Aschau/Traunstein – Zäh geht es voran im ohnehin aufwendigsten Mordprozess, den das Landgericht Traunstein in den vergangenen Jahren erlebt hat. Weite Wege sind es, zu denen die Verteidigung das Gericht nötigt. Man legt diese Extra-Meilen in kleinen Schritten zurück und tritt dabei einander auf die Füße: Und so kam es auch am 27. Verhandlungstag am vergangenen Donnerstag, 25. Januar, am Landgericht Traunstein zu Wortgefechten. Etwa darüber, wie die Verteidigung ihre Beweisanträge begründet.
Wiederholt Rüffel
für formale Fehler
Richterin Jacqueline Aßbichler rüffelte Verteidigerin Regina Rick in den vergangenen Wochen immer wieder mal wegen formaler Fehler. Und sie wies den einen oder anderen Antrag zurück. Wie zuletzt den, den Thermodynamiker Niels Hansen hinzuzuziehen. Hansen hatte im Prozess um den „Badewannen-Mord“ zusammen mit dem Bio-Mechaniker Syn Schmitt dem zu Unrecht verurteilten Manfred Genditzki zum Freispruch verholfen. Es war der Prozess, mit dem Regina Rick bekannt wurde. Im „Eiskeller-Prozess“ wird Hansen nicht zum Zuge kommen: Richterin Aßbichler hielt Ricks Behauptung, Hanna habe nach dem Sturz ins Wasser ihr Handy noch länger mit der Hand umklammert, aufgrund der Handy-Daten für widerlegt.
Damit bleibt es bei einer entscheidenden Uhrzeit: Ab kurz nach halb drei Uhr verlor Hannas Smartphone rapide an Temperatur, wohl deswegen, weil es zu diesem Zeitpunkt ins Wasser des Bärbachs gelangt war.
Die Unfall-These der Verteidigung war allerdings zuvor schon vom Tisch gewesen. Und zwar mit der Aussage des Digitalforensikers der Polizei, der klar hatte nachweisen können, dass Hanna versucht hatte, über die eingespeicherte Festnetznummer ihres Elternhauses einen Notruf abzusetzen. Ein Notruf aber lässt sich mit der Vorstellung eines Sturzes in den Bärbach kaum in Einklang bringen. Gutachter hatten außerdem das Treiben in der Prien und Anstoßen an Hindernisse als eher unwahrscheinlich für die Verletzungen Hannas bezeichnet.
Ein weiterer Beweisantrag der Verteidigung ging zwar durch, das Resultat war aber gleich null. Zu hören gewesen waren am Donnerstag, 25. Januar, vier Zeugen, die sich zur Tatzeit in der Nähe des mutmaßlichen Tatortes in Aschau hätten befinden können. Ihre Aussagen erbrachten jedoch kein Resultat. Es sei ein typischer Tag „mit Stillstand“ gewesen, sagte hinterher Nebenkläger-Anwalt Walter Holderle. „Eigentlich hat jeder gewusst, dass dabei nichts herauskommen wird, aber das Gericht muss diesem Beweisantrag natürlich nachkommen.“
Nebelkerzen oder wichtig im Sinne der Wahrheitsfindung? Viele Beobachter im großen Saal des Landgerichts sind sich über die Beweisanträge von Verteidigerin Regina Rick nicht einig. Sie habe noch eine Reihe davon „in der Pipeline“, ließ Rick mehrmals wissen.
Ihr jüngster Antrag wird voraussichtlich am morgigen Dienstag eine Rolle spielen. Die Verteidigung will in der Hoffnung auf ein Alibi für den Angeklagten genau geklärt haben, wann auf Sebastian T.s Smartphone was gemacht worden ist. Dazu wird Google eingeschaltet.
Eine Anfrage bei den Spieleentwicklern in Finnland ergab bereits, dass der Angeklagte in der Tatnacht um 2.42 Uhr „Clash of Clans“ spielte. 2.42 Uhr: Das hätte Sebastian T. genügend Zeit gegeben, den von der Staatsanwaltschaft angenommenen Überfall auf Hanna zu unternehmen und danach in aller Ruhe zum 600 Meter weit entfernten Elternhaus zu joggen.
Was aber, wenn Sebastian T. schon in den Minuten zuvor mit dem Handy übers heimische Wlan im Internet gesurft wäre? Wenn er sich ein Fitness-Video angesehen hätte, wie von der Verteidigung behauptet? „Wir wollen eruieren, wann dieses Youtube-Video angeschaut wurde, um damit belegen zu können, dass es nicht so gewesen sein kann, wie die Staatsanwaltschaft annimmt“, sagte Verteidiger Dr. Markus Frank auf OVB-Nachfrage. Daher wird nun Google kontaktiert. Der Suchmaschinen-Gigant soll sekundengenau sagen, wann Sebastian T. im Internet zugange war.
Aber kann Google das überhaupt? Vorab muss geklärt werden, ob Google Daten tatsächlich so lange speichert. Schließlich liegt jene Nacht nun bereits über 15 Monate lang zurück.
Viel Aufwand –
ungewisser Ertrag
„Warum müssen wir diesen Aufwand treiben“, fragt Eltern-Anwalt Holderle und macht einen salomonischen Vorschlag. „Der Angeklagte müsste doch nur sagen, ich habe an diesem Abend erstens dies und zweitens dies gemacht. Dann wäre alles klar.“ Doch das wird wohl nicht passieren: Auch an den vergangenen Verhandlungstagen ließ Sebastian T. alles über sich ergehen, ohne ein Wort zum fatalen Morgen des 3. Oktober 2022 zu sagen.
So wird das Gericht auch die Google-Anfrage beantworten müssen. „Kaffeesatzleserei“, sagt Holderle. Davon scheint auch Richterin Aßbichler auszugehen. Was wann gemacht worden sei, sei wichtig, aber nicht ausschlaggebend: „Wir wissen nicht, wer das Handy in der Hand hatte.“ Schließlich existierten auf dem Gerät mehrere Benutzernamen – darunter wohl der der Mutter des Angeklagten.