Ruf nach Neuwahlen wird lauter

von Redaktion

Interview Wilfried Schober vom Bayerischen Gemeindetag über Grenzen des Protests

Rosenheim – Mit Traktoren, Lkw, Privat-Pkw, sogar Tretbulldogs – die Menschen können in Maxlrain, Stephanskirchen, Rosenheim, München und Berlin demonstrieren, wie sie wollen. Ändern muss sich deshalb noch lange nichts. Können Proteste überhaupt etwas bewirken? Welche Möglichkeiten der Bürger hat, auf die Politik Einfluss zu nehmen, erklärt Wilfried Schober, Direktor des Bayerischen Gemeindetages, im exklusiven Gespräch mit den OVB-Heimatzeitungen.

Der Ruf nach einem Regierungswechsel wird auf Protestkundgebungen in Berlin, München, Rosenheim und der ganzen Region immer lauter. Doch außer Aufmerksamkeit scheinen die Demonstranten wenig zu bewirken. Welche demokratischen Mittel hat das Volk?

In einer repräsentativen Demokratie wie in Deutschland kann der Bürger nur über die Wahlen Einfluss auf die Politik nehmen. Der Bundestag wird alle vier Jahre gewählt, im Herbst 2025 stehen Neuwahlen an. In dieser Zeit haben die Bundestagsabgeordneten das Mandat des Volkes und sollen dessen Interessen repräsentieren.

Umfragen der Meinungsforschungsinstitute Insa und Forsa zufolge sind nur noch 17 Prozent der Bürger mit der Politik der Ampel-Koalition zufrieden. 80 Prozent des Volkes fühlen sich nicht mehr vertreten. 51 Prozent sprechen sich für Neuwahlen aus. Warum legen die Bundestagsabgeordneten ihr Mandat nicht freiwillig nieder?

Die Bundesregierung ist bis Herbst 2025 im Amt. Die Politiker wissen, dass sie auch als eine vom Volke nicht mehr getragene Regierung bis dahin weitermachen können. Das ist seit Ende des Zweiten Weltkrieges in unserem System so verankert. Auch der Bundespräsident kann eine Regierung nicht ihres Amtes entheben.

Wenn sich an der Politik der Ampel-Regierung nichts ändert, werden die Demonstrationen weitergehen. Doch wie lange?

Meinungs- und Versammlungsfreiheit sind hohe Güter unserer Demokratie. Aber Berufspolitiker wissen natürlich genau, welche rechtlichen Möglichkeiten sie haben. Auch wenn sie nicht auf möglicherweise berechtigte Forderungen der Demonstranten eingehen, bleiben sie im Amt. Natürlich möchte keiner einen gewalttätigen Umsturz. Deshalb muss die Kritik an der Politik der Bundesregierung aus den Parteien selbst kommen. Sie müssen ihren Vertretern in Berlin klarmachen, dass es der Untergang einer Demokratie ist, wenn am Volk vorbei regiert wird.

Teile der FDP-Basis forderten schon einen Ausstieg aus der Ampel. Welche Folgen hätte ein Koalitionsbruch?

Wenn die Ampel zerbricht, wären Neuwahlen erforderlich.

Es gibt im Grundgesetz auch die Möglichkeit des konstruktiven Misstrauensvotums. Wie können Bürger darauf Einfluss nehmen, dass es dazu kommt?

Bürger können nur über Gespräche mit ihren Stimmkreisabgeordneten versuchen, Einfluss auf den Bundestag zu nehmen. Mit dem im Grundgesetz verankerten konstruktiven Misstrauensvotum können die Abgeordneten dem Bundeskanzler das Misstrauen aussprechen und ihn abberufen. Das ist aber nur erfolgreich, wenn die Opposition im Bundestag auf zusätzliche Stimmen aus den Regierungsparteien zählen kann. In der Bundesrepublik gab es 1982 zum ersten Mal einen Regierungs- und Kanzlerwechsel durch ein konstruktives Misstrauensvotum. Aufgrund von Differenzen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik traten damals vier FDP-Minister zurück. Die Koalition aus SPD und FDP zerbrach. Die Mehrheit des Bundestages entzog dem damaligen Regierungschef Helmut Schmidt (SPD) das Vertrauen. Er wurde des Amtes enthoben und Dr. Helmut Kohl (CDU) zu seinem Nachfolger gewählt. 1983 wurde die neue Bundesregierung durch vorgezogene Bundestagswahlen legitimiert.

Früher sind Politiker wie Franziska Giffey (SPD) oder Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) zurückgetreten, weil sie wegen Plagiatsvorwürfen in ihren Dissertationen in der Kritik standen. Heute haben einige unserer Bundesminister gar keine Berufsausbildung, ihren Lebenslauf frisiert oder werden der Korruption verdächtigt, weil sie guten Freunden lukrative Posten verschafft haben. Aber keiner von ihnen denkt mehr an Rücktritt. Wie steht es Ihrer Meinung nach um die Moral der jetzigen Regierung?

Fragen zur Moral sind schwer zu beantworten, weil sich die Anschauungen und Überzeugungen innerhalb einer Gesellschaft stetig wandeln. Was noch vor wenigen Jahren einen Proteststurm ausgelöst hätte, wird heute achselzuckend zur Kenntnis genommen. Die Wählerinnen und Wähler haben es in der Hand, einer Regierung, die sich nicht an Moralvorstellungen der Mehrheit der Bevölkerung hält, die Quittung zu verpassen. Bei der nächsten Bundestagswahl.

Interview: Kathrin Gerlach

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