Ein weiteres Bürokratiemonster?

von Redaktion

Die Region Rosenheim steuert auf den Verkehrskollaps zu. Mit verbesserter Infrastruktur und den Segnungen der Digitalisierung will Bayern dem entgegensteuern. Doch nicht alle Betroffenen aus der Region sind überzeugt.

Stau im Inntal: Die Probleme sind nur im Miteinander mit Tirol lösbar. Foto dpa

Rosenheim – Zu spät, zu wenig, zu umständlich? Betroffene und Experten in der Region Rosenheim äußern gegenüber dem kürzlich präsentierten Güterverkehrskonzept des Freistaats auch Skepsis. Georg Dettendorfer von der Spedition Johann Dettendorfer bewertet einen entscheidenden Punkt kritisch: das Slotsystem, das Zeitfenster für Lkw vorsieht und die schweren Vehikel je nach Verkehrsaufkommen takten soll.

Er sehe derlei mit „großer Skepsis“, sagte er dem OVB. Der Geschäftsführer der Nußdorfer Speditionsfirma befürchtet, dass diese Steuerung das Geschäft der Logistiker erschwert. „Ein Fahrer, der keinen Slot mehr bekommt, wird dann trotzdem bis an die Grenze fahren und dort warten“, meint Dettendorfer.

So schnell wohl
keine Erleichterung

Auch der Aufwand, jeden Lkw im Slot-System ankündigen zu müssen, erscheint ihm enorm. „Das könnte ein weiteres Bürokratiemonster werden“, befürchtet er. Allerdings – er will abwarten, wie das System letztendlich ausgestaltet wird. Für die nächsten Wochen, vielleicht sogar schon für Februar, seien dazu weitere Informationen angekündigt worden.

Auch der Bürgermeister von Raubling äußert sich zurückhaltend. „Was passiert, wenn sich ein Lastwagenfahrer verspätet, weil er auf der Fahrt zu seinem Slot im Stau steht?“, fragt Olaf Kalsperger. „Und wenn einer zu früh ankommt, wird er kaum auf dem vorgesehenen Parkplatz warten, sondern gleich vorfahren.“ Dann seien die Zufahrten auch wieder verstopft.

Darüber, dass etwas passieren muss, herrscht Einigkeit. Kaum eine Region in Bayern leidet so unter dem Verkehr wie die Region Rosenheim. Vor allem, wenn Tirol – wie am gestrigen Montag – mal wieder Blockabfertigung verhängt. Dann gelangen oft genug nur 100, 150 Lastwagen pro Stunde über die Grenze nach Tirol. Und auf der Inntal-Autobahn staut sich‘s dann mitunter zurück bis zum Irschenberg. Am Montag ging‘s bis kurz vors Inntaldreieck.

Erleichterung? Ist so schnell nicht zu erwarten. Die Blockabfertigung ist ebenso wie der Bau des Brennerbasistunnels und das Projekt des Brenner-Nordzulaufs dem stetig wachsenden Güterverkehr geschuldet. Nach der Corona-Delle fahren schon wieder so viele Lkw über den Brenner wie 2019: über zweieinhalb Millionen Lkw. Offiziell um die Anwohner der meistbelasteten Transitroute Europas zu schützen, verhängt Tirol Jahr für Jahr mehr Termine für die Blockabfertigung. 24 allein fürs erste Halbjahr 2024.

Es werden
mehr Baustellen

Der Verkehr wird mehr, die Baustellen vermehren sich ebenfalls: Ab 2025 soll an der Brenner-Autobahn die Luegbrücke ab- und neugebaut werden. Eine dringend notwendige Maßnahme, die vermutlich noch mehr Blockabfertigungstermine nach sich ziehen wird. Schließlich will Tirol nicht zulassen, dass sich die Lastwagen in der Steigung der Brenner-Autobahn stauen. „Damit es irgendwann mal besser wird, muss es jetzt wohl erstmal Baustellen geben“, sagt gefasst Brannenburgs Bürgermeister Matthias Jokisch. „Aber – das wird natürlich schwierig.“

„So wie‘s ist, kann es nicht weitergehen. Das ist nicht mehr tragbar“, sagt Kiefersfeldens Bürgermeister Hajo Gruber. Nicht nur Güter, sondern auch der Individualverkehr müsse auf die Schiene. Insofern wäre das Konzept für den Güterverkehr zu begrüßen. Schließlich sieht es neben dem Abschied von fossilen Brennstoffen für die Lkw auch noch mehr Terminals zum Umladen auf die Schiene vor.

„Aber die Bahn ist noch lange nicht so weit“, schwant es Gruber. Zumal jüngst bekannt wurde, wie groß die Finanzierungslücken bei der Bahn sind. Seitdem scheint auch nicht mehr ganz so sicher, dass der Bundestag die Planungen für den Brenner-Nordzulauf 2025 ohne Sparversuche absegnet. Erst recht mit den kostenträchtigen Verbesserungen, die von der Unionsfraktion jüngst gefordert wurden.

Dass man die großen Verkehrsfragen nur gemeinsam lösen könne, sagte kürzlich Bayerns Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU) nach einem Gespräch mit seinem Tiroler Kollegen Zumtobel. Dementsprechend unterzeichneten Freistaat, Tirol und Südtirol im April 2023 die „Kufsteiner Erklärung“. Eben um Digitalisierung und Slot-System auf den Weg zu bringen. Nur – viel passiert ist bislang noch nicht. „Was auch daran liegt, dass letztlich auf Bundesebene darüber entschieden werden muss“, wie Andreas Krapf vom Logistik-Kompetenzzentrum Prien sagt.

Kritik an der
Förderpolitik

Letztlich ist das ganze noch höher angesiedelt. Es handelt sich um einen europäischen Verkehrskorridor und um Europas Wirtschaft, die den Brenner so ausgiebig nutzt. „Man kann sich schon überlegen, ob das bei angenommenen Wachstumsraten von 25 Prozent mit dem Ausbau der Infrastruktur noch getan ist“, fragt sich Oberaudorfs Bürgermeister Matthias Bernhardt. „Grundsätzlich sollte man sich vielleicht fragen, ob diese transportorientierte Art von Wirtschaft nachhaltig ist.“ Und auch Olaf Kalsperger äußert sich nachdenklich, ob eine europäische Förderpolitik, die lange Wege billig macht, noch in die Zeit passt.

Flintsbachs Bürgermeister Stefan Lederwascher findet das Konzept des Freistaats nicht schlecht. „Es freut mich, wenn ein Bundesland punktuell etwas verbessert.“ Das Problem in seiner Gesamtheit sei nur auf europäischer, mindestens aber auf Bundesebene zu lösen. „Schade, dass sich vom Bundesverkehrsministerium bei uns niemand blicken lässt.“

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