„Ein neuer Riss geht durchs Land“

von Redaktion

Interview Politik-Experte Florian Wenzel über das neue Demo-Deutschland

Halfing/Traunstein – Markus Huber aus Bad Feilnbach hat zur Kundgebung aufgerufen, viele Unzufriedene folgten: Auf der Theresienwiese in München demonstrieren Tausende gegen die Ampel-Koalition in Berlin. Woanders gehen Menschen gegen rechtsextreme Politik auf die Straße und demonstrieren für demokratische Vielfalt. So erlebte Traunstein eine der größten Demos seiner jüngeren Geschichte. Was ist grad mit Deutschland los? Ist Frust eine gute Motivation? Und dient es wirklich immer der Demokratie, wenn Bürger demonstrieren? Darüber sprachen die OVB-Heimatzeitungen in einem exklusiven Gespräch mit Florian Wenzel, Politik-Experte aus Halfing.

Zehntausende demonstrieren gegen rechts, woanders blockieren Bauern mit dem Traktor Straßen. Wieder andere protestieren gegen die „Ampel“, wie jüngst auf der Theresienwiese nach dem Aufruf von Markus Huber aus Bad Feilnbach. Was ist denn grad mit Deutschland los?

Es geht eine neue Art von Riss durchs Land. Es geht darum, wer wofür demonstriert. Ich sehe da einen grundlegenden Unterschied. Der Mittelstand demonstriert sicherlich auch aus berechtigten Anliegen heraus für sich selbst.

Auf der anderen Seite aber demonstrieren Menschen gegen den Rechtsextremismus und gegen die steigende Zustimmung zur AfD. Diese Demonstranten treten in Verantwortung für die plurale Demokratie insgesamt auf. Ein weiterer großer Unterschied liegt in der Wortwahl.

Die ja teilweise schon derb ist und an Pegida erinnert.

Ja, da ist die Rede von Versagern in der Politik, von Irrsinn, von „Weg mit denen in Berlin“. Man hört pauschale Verunglimpfungen, hört auch wieder von der „Lügenpresse“. Alle Wut wird auf die Ampel projiziert. Auch der Mangel an Kita-Plätzen in Bayern, obwohl der gar nichts mit der Ampel zu tun hat.

Die Demos gegen rechts haben oft einen ruhigeren Ton oder zumindest keine Symbolik wie Galgen oder Mülleimer. Worin auch ein Problem liegt.

Was für ein Problem liegt denn in gemäßigter Wortwahl?

Wer mit ruhigeren, gemäßigten Worten auftritt, tut sich schwerer, in konkreten Punkten etwas zu erreichen. Wer bei Fragen wie der Migration differenziert, kann keine markigen Formulierungen prägen und daraus konkrete, harte Forderungen ableiten. Das geht besser, wenn man ganz pauschal argumentiert.

Wie pauschal ist denn das Video von Markus Huber, der zur Demo in München einlädt? Da tritt ein asiatischer Gastronom auf und fordert faire Migration.

Ehrlich gesagt, da frag ich mich schon, wie authentisch das ist. Wir sehen ein Einzelbeispiel, das wie ein Feigenblatt wirkt. Wer gleichzeitig auf der anderen Seite fordert, deutsches Steuergeld solle in Deutschland bleiben und die Mittel für Asylbewerber sollten gekürzt werden, ordnet sich mindestens konservativen, wenn nicht gar rechtspopulistischen Positionen unter.

Dass Demos und Demos zweierlei sind, würden auch viele Demonstranten auf der Theresienwiese unterschreiben. Einige von ihnen behaupteten, die Berichte über die Demos gegen Rechtsextreme seien „Regierungspropaganda“.

Auch da frage ich mich, wie man mit Fakten an die Menschen noch herankommt. Seit Wochen haben wir über die Bauernproteste eine Art Dauerberichterstattung. Und es gibt Berichte über die Demos gegen rechts. Der Vorwurf der Propaganda entbehrt vollkommen der faktischen Grundlage. Das ist dieser Reflex: Jede andere Position als die eigene wird als Sanktion der eigenen Position wahrgenommen. Viele Menschen wollen nicht nur ihre von Individualinteressen getriebene Meinung äußern, die wollen auch noch, dass die anderen sie gut finden. Das geht aber in einer pluralen Demokratie nicht.

Auf die Demo von „Hand in Hand“ war die Politik eingeladen. Allerdings, ohne Redezeit eingeräumt zu bekommen. Was halten Sie davon?

