Rosenheim – Zum Einkaufen in die Innenstadt geht Rainer Heinz nur noch selten. Fast alles, was der Vorsitzende des Rosenheimer Forums für Städtebau und Umweltfragen braucht, kauft er im Internet. „Rosenheim ist schon lange keine Einkaufsstadt mehr“, sagt Heinz. Das sei nicht immer so gewesen. So erinnert sich der Vorsitzende noch gut an die Zeit, als Österreicher an den Feiertagen nach Rosenheim kamen, um dort einkaufen zu gehen. „Im Verhältnis zu ihrer Größe hatte die Stadt ein großes Einzugsgebiet, sodass sie beim Umsatz je Einwohner einmal einen bundesweiten Spitzenplatz einnahm“, erklärt Heinz.
Frequenzverluste
vor der Pandemie
Doch die Zeiten haben sich geändert. „Wir hatten bereits vor der Pandemie Frequenzverluste in den Innenstädten. Die Pandemie war nur ein Brandbeschleuniger“, sagt Bernd Ohlmann vom Bayerischen Handelsverband. Immer mehr Menschen entschieden sich – wie etwa Rainer Heinz – für den bequemen Online-Einkauf. Hinzu kommen die aktuellen Entwicklungen. Ohlmann nennt als Beispiele den Ukraine-Krieg, die Inflation und die hohen Energiepreise. „Die Rosenheimer halten ihr Geld zusammen“, weiß der Experte. All das führe dazu, dass der „Patient Innenstadt am Tropf hängt.“
Das bestätigt auch Dr. Hermann Biehler, ebenfalls Vorsitzender des Rosenheimer Forums. Er beobachtet die Entwicklung der Innenstadt schon seit einiger Zeit. „In den vergangenen 15 Jahren ist der Umsatz stagniert oder zum Teil rückläufig“, sagt Biehler. Er erinnert an die zahlreichen Leerstände in der Münchener Straße, kritisiert, dass auch Galeria Karstadt schon lange kein Frequenzbringer mehr ist. Zumal die Zukunft der Warenhauskette ohnehin ungewiss ist.
„Rosenheim muss sich um seine Innenstadt sorgen“, sagt Biehler. Denn der Leerstand und die zugeklebten Schaufenster führen dazu, dass die Aufenthaltsqualität sinkt. „Sollte Galeria endgültig schließen und Peek & Cloppenburg reduzieren, wäre die Attraktivität Rosenheims als Einzelhandelsstandort schwer getroffen“, ist Biehler überzeugt. Er geht sogar noch einen Schritt weiter, spricht von einer „Abwärts-Spirale für die Innenstadt.“
Es ist eine Situation, wie sie auch in zahlreichen anderen Städten vorzufinden ist. Das bestätigt nicht nur Bernd Ohlmann, sondern auch ein Blick auf die „Deutschlandstudie Innenstadt 2022“, die gemeinsam vom Unternehmen Cima Beratung und Management, dem Handelsverband Deutschland und dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag durchgeführt wurde. Auf den 72 Seiten merken die Experten unter anderem an, dass insbesondere in Kleinstädten mit bis zu 10000 Einwohnern ein dauerhafter Besuchsverlust von 20 Prozent droht.
„Die Innenstadt bedarf einer Neuausrichtung“, heißt es in der Studie. Die Fokussierung auf den Handel allein sei nicht mehr ausreichend. Während 2015 noch mehr als drei Viertel der Befragten angaben, die Einkaufsmöglichkeiten der Innenstadt zu schätzen, sind es mittlerweile nur noch rund 56 Prozent. Vor allem die unter 30-Jährigen ziehe es immer seltener zum Einkaufen in die Innenstadt. „Wir müssen uns Möglichkeiten überlegen, dem Verfall der Innenstadt etwas Neues, Positives entgegenzusetzen“, sagt Hermann Biehler.
Auch hier liefert die Studie etliche Empfehlungen. Neben einem sauberen und gepflegten Stadtbild sind auch ausreichend öffentliche Toiletten von zentraler Bedeutung. Zudem ist neben dem Handel in Zukunft ein größerer Mix aus Angeboten gefragt: dazu zählen Coworking-Spaces, Gesundheitsdienstleistungen und Bildungseinrichtungen. Verlängerte Öffnungszeiten und verkaufsoffene Sonntage sind vor allem für unter 30-Jährige wichtig.
„In der Innenstadt muss es möglich sein, bequem einkaufen zu gehen“, ergänzt Bernd Ohlmann. Es brauche zentrale Parkmöglichkeiten, Sitzgelegenheiten und eine gute Pflasterung. Auch müssen Innenstädte bespielt werden – beispielsweise mit Musikern oder Straßenfesten.
„Es braucht mehr konsumfreie Räume“, sagt Rainer Heinz. Wie gut diese Möglichkeiten angenommen werden, zeigen Besuche im Riedergarten, am Salzstadel und am Ludwigsplatz. „Das sind Punkte, an denen man anknüpfen muss“, sagt Hermann Biehler. Er schlägt zudem vor, über einen verkehrsberuhigten Bereich in der Münchener Straße nachzudenken, regt an, abzuwägen, ob leer stehende Immobilien nicht für dringend benötigten Wohnraum infrage kommen könnten.
„Individuallösungen zu einzelnen Immobilien müssen immer durch kompetente Teams aus Eigentümern, Planern, Architekten, Experten für Nutzungskonzepte und deren ökonomischen Tragfähigkeiten sowie der Stadt als Trägerin der Planungshoheit entwickelt werden“, sagt Cima-Geschäftsführer Christian Hörmann. Wie wichtig es ist, dass sich alle Beteiligten an einen Tisch setzen, unterstreicht auch Bernd Ohlmann.
Den Leerstand
managen
Er regt zudem an, ein Leerstandsmanagement einzuführen und eine Standortanalyse anfertigen zu lassen. Es sind Vorschläge und Anregungen, über die im Rahmen einer offenen Diskussionsrunde am Donnerstag, 25. Januar, im Kulturzentrum „Affekt“ an der Wittelsbacherstraße 37 gesprochen werden soll.
Beginn ist um 19.30 Uhr. Auf der Gästeliste stehen neben zahlreichen Vertretern aus Politik und Stadtgesellschaft auch Oberbürgermeister Andreas März, Christian Hörmann von der Cima sowie Prof. Alain Thierstein.
„Nur aus der offenen Diskussion der Stadtgesellschaft um Risiken und Chancen, Schwächen und Stärken der ‚Guten Stube‘ lässt sich ein Weg aus dem Dilemma finden“, fügt Rainer Heinz hinzu.