Bauern gegängelt wie Leibeigene

von Redaktion

Interview Historiker Dr. Erich Prinz von Lobkowicz zum Thema Landwirtschaft

Tuntenhausen – Schloss Maxlrain hat für das politische Erwachen des Bauernstandes in Oberbayern eine besondere Bedeutung. 1869 wurde hier der Bayerisch-Patriotische Bauernverein Tuntenhausen gegründet, der heutige katholische Männerverein. Wie dieser Verein den Bauern Selbstbewusstsein, Stimme und politische Mitsprache verlieh, daran erinnert Dr. Erich Prinz von Lobkowicz als Schlossherr von Maxlrain, Philosoph und Historiker im OVB-Interview. Dabei kommt er auch auf Parallelen zum Bauernkrieg, der vor 500 Jahren ausbrach.

Von 1524 bis 1526 kämpften die Bauern für mehr Rechte und eine Aufhebung der Leibeigenschaft. Inwiefern
ähnelt die heutige Situation der von damals?

Aus Brüssel und Berlin fällt ein nicht abreißender Strom an manchmal hilfreichen, oft aber unpraktikablen Vorschriften auf unsere Landwirtschaft herab – ohne fachliche Abstimmung und ohne Entschädigung. Das daraus resultierende Gefühl der Gängelung, Machtlosigkeit und Fremdbestimmung erinnert schon an die Gefühlswelt der Bauern zu Anfang des 16. Jahrhunderts.

Auch damals war eine Zeit großer Umwälzungen: Die Reformation stellte 1500 Jahre Kirchengeschichte auf den Kopf. Das Ende der Ritterzeit brachte große soziale und wirtschaftliche Probleme. Das Erstarken des Bürgertums drängte den Agrarsektor noch mehr in die Abhängigkeit. Und alle Entwicklungen wurden wirtschaftlich auf dem Rücken der Bauern ausgetragen.

Wo sehen Sie
die entscheidenden
Unterschiede?

Damals waren die Bauern Leibeigene, also Eigentum ihrer Gutsherren. Heute kann jeder sein Land verkaufen und wegziehen, wenn er das will. Aber die Aufgabe ihrer Höfe ist für unsere Landwirte nur in größter Not eine Option, da sie mit ihrem Land, das sie seit Generationen bewirtschaften, eng verbunden sind. Heute ist das Eigentum an Grund und Boden die wichtigste Gegebenheit unserer Kulturlandschaft, die die Bauern seit über 1000 Jahren pflegen. Ihnen ist zu verdanken, dass Oberbayern so schön ist. Wenn der Staat dieses Eigentum aber mit Vorschriften, Beschränkungen und dem Argument, damit dem Gemeinwohl zu dienen, immer mehr aushöhlt, dann erinnert auch das an den Übergang von freien zu leibeigenen Bauern in der Zeit vom 10. bis 13. Jahrhundert.

Damals standen die
Bauern gegen die
Verfügungsbefugnisse ihrer Leibherren auf. Kann man die Agrar- und
Steuerpolitik von EU
und Bundesregierung
damit vergleichen?

Vergleichbarkeit und Unterschiede liegen auf der Hand. Es hieß immer, die Subventionen seien ein Ausgleich für die extreme Gängelung dieses Standes. Nun kommt die schrittweise Streichung der Subventionen, aber die Gängelung geht weiter. So ist beispielsweise ein Forstgesetz in Planung, das die Waldbewirtschaftung dem Waldbauern weitgehend entzieht, ihm aber mit Gefängnis droht, wenn er nicht gemäß ständig wechselnder Ökovorschriften wirtschaftet. Das klingt doch ähnlich wie der Fronkerker von damals.

Welche Rolle spielte der Bauernverein Tuntenhausen bei der Emanzipation der Bauern?

Die Gründung des Bauernvereins war Ausdruck eines erwachenden politischen Gestaltungswillens der Landbevölkerung, auch in Folge eines steigenden Leidensdruckes. Während der großen Landwirtschaftskrise Ende des 19. Jahrhunderts mussten Tausende von Landwirten aufgeben und auswandern. Die tief katholisch geprägte Landbevölkerung hatte keine Mitsprache in der politischen Gestaltung, obwohl die meisten Arbeitsplätze in der Landwirtschaft waren. Das liberale Bürgertum und eine aufklärerische Elite in München machten „Fortschritt“. Graf Arco, der Gründer des Bauernvereins und damalige Schlossherr von Maxlrain, viele Bauernführer und Prälaten standen dagegen auf und brachten mit vielen anderen die Bayrische Patriotenpartei an die Macht. Damals setzte sich die Landbevölkerung also an den Wahlurnen durch. Heute gibt es im Freistaat noch etwa 84600 Höfe mit circa 200000 Arbeitskräften. Sie machen noch circa drei Prozent der Wähler aus und scheinen nicht mehr bedeutend genug zu sein, denn ihnen wird schon sehr lange nicht mehr zugehört. Im Ergebnis dieser Politik gehen die Bauern auf die Straße.

