Traunstein/Rosenheim – Die gefährliche Fluchtfahrt eines 33-jährigen Schleusers aus Aserbaidschan vor der Polizei mit sechs Flüchtlingen in einem Audi Q7 von Kiefersfelden nach Aschau endete glücklicherweise ohne Verletzte und Tote.
Wegen einer Vielzahl von Straftaten, darunter banden- und gewerbsmäßiges Schleusen von mehr als 400 Personen, plädierte Staatsanwalt Florian Krug am gestrigen Dienstag vor der Zweiten Strafkammer am Landgericht Traunstein mit Vorsitzendem Richter Volker Ziegler auf eine Freiheitsstrafe von neuneinhalb Jahren. Verteidiger Harald Baumgärtl aus Rosenheim hielt neun Jahre Haft für ausreichend – was der unteren Grenze der vom Gericht zugesagten Strafspanne entsprach.
Riskantes Rennen
auf der Autobahn
Der geständige Angeklagte hatte von August 2022 bis Mitte November 2022 eine wichtige Rolle in einer aserbeidschanischen Schleuserbande inne, die türkische Flüchtlinge von Ungarn per Flixbus nach Dresden beziehungsweise per Zug über Kufstein und weiter mit dem Auto nach Bayern transportierte.
Als Audi-Q7-Fahrer lieferte sich mit der Polizei am 15. November 2022 ein riskantes Rennen vom Autobahngrenzübergang Kiefersfelden bis nach Hohenaschau. Er ignorierte damals die Stoppsignale an der Grenze und flüchtete in Fahrtrichtung Rosenheim. Mit Polizeiwagen hinter sich raste der Angeklagte mit bis zu 220 Stundenkilometern über die A93 und die A8. Bei Frasdorf fuhr er ab.
Angesichts einer Baustelle wich er auf den Straßengraben aus. Auf der Staatsstraße 2093 trat er wieder auf das Gaspedal, erreichte bis zu 170 Stundenkilometer und hatte im Ortsbereich von Aschau immer noch 120 auf dem Tacho.
Anhalteversuche durch zwei Polizeifahrzeuge scherten den Angeklagten nicht, ebenso wenig Geschwindigkeitsbeschränkungen. In Hohenaschau bog der aserbaidschanische Schleuser schließlich über den Burgweg in die Forstrats-Jäger-Straße ein. Die Fahrt endete gegen 2.10 Uhr in einer Sackgasse.
Mit gezogenen Schusswaffen forderten die Polizeibeamten alle Autoinsassen auf, ihre Hände zu zeigen. Der 33-Jährige stieg unerwartet aus und wurde aggressiv. Er biss einen Beamten, der ihn vorläufig festnehmen wollte. Der Einsatz von Reizgas war erforderlich, um den Aserbeidschaner dingfest zu machen. Im Dienstgebäude drohte er „I will kill you“, gefolgt von einer Geste mit der Hand unter der Kehle.
Der Verkehrssachverständige Dr. Andreas Thalhammer aus Schechen zeigte den Prozessbeteiligten ein Video der Fluchtstrecke und erklärte die neuralgischen Punkte. Wäre der Pkw von der Fahrbahn geraten, hätte viel passieren können.
Beisitzender Richter Andreas Bartschmid erkundigte sich nach Anweisungen der Bande bei einer Flucht vor der Polizei. Der 33-Jährige bejahte, eine schnelle Flucht werde vorausgesetzt. Das werde den Fahrern schon im Voraus gesagt.
Staatsanwalt Florian Krug führte im Schlussantrag strafmildernde Aspekte wie das in mehreren Ländern Europas und in Deutschland vorstrafenfreie Vorleben des Angeklagten an. Strafschärfend zu werten sei die Vielzahl der Fälle – mit 22 Fahrten binnen vier Monaten und Hunderten von Flüchtlingen. Der 33-Jährige sei nicht nur Fahrer gewesen: „Er wusste genau, was in der Bande abgeht.“
Negativ sah der Staatsanwalt auch die „massive Gefährdung“: „Keiner nahm Schaden, keiner kam ums Leben. Dass nichts passiert ist, war nur dem Zufall geschuldet.“ Einzig ein Polizeiwagen mit hoher Motorisierung habe an dem Fluchtauto „bei der filmreifen Verfolgungsjagd 40 Kilometer durch den Chiemgau“ dranbleiben können. Dass der Schleuser die Kontrolle über das Fahrzeug nicht verloren habe, sei Glück für den Angeklagten, die Polizeibeamten und die sechs Flüchtlinge gewesen.
Angeklagter räumt Vorwürfe ein
Die belastenden Fakten griff auch Verteidiger Harald Baumgärtl auf. Daran sei nicht zu rütteln. Und weiter: „Doch fand die Fluchtfahrt nicht tagsüber statt. Nachts gegen 2 Uhr war wenig Verkehr auf den Autobahnen und auf der Landstraße. Das Gefahrenpotenzial war dadurch stark eingeschränkt.“ Sein Mandant habe lediglich kurze Zeit als Schleuser fungiert. Das Geständnis habe eine zeitraubende und schwierige Beweisaufnahme erspart. Außerdem befinde sich der 33-Jährige seit Mitte November 2022 in Untersuchungshaft.
Der Angeklagte beteuerte im „letzten Wort“: „Ich bereue sehr, was ich gemacht habe.“ Die Kammer verkündet ihr Urteil am morgigen Donnerstag.