Stephanskirchen – 22 Schulen in ganz Deutschland sind nach Otfried Preußler benannt. Auch die in Stephanskirchen, deren Schulleiter er einst war. Schon vor einem halben Dutzend Jahren hat man sich dort mit der Vergangenheit des Namensgebers auseinandergesetzt. Heute möchte sich Schulleiter Florian Burggraf nicht mehr öffentlich zu dem Thema äußern, teilt er auf Anfrage des OVB mit.
Knackpunkt
Kriegsgefangenschaft
Eine Arbeitsgruppe des Otfried-Preußler-Gymnasiums Pullach bei München tat dies. Die Jugendzeit Preußlers, der 1923 im damaligen Reichenberg, heute Liberec, im Sudetenland geboren wurde, war geprägt von dem deutsch-tschechischen Nationalitätenkonflikt der 1930er-Jahre. Er war Mitglied in der Jungturnerschaft, die 1938 nach der Besetzung des Sudetenlandes mit der Hitlerjugend (HJ) gleichgeschaltet wurde. In der Preußler bis Ende 1941 lokale Führungspositionen einnahm. Aus dieser Zeit stammt das Buch „Erntelager Geyer“, das auf Erlebnissen in der HJ-Zeit basiert.
Von seiner Zeit in der HJ und vom „Erntelager Geyer“ habe sich Preußler später nicht distanziert, äußert sich die Arbeitsgruppe des Pullacher Gymnasiums gegenüber dem Münchner Merkur. Der Literaturwissenschaftler und Preußler-Biograf Carsten Gansel („Kind einer schwierigen Zeit: Otfried Preußlers frühe Jahre.“ Galiani, Berlin 2022) hingegen hält nicht viel davon, dem Text des 18-Jährigen eine Verbreitung der NS-Ideologie anzulasten.
Öffentlich distanziert habe Preußler sich wohl nicht, bestätigt Karl Mair. Er ist nicht nur Bürgermeister von Stephanskirchen, sondern auch Heimatforscher. Und hat sich in dieser Doppelfunktion vor dem Jubiläumsjahr 2023 intensiv mit Preußler auseinandergesetzt. „Wenn man sich aber Otfried Preußlers Werk anschaut, dann kann man schon eine Art Läuterung, eine Aufarbeitung erkennen“, sagt Mair.
In seinen bekanntesten und beliebtesten Kinderbüchern setzten sich immer die kleineren, schwächeren, die Außenseiter durch, gleich ob der kleine Wassermann, die kleine Hexe, das kleine Gespenst oder Kasperl und Seppel aus dem „Hotzenplotz“.
„Krabat“, die Geschichte eines Zauberlehrlings, der sich und seine Freunde nach Jahren aus den Fängen eines grausamen Magiers befreit, liest Mair als Eingeständnis Preußlers, dass dieser als Jugendlicher „der falschen Ideologie auf den Leim gegangen ist“. Eine Meinung, die auch von Literaturwissenschaftlern und Preußler-Biografen vertreten wird.
Preußler selbst hat über „Krabat“, ein Buch, mit dem er zehn Jahre gerungen und es als seine Auseinandersetzung mit seiner Jugendzeit im Dritten Reich beschrieben hat, gesagt: „Es ist meine Geschichte, die Geschichte meiner Generation.“ Einer Generation, die von der Weltwirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit, Inflation und Hunger geprägt war. Einer Generation junger Menschen, der in breiten Schichten der Bevölkerung aus Geldmangel nicht viel geboten war. Einer verführbaren Generation.
Für den Heimatforscher Mair ist Preußlers fünfjährige Kriegsgefangenschaft der Knackpunkt. Aus der sei Preußler als anderer Mensch aus Russland nach Oberbayern gekommen. Denn schon an den Stücken und Gedichten, die in der Gefangenschaft entstanden, merke man, „dass da einer an sich arbeitet, etwas aufarbeitet“.
Während der Gefangenschaft entstand unter anderem das laut Gansel kriegskritische Theaterstück „Kang-Chen-Dzönga“, das sich mit elementaren Fragen von Führerprinzip und Verantwortung auseinandersetzt. Der Rückschluss auf die Werke ist auch, aber nicht nur, bei Preußler nötig. „Diese Generation hat sich mit der öffentlichen Aufarbeitung ihrer eigenen Vergangenheit schwergetan“, sagt Mair.
Das Stück „Mensch Nr. 2301“, das 1953 aufgeführt wurde, behandelt Fragen von Schuld und Verantwortung. Spätestens mit dem kleinen Wassermann, 1956 erschienen, wandte sich Preußler – mittlerweile Lehrer in Rosenheim – ganz seinem liebsten und kritischsten Publikum zu, den Kindern und Jugendlichen.
Preußler, der als Kind und Jugendlicher den Konflikt zwischen Tschechen und Deutschen im Sudetenland erlebt hatte, suchte später den Kontakt zu tschechischen Autoren, übersetzte ihre Werke. Unter anderem den „Kater Mikesch“. Und verschafft als international erfolgreicher Schriftsteller diesen Werken und ihren Verfassern zu Aufmerksamkeit. Ab den 1980er-Jahren schreibt Preußler an seinen Erinnerungen zu Krieg und Gefangenschaft. Die Textfragmente bleiben unveröffentlicht.
1993 wird Preußler Ehrenbürger von Stephanskirchen, 1999 wird „seine“ ehemalige Schule nach ihm benannt. Daran irgendetwas ändern? War kein Thema. Könnte man an der Ehrenbürgerwürde ohnehin nicht. Denn die gilt laut bayerischer Gemeindeordnung, Artikel 16, nur bis zum Tod des Geehrten. Dann erlischt sie.
Und bei der Schule? Sieht man an den entscheidenden Stellen die Notwendigkeit nicht. Ja, Preußlers HJ-Zeit sei ein schwieriges Thema, sagt Mair. „Das muss man sorgfältig und unvoreingenommen bewerten.“ Für die Stephanskirchener ist aber klar: Preußler hat sich mit seiner Vergangenheit auseinandergesetzt und sich auf seine Art davon distanziert. Die Otfried-Preußler-Schule bleibt die Otfried-Preußler-Schule.