Rosenheim/Berlin – Eine Großdemo muss auch groß sein, vor allem, wenn es dabei um die Probleme eines Großteils der Bevölkerung geht. Also machten sich aus allen Teilen Deutschlands nicht nur Landwirte auf den Weg nach Berlin, sondern viele andere bewegte Menschen. Darunter Berni Mayerhofer, Georg Maier junior, Josef Hundhammer junior und Matthäus Michlbauer aus dem Landkreis Rosenheim. Auch Gastwirte „schenkten“ in der Hauptstadt „aus“: 130 allein aus Oberbayern. Unter ihnen auch DEHOGA-Regionalgeschäftsführer Thomas Quiram. Der Rosenheimer hat viele bekannte Gesichter vor dem Brandenburger Tor gesehen. Nicht im Traktor. Zu Fuß in einer friedlichen Demonstration. Dass die Regierung die Signale wirklich verstanden haben könnte, bezweifelt er.
Manche Teilnehmer 24 Stunden auf Achse
Etwa 400 Teilnehmer aus der Region hatten sich in der Nacht zu Montag (15. Januar) mit acht Bussen des Bauernverbandes auf den Weg nach Berlin gemacht, um an der Demonstration gegen die Politik der Ampel-Regierung teilzunehmen. Andere schwangen sich in den ICE nach Berlin. „Es war absolut überwältigend, so etwas Beeindruckendes habe ich noch nie erlebt“, sagt Josef Hundhammer, 24-jähriger Landwirt aus der Gemeinde Großkarolinenfeld, gegenüber dem OVB. Auch Mayerhofer, Außendienstmitarbeiter im Landhandel, war beeindruckt vom Bild rund um Brandenburger Tor und Siegessäule: „Wo man hinschaute Menschenmassen und unzählige Traktoren. Und es wären noch mehr Traktoren gewesen, hätte die Polizei sie nicht zum Teil schon am Stadtrand abgefangen, weil es in der Stadt zu voll wurde.“
„Stadtspaziergang“ durch die Hauptstadt
Die volle Hauptstadt führte dazu, dass die BBV-Protestler trotz laut Maier hervorragender Organisation durch den Bauernverband einen Stadtspaziergang machten. „Wir kamen mit dem Bus gar nicht so weit, wie wir wollten“, berichtet Georg Maier junior, der BBV-Ortsobmann von Stephanskirchen, „wir sind dann eine Dreiviertelstunde Richtung Siegessäule und Brandenburger Tor gelaufen. Auf dem Weg wurde die Menschenmasse um uns herum immer dichter. Wo man hinschaute, kamen Hunderte angelaufen.“ Beeindruckend sei auch die schiere Menge an Traktoren gewesen. „Wir haben Kollegen getroffen, die schon seit drei Wochen auf dem Anhänger ihrer Bulldogs genächtigt haben.“
Mit 20000 Teilnehmer hatte der Bauernverband gerechnet. „Wir gehen davon aus, dass weit mehr als 10000 Traktoren auf den Straßen und gewiss an die 100000 Menschen vorm Brandenburger Tor und im angrenzenden Regierungsviertel waren“, sagt Hundhammer. Die Zahl der Menschen sei aber schwer zu schätzen, schränkt Maier ein, weil man einfach nicht hoch genug kam, um einen Überblick zu haben, wie weit weg vom Brandenburger Tor die Menschenmenge reichte. Er erzählt amüsiert, dass alle Teilnehmer, die mit Bussen angereist waren, zum Olympiastadion mussten. Dort war der zentrale Parkplatz. „Wir waren so viele, dass es ein ziemliches Durcheinander beim Aus- und Einsteigen gab, mancher ungewollt eine Station weiter fuhr.“ Das Berliner Olympiastadion fasst, nebenbei bemerkt, knapp 75000 Besucher.