Die Bauern werden nicht ernst genommen und
begegnen oft überheblicher Häme. Wie erklären Sie sich, dass ihre Leistung seit Jahrhunderten nicht anerkannt wird?

Die Herabwürdigung der hart arbeitenden Landbevölkerung durch die bürgerliche Elite wird schon vielfach im Römischen Reich beschrieben und ist dann wohl durchgehend in der Geschichte anzutreffen. Eine interessante Ausnahme und Gegenbewegung ist die Idealisierung des Landlebens in der Aufklärung im 18. Jahrhundert am französischen Königshof, in der Literatur, der Malerei und der Musik bis hin etwa zu Beethovens „Pastorale“. In Bayern förderte das Königshaus ab Mitte des 19. Jahrhunderts mit der Trachtenbewegung die ländliche, bayerische Lebensart. Das Königshaus trat mit Vorliebe auf dem Land und in Tracht auf. Das war eine starke Solidarisierung mit der Landbevölkerung. Und auch heute wird weder ein ökologischer Umbau der Wälder und der Landwirtschaft, noch nachhaltiger Klimaschutz, noch eine Harmonisierung der Interessen von Stadt und Land gelingen, wenn die Bauern nicht wirklich ernst genommen werden.

Die Bauern beklagen in ihren Protesten auch, dass Menschen Agrar-
politik machen, die von Landwirtschaft keine
Ahnung haben. Ist das
eine berechtigte Kritik?

Ich bin kein Landwirt und möchte mir da kein Urteil anmaßen, aber ich erinnere mich an die Zeit, da mit Herrmann Höcherl, Josef Ertel und dann Ignaz Kiechle bayerische Landwirte Landwirtschaftsminister waren. Die wussten natürlich, worum es geht. Und auch Ilse Aigner war als Landwirtschaftsministerin auf dem Land so geerdet, dass sie die Bauern voll verstanden hat.

Nun ist mit Cem Özdemir ein Sozialpädagoge Agrarminister. Hat er Ihrer Meinung nach ausreichend landwirtschaftliche Kompetenz für eine praxisnahe Agrarpolitik?

Cem Özdemir ist ein netter Mensch. Er war als Botschafter des deutschen Bieres auch schon in Maxlrain. Was die Entscheidung zum Agrardiesel betrifft, wurde er gar nicht gefragt. Wie alle Entscheidungen dieser Regierung haben das die drei Parteivorsitzenden offenbar ohne Konsultation von Fachleuten unter sich ausgemacht. Daher ging wohl auch ein historischer Hintergrund unter: Die Dieselbeihilfe und die Kfz-Steuererleichterung für die Landwirtschaft sind ja keine zufälligen Subventionen. Sie wurden 1967 eingeführt, weil die landwirtschaftlichen Fahrzeuge zum Großteil nicht die öffentlichen Straßen benutzten, sondern auf den Feldern unterwegs waren. Deshalb wurde den Bauern der Beitrag zum Straßenbau erlassen. Solche Regelungen haben alle Länder Europas. Zudem ist der Diesel für die Landwirtschaft trotz der Hilfe in Deutschland am teuersten.

Teilen Sie die Sorge,
dass die Proteste der Landwirte, die sich inzwischen auf weite Teile der Bevölkerung ausgeweitet haben, von radikalen Gruppen missbraucht werden könnten?

Wenn Sie die Zahlen der AfD im ländlichen Raum in Bayern sehen, scheint mir diese Gefahr nicht von der Hand zu weisen zu sein. Besser als in anderen Bundesländern ist dieses Risiko aber in Bayern durch die Freien Wähler aufgefangen, die sehr gezielt die Interessen des ländlichen Raumes vertreten. Auch die CSU hatte immer ein großes Herz für die Landwirtschaft. Nun kommt es mir so vor, als habe sich aufgrund des demografischen Wandels auch ihre Klientelperspektive ein wenig verschoben.

Seit wann kennt die
Historie Subventionen für die Landwirtschaft?

Die Landwirtschaft wurde schon im alten Ägypten und im Römischen Reich subventioniert. Der Grund dafür ist der Wert der Lebensmittel, die als Lebensgrundlage unverzichtbar und damit weit mehr als ein Wirtschaftszweig sind. Diese Subventionen sind doch nur eine (zu) kleine Gegenleistung dafür, dass die Landwirte all die Gängelung aus Brüssel und Berlin ertragen und auch in schlechten Jahren weitermachen. 2023 war ein gutes Jahr. Dass gerade jetzt diese Wut ausgebrochen ist, hat mit der dilettantischen, unvermittelten Politik unserer Regierung zu tun, die aus schierer Inkompetenz von einer Misere in die nächste taumelt. Demokratie funktioniert am besten, wenn die Politik zuhört, welche Probleme die Bevölkerung bewegen, und diese löst. Statt Unsummen für Probleme und Themen auszugeben, die die Bevölkerung gar nicht hat. Interview: Kathrin Gerlach