Aschau/Traunstein – Überraschend wurde der Rechtsanwalt Gerhard Strate im großen Saal des Landgerichts Traunstein gesichtet. Strate hat als streitbarer Jurist deutschlandweit große Bekanntheit erlangt. Er verteidigte zum Beispiel Gustl Mollath und gewann dessen Wiederaufnahmeverfahren. Aufmerksamkeit erreichte er auch mit einer Strafanzeige gegen Kanzler Olaf Scholz im Zuge des Cum-Ex-Skandals. Wenngleich der Staatsanwalt hier die Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens ablehnte.
Weiter dicke Luft
im großen Saal
Sollte der Rechtsanwalt nur aus privatem Interesse die Reise von Hamburg nach Traunstein unternommen haben? Kaum zu erwarten. In den Verhandlungspausen sprach er neben Kollegin Rick mit der Familie des Angeklagten. Der letzte Überraschungsgast war Manfred Genditzki gewesen, der Mann, den Regina Rick mit einem Freispruch aus dem Gefängnis geholt hatte – nach 13 Jahren! Rick hatte das Gericht davon überzeugt, dass der Hausmeister den Mord an einer Seniorin nicht verübt hatte. Auch Genditzki war im großen Saal erschienen und hatte neben der Familie des Angeklagten Platz genommen. Weniger überraschend: Es herrscht dicke Luft im großen Saal des Landgerichts Traunstein. Am 30. Verhandlungstag des Mordprozesses um den gewaltsamen Tod von Hanna W. gerieten Verteidigerin Regina Rick und Staatsanwalt Wolfgang Fiedler aneinander. Wieder mal. Doch diesmal in ungewöhnlich scharfer Form. Angesichts einer Flut von Beweisanträgen sprach Fiedler von einem Vorgehen, das „erbärmlich und an Peinlichkeit nicht zu übertreffen“ sei. Rick wiederum sprach von „Wuttiraden“ des Staatsanwalts und fügte hinzu: „Wir sind hier vor der Jugendkammer, nicht im Kindergarten.“
Die Nerven sind angespannt. Auch weil nicht jedes Nachhaken der Verteidigung auf das Verständnis aller Prozessbeteiligter und Zaungäste stößt. Die Unfalltheorie sei vom Tisch, davon waren die meisten Beobachter des Mordprozesses um den gewaltsamen Tod von Hanna W. eigentlich ausgegangen. Nun ist die Theorie wieder im Spiel. Zumindest so lang, bis die neuesten Beweisanträge der Verteidigung abgearbeitet sind.
Dafür geht Regina Rick auch über die Expertise des Wasserkundlers Prof. Dr. Andreas Malcherek hinweg. Ihn hatte sie selbst angefordert. Sein Gutachten aber ließ der Unfalltheorie keinen Platz. Nun sollen offenbar neue Gutachter den Nachweis führen, dass Hanna am 3. Oktober in der Folge eines Unfalls gestorben sein könnte.
Richterin Jacqueline Aßbichler hatte wieder Gelegenheit, um eine Klarstellung zu bitten. Was ist eine Einlassung des Angeklagten, was eine bloße Behauptung der Verteidigung? Man scheint in Traunstein vor allem der Münchner Anwältin Regina Rick Kreativität bei der Konstruktion der Beweisanträge zuzutrauen. Zum Beispiel bei den Anträgen, die klären sollten, ob Sebastian T. zum Zeitpunkt der mutmaßlichen Tat – am 3. Oktober 2022, kurz nach halb 3 Uhr morgens – auf dem Smartphone gespielt oder ein Youtube-Video angeschaut hat. Die klare Antwort des Fachmanns der Polizei: T. hat gespielt, aber erst zehn Minuten nach dem fraglichen Zeitpunkt. Ein Video schaute er erst viel später an. Nichts war es mit einem Alibi. Auch auf den nächsten diesbezüglichen Antrag der Verteidigung hatte er eine klare Antwort. Eine Anfrage bei Google dürfte nichts bringen. „Die Daten, die wir von Google haben könnten, liegen uns schon vor.“ Das sagt der Ermittler ganz deutlich.
Neun Beweisanträge ließen Regina Rick, Harald Baumgärtl und Dr. Markus Frank am Donnerstag am Landgericht Traunstein vom Stapel. Zwei Drittel davon sollen der Erhärtung folgender Annahme dienen: Hannas Wunden am Kopf, die beiden gebrochenen Schulterdächer, der gebrochene Halswirbel, die massiven Einblutungen – sie alle seien durch das Treiben des Körpers in Bärbach und Prien entstanden. Dazu bemühen die Verteidiger unter anderem Präzedenzfälle. Einmal geht es um einen Mann, der bei einem Sturz in den Bärbach in Aschau zu Tode kam, dann um eine Leiche, die von der Gerichtsmedizin in Halle untersucht wurde und ähnliche Verletzungen am Kopf aufweisen soll wie Hanna.
Vorgebracht werden soll auch der Fall eines 19-Jährigen, der am 1. Januar 2022 auf dem Rückweg von einer Silvesterfeier in die Traun gestürzt war und angeblich ähnliche Verletzungen wie Hanna aufgewiesen haben soll.
Zur Sache befragt werden soll der renommierte Hamburger Rechtsmediziner Prof. Dr. Klaus Püschel, der unter anderem als Gutachter im Fall Kachelmann vortrug. Am Donnerstag, 15. Februar, geht es um 8.30 Uhr weiter. Dann wird neben diesem auch über die anderen neuen Beweisanträge zu entscheiden sein.
Bilder aus der
Überwachungskamera
Einen Beweisantrag konnte das Gericht bereits am gestrigen Donnerstag, 8. Februar, abarbeiten. Über die Leinwand im großen Saal des Landgerichts flimmerten die Bilder einer Video-Überwachungskamera. Sie zeigten, dass ein Zeuge, der Sebastian T. in der fatalen Nacht als Jogger gesehen hatte, gegen 2.20 Uhr über den Parkplatz gegenüber dem Club „Eiskeller“ schlenderte.
Eine Feststellung, die den Verlauf des Prozesses wohl nicht ändern wird. Zum mutmaßlichen Tatzeitpunkt hätte Sebastian T. jedenfalls im Bereich des Parkplatzes der Kampenwand-Bergbahn sein können.