Schleuser muss in Haft

von Redaktion

Unter menschenunwürdigen Bedingungen brachte ein 29-Jähriger Migranten über die Grenze und setzte sie im Raum Traunstein aus. Dann lieferte er sich eine riskante Flucht vor der Polizei. Nun musste er sich vor dem Landgericht verantworten.

Traunstein/Piding – Auf der Rückfahrt von einer Schleuserfahrt – die Migranten wurden vorher im Raum Traunstein ausgesetzt – wurden Schleierfahnder aus Piding auf der Autobahn A8 auf einen Pkw mit einem Marokkaner (29) am Steuer aufmerksam. Der Fahrer flüchtete mit hohem Tempo und konnte erst an der Tankstelle Piding Süd gestellt werden. Die Zweite Strafkammer mit Vorsitzendem Richter Volker Ziegler verhängte gegen den weitgehend geständigen Angeklagten gestern wegen mehrerer Delikte drei Jahre zehn Monate Haft.

Die Anklageschrift von Staatsanwältin Marion Schuller galt zwei gefährlichen Schleuserfahrten. Die erste Tour am 29. Juli 2023 startete der führerscheinlose 29-Jährige von einem unbekannten Ort im Ausland aus. Dabei waren neun Erwachsene und ein Kind in das nicht für so viele Mitfahrer ausgelegte Auto gequetscht. Sechs Flüchtlinge saßen im Wagen, drei Erwachsene und ein Mädchen kauerten völlig ungesichert im Kofferraum.

Passagiere fürchteten um ihr Leben

Bei der zweiten Fahrt am 6. August 2023 mit einem Pkw Toyota Corolla Verso, der über nur fünf Sitzplätze verfügte, waren acht türkische und drei afghanische Staatsbürger an Bord, unter ihnen mehrere Kinder, das jüngste nicht mal drei Jahre alt. Die Kinder saßen teils zu zweit auf dem Schoß Erwachsener. Drei Personen, darunter ein Junge, waren im Kofferraum eingepfercht.

Die illegalen Passagiere hatten Angst um ihr Leben – weil alles so eng war und der Wagen sehr schnell fuhr. Trotz aller Bitten verweigerte der 29-Jährige jedwede Pause bei den bis zu zwölf Stunden langen Fahrten. Das berichteten alle sieben von der Zweiten Strafkammer geladenen Geschleusten im Zeugenstand. Sie durften nicht mal ins Freie, um ihre Notdurft zu verrichten. Einem war so schlecht, dass er sich übergeben musste. Da reichte ihm der Schleuser nur eine Tüte. „Keiner durfte in der langen Zeit raus“, betonte der Vorsitzende Richter im Urteil.

50 Euro für
etwas Wasser

Bei der ersten Fahrt kassierte der 29-Jährige 50 Euro – für etwas Wasser, mit dem die Passagiere ihren Durst wenigstens ein bisschen stillen konnten. Noch zwei Wochen später litt einer der Zeugen unter Rückenschmerzen nach der Tortur im engen Kofferraum.

Der Angeklagte war irgendwo über die Grenze gekommen und setzte die Gruppe damals im Raum Traunstein aus. Die Flüchtlinge wurden abends gegen 20 Uhr am Bahnhof Traunstein aufgegriffen.

Der 29-Jährige fuhr hinterher zurück in Richtung Grenze. Beamte der Grenzpolizei Piding sichteten das Fahrzeug und wollten es am Parkplatz Angerer Berg kontrollieren. Der 29-Jährige ignorierte jedoch alle Anhalteversuche. Stattdessen beschleunigte er auf Tempo 160 und überholte mehrere Verkehrsteilnehmer. An der Anschlussstelle Bad Reichenhall raste er mit etwa 90 Stundenkilometern in die Tankstelle Piding Süd, bremste abrupt ab und flüchtete zu Fuß.

Den Beamten gelang es, den Angeklagten zu fassen, ihn zu Boden zu bringen und ihm Fesseln anzulegen. Dabei sperrte er sich nach Kräften. Einer der Polizisten wurde gegen die Leitplanke gedrückt und erlitt glücklicherweise nur geringe Verletzungen.

Dem 29-Jährigen lag in der Anklage außerdem der Besitz von kinder- und jugendpornografischen Dateien auf einem seiner Handys zur Last. Diesen Vorwurf stellte das Gericht auf Antrag der Staatsanwältin mit Blick auf die übrigen Vorwürfe ein.

Im Plädoyer auf fünfeinhalb Jahre Freiheitsstrafe bezog sich Anklägerin Marion Schuller auf das psychiatrische Gutachten von Franz-Xaver Obermaier vom Bezirksklinikum in Gabersee. Der Sachverständige habe volle Schuldfähigkeit des Angeklagten und keinerlei Suchtprobleme erkannt. Das sahen alle Prozessbeteiligten genauso.

Die Staatsanwältin sprach – wie später das Gericht – von einer „erniedrigenden und lebensgefährdenden Behandlung“ der Zeugen. Zu berücksichtigen seien neben der hohen kriminellen Energie generalpräventive Aspekte. Schleusertaten nähmen in ihrer Intensität und bezüglich der Folgen für Polizeibeamte wie für Geschleuste immer mehr zu. Marion Schuller erinnerte auch an den Fall im Oktober 2023 bei Waldkraiburg mit sieben Todesopfern.

Den Wert des Geständnisses hob Verteidiger Jürgen Pirkenseer aus Piding heraus und beantragte dreieinhalb Jahre Gefängnis: „In Teilen der Anklage war die Beweislage relativ dünn.“ Sein Mandant sei aus Marokko geflohen, habe mehrere Monate auf der Straße gelebt und kein Geld besessen. Den verletzten Polizeibeamten habe der 29-Jährige nicht angreifen wollen. „Ich habe einen großen Fehler begangen und bereue ihn zutiefst“, meinte der 29-Jährige im „letzten Wort“.

„Sein Leben mit Straftaten finanziert“

Die Zweite Strafkammer verurteilte den Marokkaner wegen gewerbsmäßigen „erniedrigenden und lebensgefährdenden Einschleusens von Illegalen“ in zwei Fällen, Fahrens ohne Führerschein, Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und vorsätzlicher Körperverletzung.

Vorsitzender Richter Volker Ziegler hielt aufgrund des Geständnisses, der Zeugenaussagen und der Auswertung der Mobiltelefone alle Taten für klar nachgewiesen. Das Gericht sei nicht überzeugt, dass es sich um erstmalige Schleusungen des 29-Jährigen gehandelt habe. Dazu Volker Ziegler: „Er hatte keine legale Einkommensquelle und hat sein Leben allein mit Straftaten finanziert.“ Das Leben der Flüchtlinge sei durch die Enge in den Autos und die schnelle Fahrweise bedroht gewesen. Zum Glück sei insgesamt nicht viel passiert.

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