliebene Elternteil, der von Fluchtgedanken getrieben wird: Nichts wie weg jetzt, so weit wie möglich, irgendwo ans Ende der Welt, Thailand, Madagaskar, ganz egal – Hauptsache es ist alles andere als weihnachtlich dort.

So ist es auch bei Simon und Lena und ihrer Mama. Ein Dilemma – aber da gibt es ja noch Ilselotte Keksberg. „Das ist blöd, an Weihnachten ins Warme auf eine Sonneninsel zu fliegen“, sagt sie. „Dort findet mich das Christkind doch nicht.“ Für Mamas und Papas ist das erste Weihnachten ohne Mann oder Frau eine Zerreißprobe. Woher sollen sie bloß die Kraft für eine schöne Bescherung nehmen?

Doch Lichter der Hoffnung gibt es genug. Zum Beispiel in der letzten Lacrima-Kerzenrunde vor Weihnachten – diesmal ein besonderer Kreis, denn ausnahmsweise dürfen die Eltern dabei sein. Sonst sind die Buben und Mädchen mit ihren Trauerbegleiterinnen und Ilselotte das Jahr über ganz unter sich. Die Lacrima-Kinder zünden nacheinander eine Kerze an, sagen, für wen sie ist, und was sie sich wünschen – und das tun sie mit einer Klarheit und Bestimmtheit, die ihre Eltern überrascht, beeindruckt, ja überwältigt. Das ist ein Trost. Das macht Mut. Das gibt Kraft.

Weihnachten ist
das Fest der Liebe –
und nicht der Flucht

Und so steht bald fest: Simon und Lena und ihre Mama bleiben doch da. Weihnachten ist das Fest der Liebe. Nicht der Flucht. „Wir wollen die Familien auf einen gemeinsamen Trauerweg schicken. In der sehr emotionalen Weihnachtszeit ist Unterstützung besonders wichtig“, sagt Beate Düntsch-Hermann, die den Eltern „ihrer“ Lacrima-Kinder ihre uneingeschränkte Hochachtung zollt: „Bewundernswert, welche Kraftakte sie vollbringen.“

Vielleicht machen es Simon und Lena ja so wie Peter (11) und Paula (8), die schon seit drei Jahren ohne ihren Papa zurechtkommen müssen. Er fehlt ihnen immer noch sehr, und das wird auch so bleiben, aber sie haben gelernt, ihn weiter an ihrem Leben teilhaben zu lassen. Und so packen Peter und Paula an Heiligabend nicht nur die Geschenke aus, sondern zuvor noch eine Handsäge.

Christbaum wird „amputiert“ – ein
Ast ist für den Papa

Behutsam schneiden sie einen Ast aus dem Christbaum – keinen Winzling irgendwo ganz hinten oder ganz oben, sondern einen großen, ganz vorn, auf halber Höhe, in der Mitte. Die klaffende Lücke muss gut zu sehen sein. Den Ast ihres „amputierten“ Christbaums bringen sie dann auf den Friedhof und legen ihn aufs Grab ihres geliebten Vaters: „Frohe Weihnachten, Papa!“

Aber natürlich gibt es auch andere Mittel, um dem Christbaum eine persönliche Note zu verleihen. Die Rosenheimer Lacrima-Kinder haben heuer Herzen und Sterne aus dem Sauerteig gestochen und sie dann mit den Lieblingsfarben, Lieblingsmotiven oder Lieblingsmustern ihrer verstorbenen Elternteile bemalt. Sicher bekommen die kleinen Kunstwerke an Heiligabend einen gut sichtbaren Platz am Christbaum – ebenso wie die durchsichtigen Plexiglas-Christbaumkugeln, in die man kleine Dinge legen kann: ein Pferd, ein paar Schlittschuhe, einen Fußball oder eine Schafkopfkarte – je nachdem, was Papa und Mama gern hatten.

Geteiltes Leid ist halbes Leid, heißt es. Aber bitteschön nicht an Weihnachten. Das Christkind wird Lena und ihren Bruder finden, das steht nun fest. Und es wird die richtigen Geschenke dabeihaben, ganz sicher. Simon und Lena werden große Augen machen. Und dann gilt: Geteilte Freude ist doppelte Freude.

Anmerkung: Zum Schutz der Kinder wurden die Namen verändert.

Überweisungsträger für die OVB-Aktion liegen heute bei

Zahlscheine für die OVB-Weihnachtsaktion liegen dieser Ausgabe bei.

OVB-Aktion schafft Platz für Lacrima

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