Das ist auf einer Linie von „Wir stehen zusammen“, damals, in der Corona-Zeit. Damals hatten viele Kommunalpolitiker ihr Kommen zugesagt. Entgegnet hat man ihnen, dass man mit „etablierten Politikern“ nicht ins Gespräch kommen wolle. Und ein Hubert Aiwanger hat das in jüngster Zeit noch mit befeuert, diese Behauptung, Politik werde nicht von Politikern gemacht, sondern vom Volk. Was paradox bleibt: Einer der ranghöchsten Politiker Bayerns stimmt ein in den Chor derer, die „Die da oben“ verächtlich machen. Das verstehen viele Menschen so: Ich fordere dies und jenes, und die Politik hat das bitteschön direkt so umzusetzen. Und so schwindet das Bewusstsein für schwierige Entscheidungen.

Und die Notwendigkeit des Verhandelns?

Ja, und auch für die Dilemmata, die es bei jeder Abwägung von Prioritäten gibt. Da geht eindeutig das Bewusstsein verloren, dass Demokratie nicht einfach technokratisch mit richtig oder falsch operiert, sondern immer der konstruktive Streit um den bestmöglichen Weg für alle und im Übrigen auch für Minderheiten ist.

Ein Problem in einer Zeit mit so vielen Krisen.

Das erste wäre doch, dass man von allen Seiten anerkennt, dass die Situation gerade schwierig ist. Aber wenn die Politik sagt, dass die Lage schwierig ist, wird noch mehr auf sie eingeschlagen. Da sehen sich offenbar viele Menschen in der Annahme bestätigt, dass Politiker eh unfähig seien. In einem solchen Stadium kann die Politik handeln, wie sie will, es kann nur noch falsch sein.

Es gibt die gefährliche Illusion, es sei gut, einfach mal reinen Tisch zu machen. Auf dass wir wie Phönix aus der Asche auferstehen, und alles wird gut.

Aber Sie erwähnten ja auch die Demos für die pluralistische Demokratie.

Ja, und das parteiübergreifende Bekenntnis des bayerischen Landtags gegen rechts. Wobei das auch wieder dazu führen kann, dass sich Menschen in die rechte Ecke gestellt sehen und dann AfD oder dergleichen wählen.

Trotzdem, ein Zeichen, dass die politische Kultur noch nicht umgekippt ist, kann man darin doch sehen, oder?

Es gibt Hoffnung, ja. Aber wenn ich mich für Solidarität, für Pluralismus und Menschlichkeit einsetze, werde ich mich nicht so eindeutig und kraftvoll äußern. Vielleicht sind im Moment schon die reinen Teilnehmerzahlen der Demonstrationen, diese Menge von Leuten, die da auf die Straße gehen, ein Signal. Auch aus der Wirtschaft kommen mittlerweile ja klare Bekenntnisse zu Vielfalt und Integration.

Als Symbol ist das gut. Ob es sich auch in einen politischen Impuls umsetzen lässt, ist fraglich.

Wir erlebten in jüngster Vergangenheit auch kleinere Demos. In Rott zum Beispiel, wo die Menschen gegen eine große Flüchtlingsunterkunft demonstrierten.

Daran gefallen hat mir, dass die Bürgerinitiativen und der Bürgermeister gesagt haben, so geht es nicht. Gleichzeitig haben sie immer und immer wieder, mantraartig sozusagen, gesagt, sie wollen sich nicht von rechts vereinnahmen lassen. Die haben betont, dass sie bereits hundert Geflüchtete aufgenommen haben und das auch gut finden, dass sie aber gegen Überlastung sind.

Die Menschen dort haben gegen die AfD demonstriert, sie haben eine andere Demo wiederum abgesagt, weil sie ihr Thema nicht mit anderen Überlegungen vermischen wollten. Das finde ich standhaft und sehr gut. Es ist ein Beispiel für mich, wie man auch in diesem heiß umkämpften Thema klare Kritik äußern kann, ohne alles in Bausch und Bogen zu verurteilen und „Grenzen dicht!“ zu fordern.

Sind wir schon so weit wie in der Endphase von Weimar?

Puuuh. Das würde ich nicht sagen. Aber die Gefahr ist groß. Da gibt es nunmehr das „Bündnis Sahra Wagenknecht“, da gibt es die Werteunion, und da scheint es auch schon bedenkliche Kooperationsüberlegungen mit der AfD zu geben. Also, wenn eines dieser Bündnisse oder die AfD über 30, 35 Prozent kommen – dann wird es problematisch.

Ich sehe noch nicht die Gefahr einer Machtübernahme, aber den schleichenden Umbau der Demokratie. Wie man es unter anderem in Ungarn erleben kann. Vor dem Hintergrund sind die Demonstrationen aus einem Generalfrust heraus noch gefährlicher. Weil sie zu dieser Erosion beitragen und den politischen Rändern aus Eigeninteresse Legitimation verschaffen.

Interview: Michael Weiser

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