Traunstein/Garching an der Alz/München – Sichtlich schwer fiel Kläger Andreas P. seine Aussage kürzlich vor der Fünften Zivilkammer am Landgericht Traunstein – obwohl er nicht über den eigentlichen sexuellen Missbrauch durch den Geistlichen Peter H. in der Ministrantenzeit sprechen musste (wir berichteten). Stockend, meist sehr leise schilderte der heute 33-Jährige, wie er im Leben scheiterte, zu Alkohol und Drogen griff – um seine Erinnerungen an die sexuellen Übergriffe in der Kindheit zu verdrängen. Bewältigt hat er sie nie. Aber er kann mithilfe einer Unterstützergruppe darum kämpfen, Schadensersatz und Schmerzensgeld von der katholischen Kirche zu bekommen.
Rechtsnachfolger
steht noch nicht fest
300000 Euro fordert Andreas P. mit dem Garchinger Verein „Initiative Sauerteig“ zur Seite vom Erzbistum München und Freising als Arbeitgeber des schon im Jahr 1986 wegen sexuellen Missbrauchs verurteilten Pfarrers. Der ursprünglich ebenfalls beklagte Ex-Papst Benedikt XVI. ist derzeit aus dem Zivilverfahren ausgeschieden. Der Grund: Ein Rechtsnachfolger, also wer das Erbe des Verstorbenen annimmt, steht bis heute nicht fest. Die Klage gegen Wetter wurde am ersten Verhandlungstag endgültig zurückgenommen. Sowohl Josef Ratzinger, als auch Friedrich Wetter hatten in ihrer Zeit als Erzbischöfe in München in Kenntnis der Vorstrafe von Peter H. dessen Versetzung nach Garching nicht verhindert.
Das Erzbistum hat einen Missbrauchsfall an Andreas P. im Vorfeld juristisch anerkannt und ist bereit, „angemessenen“ finanziellen Ausgleich zu leisten. Wie hoch der angemessene Betrag ausfällt, hängt in dem deutschlandweit wegweisenden Prozess von der Fünften Zivilkammer mit Vorsitzender Richterin Dr. Elisabeth Nitzinger-Spann ab. Zwei Psychiater wurden bereits als sachverständige Zeugen gehört, ein neuer Gutachter beauftragt – um zu eruieren, zu welchem Prozentsatz der Missbrauch ursächlich sein könnte für die bis dato andauernden Suchtmittelprobleme des Klägers.
Dem 33-Jährigen steht die eigens für ihn ins Leben gerufene „Initiative Sauerteig“ bei, eine Gruppe von Gläubigen aus seinem Heimatpfarrverband. Sie sammelte über Crowdfunding unter „#KircheOhne Missbrauch“ mittlerweile 24000 Euro. Daraus bestritt die Gruppe um Rosi Mittermeier, eine katholische Religions- und Englischlehrerin, die bisherigen, im Voraus zu zahlenden Gerichtskosten von knapp 1000 Euro, 8500 Euro für den ersten Verhandlungstag, 3000 Euro als Vorschuss auf für das Gutachten, 1200 Euro für die Auslagen der Einvernahme von Zeugen und 2000 Euro für Reisekosten. Die drei Anwälte P.s verlangen derzeit nichts nach Worten Mittermeiers.
Zentrale Frage dieses Prozesses ist: Welchen kausalen Anteil hat der sexuelle Missbrauch an den Suchtmittelproblemen P.s? Sie sollen nach Meinung der früheren Gutachter zum Teil auch in der Persönlichkeitsstruktur und in der Lebensgeschichte P.s begründet sein.
Über die „angemessene“ Höhe einer Entschädigung entscheidet allein das Gericht. Bei der Bemessung sei eine „Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls“ erforderlich, gab dazu Landgerichtspressesprecherin Cornelia Sattelberger Auskunft. Für Höhe und Maß der Lebensbeeinträchtigung seien Kriterien wie zum Beispiel die Schwere der Verletzungen, Art, Umfang und Dauer des Leidens eines Verletzten, aber auch der Grad des Verschuldens durch den Schädiger heranzuziehen. Deshalb könnte das Gericht auch bei 100-prozentiger Ursächlichkeit des sexuellen Missbrauchs an den Problemen des Klägers mehr oder weniger als 300000 Euro zusprechen. Gewinne der Kläger zu 50 Prozent und würden alle Beklagten zur Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld in gesamtschuldnerischer Haftung verurteilt, müsste der Kläger die Hälfte aller nach dem RVG-Gesetz (Gesetz über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte) berechneten Anwaltskosten plus der Gerichtskosten zahlen. Die Kosten seiner eigenen „zusätzlichen Anwälte“, im Fall P.s zwei, trage der Kläger auf jeden Fall und zwar unabhängig vom Verfahrensausgang. Sollte die Klage gegen einen der Beklagten abgewiesen werden, hafte allein der Kläger zusätzlich auch für die gesamten Kosten dieses Beklagtenanwalts.
Beim Thema Geld kommt in einem Zivilprozess ein wichtiger Faktor hinzu. Prozesskosten für weitere Schritte, etwa ein Ergänzungsgutachten im jetzigen Verfahren vor dem Landgericht oder eine Berufung zur nächsthöheren Instanz, dem Oberlandesgericht München, sind immer im Voraus fällig und binnen einer vom Gericht gesetzten Frist, manchmal sogar binnen einer Woche, zu überweisen. Sonst wird das Gutachten nicht eingeholt oder das Verfahren nicht fortgeführt. Eine gesetzliche Prozesskostenhilfe konnte nach Auskunft Rosi Mittermeiers nicht beantragt werden: „Bei der Antragsprüfung wäre sofort die Verjährung als Ablehnungsgrund angeführt worden.“
Finanzsituation der
Missbrauchsopfer
Angesichts des Risikos für ein langes Zivilverfahren und der Finanzkraft der Katholischen Kirche trauten sich Missbrauchsopfer gemäß Rosi Mittermeier bislang nicht, einen Zivilprozess anzustrengen. Bei der Missbrauchsproblematik mit Opfern von kirchlichen Tätern sei entscheidend, „wie sie finanziell aufgestellt sind“. Wenn man ihnen beistehen könne, säßen die Täter „eben nicht wie bisher am längeren Hebel“. Weiter betonte Rosi Mittermeier: „Um Andreas P. Recht zu verschaffen, hatte unsere Pfarrgemeinde die Idee eines Crowdfundings. Es war keine leichte Entscheidung für uns, diesen Weg zu gehen.“
Neben dem 33-Jährigen gebe es „weitere Missbrauchsopfer“. Wenn von dem für P. gesammelten Betrag etwas übrig bleibe oder weitere Spenden einträfen, sei man künftig gewappnet nach dem Motto „Unrecht muss geklärt werden.