Schwerer Dämpfer für die Verteidigung

von Redaktion

Fall Hanna Antwort aus Finnland bringt Klarheit zur Handy-Nutzung von Sebastian T.

Aschau/Traunstein – Nein, Sebastian T. verbrachte die entscheidenden Minuten wohl nicht beim Daddeln auf dem Smartphone. Die Antwort aus Finnland, vom Entwickler des Spiels, war eindeutig: Sebastian T. spielte am 3. Oktober 2022 erst ab 2.42 Uhr „Clash of Clans“, nicht schon ab 2.30 Uhr. Also nicht in jenen Minuten, in denen Hanna W. ihr Leben verlor. Mehr noch, die Zeit hätte für Angriff, Heimweg, Spielen gereicht. Die nicht mal 700 Meter zu seinem Elternhaus hätte er joggend locker in vier Minuten zurücklegen können. Er hätte, seine Tatbeteiligung vorausgesetzt, immer noch gut sechs Minuten gehabt, das Haus zu betreten, das Handy zu ergreifen und sein Strategie-Spiel zu dem Zeitpunkt fortzusetzen, den das Datenprotokoll im fernen Finnland festhielt.

Weitere Fragen an
die Datenforensik

Die Verteidigung hatte mit ihrem Beweisantrag darauf gesetzt, dass das Spiel Sebastian T. ein Alibi verschaffen könnte. Diese Taktik ist also gescheitert. Ein Ergebnis internationaler Zusammenarbeit: Der finnische Spiele-Entwickler „Supercell“ hatte den Ermittlern in Rosenheim die Daten auf Interpol-Anfrage zukommen lassen.

Doch Anwältin Regina Rick fasste in Sachen Daten-Forensik nach. Beim Auslesen von Sebastian T.s Smartphone ließ sich eine nächtliche Youtube-Nutzung feststellen, möglicherweise kurz bevor er sich wieder mit „Clash of Clans“ ablenkte. Trifft dies zu, wäre zu klären, ob die Zeit für einen Angriff ausreichte. Es muss sich noch zeigen, wie das Gericht den Antrag bewertet. Und welche Rolle die Erkenntnisse daraus spielen.

Anderes scheint nun allerdings klarer geworden zu sein. Nach den Vorträgen von Hydromechaniker Prof. Andreas Malcharek und Forensiker Prof. Jiri Adamec scheint die Unfallthese unwahrscheinlich.

Unfalltheorie
wohl nicht zu halten

Die Theorie, dass Hanna W. in den frühen Morgenstunden des 3, Oktober durch einen Unfall ihr Leben verloren habe, war ja schon zuvor schwer erschüttert worden. Ein Digitalforensiker hatte nachgewiesen, dass Hanna kurz vor ihrem Tode noch einen Notruf abgesetzt hatte, und zwar über eine selbst programmierte Nummer. Greift man nach Sturz zum Smartphone und tippt eine Tastenkombination ein, wo man doch beide Hände braucht, um sich im reißenden Wasser über Wasser zu halten? Prof. Andreas Malcherek, Hydrodynamiker der Bundeswehr-Uni in Neubiberg, gab der Unfallthese wohl den Rest. Zusammengefasst: Die Verletzungen Hannas lassen sich mit dem Verhalten eines Flusses nicht wirklich vereinbaren. Auch nicht, wenn er Hochwasser führt, so wie am 3. Oktober 2022 die Prien.

So könne zum Beispiel eine Wasserwalze die Verletzungen an Hannas Kopf befriedigend nicht erklären. Es sei nicht vorstellbar, dass der Körper so in Drehungen versetzt werde, dass der Kopf mit Wucht immer wieder auf denselben Stein geprallt sei, sagte Malcherek. Überhaupt: Dass in einer Wasserwalze eine Rotation des Körpers stattfinden könne, „ist absolut unmöglich“. Auch dass der leblose Körper nördlich der Salzburger Autobahn einen Kraftwerkskanal passiert habe und etwa durch einen Rechen verletzt worden sei, schließt der Gutachter aus.

Der Verlust der Hose
bleibt ein Rätsel

Und was war mit der Hose, die Hanna verloren hatte? Der Verlust der Leggins sei mit der Dynamik des reißenden Flusses durchaus zu erklären, sagte Prof. Malcherek, der in seinem Vortrag am Landgericht die Beobachtungen eines Wissenschaftlers mit den Erfahrungen eines Turmspringers verband. Allerdings – die Tatsache, dass die Schuhe des Opfers noch an den Füßen saßen, die Leggins also über die Schuhe hätten gezogen werden müssen, stellte auch ihn vor Rätsel. Zumal auch der Slip nicht verrutscht war. Hatte jemand begonnen, Hanna auszuziehen, bevor sie bewusstlos ins Wasser des Bärbachs gelangte? Es wird im dunkeln bleiben, ebenso wie der Grund dafür, dass Hanna ihren Ring noch auf Höhe des Kampenwandbahn-Parkplatzes im Bach verlor.

„Das reicht nicht, das ist zu wenig.“ Das sagte Forensiker Jiri Adamec zu den Kräften, die die Prien am 3. Oktober 2022 entfaltete. Die Verletzungen Hannas lassen sich mit dem Anprall gegen Steine oder die Stäbe von Schleusen-Rechen kaum verbinden. Wenn man an die Grenze des Vorstellbaren gehe, könne man einzelne Verletzungen wie zum Beispiel den gebrochenen fünften Halswirbel als Folge eines Hängenbleibens des Kopfes an einem Hindernis annehmen. Oder auch durch das Festhaken der Halskette. „Das ist aber schon unwahrscheinlich“, sagte Adamec. Die Kombination der Wunden, der Brüche auch an beiden Schulterdächern, der tiefen Einblutungen ließen auch ihn immer wieder den Kopf schütteln: Die Prien, so ließ Adamec erkennen, ist als Verursacher dieser Verletzungen in ihrer Gesamtheit schwer vorstellbar. Man kann es auch so sagen: Die Unfallthese ist durch die Ausführungen der Gutachter nicht überzeugender geworden.

Weiter Raum
für Unschärfen

Es ist also nicht restlos geklärt, was sich am 3. Oktober 2022 an der Kampenwandstraße, im Bärbach und in der Prien ereignete. Es gibt Spielraum, Unschärfebereiche, die Platz für Spekulationen bietet. Und für Beweisanträge. Drei davon stellte die Verteidigung zum Abschluss der Verhandlung am 16. Januar. Unter anderem soll geklärt werden, ob Sebastian T. nicht vielleicht doch eine lange Jogginghose getragen haben könnte. Zeugen hatten von einer kurzen Hose gesprochen, die war jedoch im Zuge der Ermittlungen nie aufgetaucht. Hatte Sebastian T. sie beseitigt, weil sie verräterische Spuren aufwies?

Davon waren offenbar Ermittler ausgegangen. Außerdem soll ein thermodynamischer Gutachter hinzugezogen werden. Er soll klären, was mit Hannas Smartphone in den kritischen Minuten des 3. Oktober 2022 geschah. Unter anderem stellt die Verteidigung die These in den Raum, Hanna könnte beim Austreten in den Bärbach gestürzt sein. Der Prozess wird am 23. Januar fortgesetzt.

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