Rosenheim – „Alois Irlmaier klärt Traunsteiner Giftmord auf“, verkündet das „Rosenheimer Tagblatt Wendelstein“ am 28. Januar 1950. Doch was war geschehen? Vor dem Landgericht Traunstein musste sich die 41-jährige Paula Kratzer verantworten, die angeklagt war, aus Habgier ihren Geliebten, den Kaufmann Erhard Vogel, mit Arsen vergiftet zu haben. Die Verhandlung habe „ungeheuren Zudrang, besonders des weiblichen Publikums“ gefunden, so der „Wendelstein“.
Kratzer als
Alleinerbin
Vogel sei Mitte Januar 1949 unter verdächtigen Umständen gestorben, nachdem er zuvor Kratzer als Alleinerbin eingesetzt habe. Seine in Berlin lebende Frau habe in der Folge dann Irlmaier hinzugezogen. „Am zweiten Verhandlungstag gab es die erwartete Sensation, um derentwillen die vielen Zuhörer gekommen waren: die Vernehmung Irlmaiers.“ Dieser habe ziemlich unscheinbar gewirkt und sich natürlich und ungezwungen gegeben. Er habe von seiner durch anschließende Untersuchungen als korrekt erwiesenen Prophezeiung, dass Vogel durch Kratzer vergiftet wurde, berichtet. Irlmaier wurde 1894 in Scharam zwischen Siegsdorf und Eisenärzt geboren und lebte später als Brunnenbauer in Freilassing. Einen Namen machte er sich als Rutengänger und „Wahrsager“, in den 1940er- und 1950er-Jahren wurde er auch von Weitgereisten nach seinen Visionen gefragt.
Noch heute ist Irlmaier für seinen Ruf bekannt, das Internet ist voll mit angeblichen Vorahnungen Irlmaiers. „Alois Irlmaier war mit Sicherheit zu vielschichtig, um ihm mit wenigen Sätzen gerecht zu werden. Er war ein Mann aus dem Volke, bäuerlicher Abstammung, mit einer außergewöhnlichen Begabung, Wasseradern und -quellen zu finden. Mit dieser irgendwie doch etwas übernatürlichen Fähigkeit sicherte er seine Existenz und gewann dann das Vertrauen der Menschen für sein eigentliches Metier – die Hellseherei“, erklärte der Berchtesgadener Autor Stephan Berndt, der seit drei Jahrzehnten über Irlmaier forscht und dessen Vorträge in Berchtesgaden stets ausverkauft sind. „Das Problem Irlmaier beschäftigte in letzter Zeit einen großen Teil der Presse in lebhaftem Maße“, schreibt das Rosenheimer Tagblatt Wendelstein am 18. März 1950. Dem folgt ein Sonderteil rund um das Thema Hellsehen und den Fall Irlmaiers, bei dem der Professor Dr. Michael Schmaus zu Rate gezogen wurde. Dieser war ein katholischer Priester und Hochschullehrer, welcher wegen seiner vormaligen Zugehörigkeit zu NS-Organisationen und auch Sympathiebekenntnissen zur NS-Ideologie erst Mitte Oktober 1947 wieder in den Lehrbetrieb zurückkehren konnte.
Schmaus betont im Beitrag im „Wendelstein“ weiterhin, Hellsehen spreche „weder für noch gegen das Christentum“. Es sei im Fall Irlmaiers „an der Tatsache besonderer Leistungen nicht zu zweifeln, wenn manches auch übertrieben sein mag“. Dem folgen enorm ausführliche Erklärungsversuche Schmaus‘, in denen er eine ganze Bandbreite von Richtungen einschlägt. „Wenn wir bedenken, dass wir ständig mit der gesamten Welt und mit allem, was darin geschieht, in Kontakt stehen, so ist selbstverständlich, dass alle Ereignisse und Gestalten dieser Welt auf dem Wege über die Sinne auf uns einwirken und in unser Selbst einzudringen versuchen“, erklärt er unter anderem.
Am 15. April dann vermeldet der „Wendelstein“: „Irlmaier-Fieber in Landshut“. Dieses sei durch einen Vortrag über seine Prophezeiungen ausgelöst worden. „Zu diesem Vortrag, der sich vornehmlich mit den Prophezeiungen des Weissagers über die Geschehnisse des Jahres 1950 beschäftigte, waren so viele Interessenten erschienen, dass der große Rathaus-Prunksaal polizeilich geschlossen werden musste.“ Das Interesse an seinen Vorhersagen scheint also weiter vorhanden zu sein. Ende der 1940er-Jahre hatte sich der in Freilassing wohnende Irlmaier vor Gericht verantworten müssen, nachdem er von einem Pfarrer wegen Betrugs und Gaukelei angezeigt worden war, was nach dem bayerischen Polizeistrafgesetzbuch bis 1957 als Straftat galt. Im vorangegangenen Artikel hatten wir uns mit der Berichterstattung im OVB hierzu befasst.
1949 wurde er schließlich freigesprochen, nachdem er den Vorsitzenden Richter von seinen Fähigkeiten überzeugen konnte. Ende des Jahres sorgte Irlmaier dann mit einer neuen Prophezeiung eines Dritten Weltkriegs für Aufsehen, die er jedoch widerrief. „I sag nix mehr!“, äußerte er im Anschluss gegenüber einem Reporter in dem im Oberbayerischen Volksblatt (OVB) veröffentlichten Bericht. Er bekenne sich zwar zum Rutengehen, äußert sich aber nicht mehr zum Thema Hellsehen. Doch Ende des Jahres sorgte er dann doch wieder mit einer Prophezeiung eines bevorstehenden Dritten Weltkriegs für Aufsehen, die er kurz darauf aber widerrief.
Am 29. April dann vermeldet der „Wendelstein“, dass Irlmaier, der „in Wasserangelegenheiten“ dort geweilt hatte, korrekt vorhergesagt habe, dass ein vermisstes Mädchen nur noch tot gefunden werden würde. „Er soll gesagt haben, dass das Kind tot im Wasser liege. Es sei mit einem Auto, in dem zwei Männer und eine Frau gesessen hätten, fortgefahren.“ Dann am 13. Mai vermeldet der „Wendelstein“, dass in Grafenwöhr Unruhe herrsche, „nachdem festgestellt wurde, dass der Kirchenaltar der Ortschaft nicht nach Osten, sondern nach Norden zeigt“. Damit treffe eine Prophezeiung Irlmaiers zu und es drohe der Abwurf einer Atombombe nach Ausbruch des nächsten Weltkriegs.
Ein falscher
Irlmaier
Am 23. und 31. Mai schiebt der „Wendelstein“ jeweils Meldungen ein, dass Irlmaier gerade in Hof und Otterfing jeweils für die Suche nach Quellen engagiert sei. Selbst kleinste Meldungen über ihn werden nun also sobald möglich veröffentlicht.
Gleichzeitig wird es auch kurios: Das OVB verwendet den Begriff „Irlmaier“ als Synonym für vielleicht nicht ganz ernst zu nehmende Hellseher in einem Bericht – ausgerechnet im Sportteil am 3. August.
In Neuötting wiederum wird ein „falscher Irlmaier“ erwischt, der gegen Geld Prophezeiungen abgeben wollte, so der „Wendelstein“ am 12. Oktober.