„Ein gigantischer Protestmarsch“
Den Gesamteindruck bestätigt auch Thomas Quiram, Regionalgeschäftsführer Oberbayern des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbandes DEHOGA: „Es war ein gigantischer Protestmarsch, der vom Brandenburger Tor über das Regierungsviertel bis zur Siegessäule reichte sowie links und rechts den Großen Tiergarten füllte.“
Beeindruckend war für die Teilnehmer aus Oberbayern vor allem der starke Zusammenhalt und der friedliche Protest. „Wir sind mit Polizeibeamten ins Gespräch gekommen. Sie haben uns bestätigt, dass sie selten so friedliche Demonstrationen erleben“, berichtet Hundhammer. Die Stimmung sei sehr gut gewesen, berichten auch Mayerhofer und Maier. „Die Leute waren schon angespannt, man hat gemerkt, dass ihnen das Thema nahe geht“, sagt Mayerhofer, aber es sei alles relativ ruhig geblieben. „Aggression fehlte völlig“, bestätigt Maier, der bei der großen Kundgebung in München selber als Ordner im Einsatz war. Dementsprechend entspannt blieb die Polizei, so die übereinstimmende Aussage.
Laut wurde es, wie Mayerhofer berichtet, erst, als die Kundgebung begann. Dass Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) ausgebuht worden sei, hänge mit dem Inhalt seiner Rede zusammen, macht Michlbauer klar. „Wir Landwirte halten uns immer an Recht und Ordnung. Wir haben unsere Meinung einfach nur lautstark kundgetan“, betont Matthäus Michlbauer, der Geschäftsführer des BBV Traunstein. „Wir haben in Deutschland eher ein Ausgaben- als ein Einnahmenproblem“, sagt Michlbauer, „denn unsere Regierung verschwendet Steuergelder, zum Teil weltweit.“ Michlbauer macht an nur zwei Beispielen klar, welche in der öffentlichen Debatte unerwähnten Lasten die Landwirte aufgrund der Steuerreform tragen, denn es geht um weit mehr als Agrardiesel und Kfz-Steuer für landwirtschaftliche Fahrzeuge, die vor allem auf Feldern, Wiesen und in Wäldern im Einsatz sind, aber über die Steuer zur Sanierung öffentlicher Straßen herangezogen werden sollen. Es geht auch um die Altersversicherung der Landwirte, um Kranken-, Pflege- und Unfallversicherung.
Beiträge steigen – Zuschüsse fallen weg
Die Beiträge steigen seit Jahren, der Bund aber zieht sich aus der Mitverantwortung immer weiter zurück. „Vom Bundeszuschuss zur Versicherung wurden 78 Millionen Euro gestrichen“, erklärt Michlbauer. Innerhalb der vergangenen drei Jahre wurde zudem die Umsatzsteuerpauschale der Bauern von 10,7 auf 8,4 Prozent abgesenkt: „Das bedeutet, dass der Bauer, der schon die Preise für seine Produkte nicht selbst bestimmen kann, nun auch noch bei deren Verkauf Einbußen hinnehmen muss“, erläutert der Traunsteiner BBV-Geschäftsführer. „In Summe sind das deutschlandweit weitere 180 Millionen Euro, auf die wir Bauern verzichten. Wir sind also schon deutlich in Vorleistung gegangen.“
Finanzminister auf
der falschen Demo?
„Man hatte wirklich das Gefühl, als wäre der Bundesfinanzminister auf der falschen Veranstaltung“, kommentiert Thomas Quiram, der DEHOGA-Regionalgeschäftsführer. Etwa 130 Gastronomen aus Oberbayern nahmen an der Protestkundgebung teil, um sich für den Erhalt regionaler Landwirtschaft und regionaler Gastronomie stark zu machen. „Wir haben Flagge gezeigt und in Berlin viele Menschen aus unserer Region getroffen – Gastronomen, Bäcker, Metzger, Fischer, Jäger, Landwirte, Brauer, Handwerker, wirklich viele Repräsentanten des Mittelstandes“, beschreibt Quiram die Stimmung in der Hauptstadt. Es sei wirklich schade gewesen, dass ihre Botschaft zumindest bei Christian Lindner nicht angekommen zu sein scheint. „Er hat völlig am Thema vorbei über die Düngemittelverordnung gesprochen, obwohl das überhaupt nicht das Thema ist, das die Menschen bewegt“, berichtet Quiram.