„Ausgesprochen kollegialer Ton“

von Redaktion

Kein Verhandlungstag bis auf Weiteres am Landgericht Traunstein. Im Mordprozess um den Tod von Hanna W. muss über den Befangenheitsantrag der Verteidigung entschieden werden. Haben Richterin und Staatsanwalt gekungelt? Das meint Nebenkläger-Anwalt Holderle zu den Vorwürfen.

Aschau/Traunstein – Es war der Paukenschlag vor Beginn des 32. Verhandlungstages im Aschauer Mordprozess um den gewaltsamen Tod von Hanna W.: Regina Rick, Verteidigerin des Angeklagten Sebastian T., reichte einen Befangenheitsantrag ein. Aus „sehr belastbaren Gründen“, wie sie sagte. Staatsanwalt und Richterin hätten sich abgesprochen, möglicherweise entlastende Ergebnisse einer Nachermittlung – es ging um DNA-Proben – seien nicht in die Hauptverhandlung eingeführt worden.

Die Eltern von Hanna vertritt Walter Holderle. Haben Richterin und Staatsanwalt sich abgesprochen? Der Rosenheimer Rechtsanwalt spricht mit dem OVB über Kollegialität, gesetzliche Pflichten und den Umgang mit Beweismitteln.

Der vertraute Ton zwischen der Richterin und dem Staatsanwalt wirkt auf Außenstehende in der Tat befremdlich. Auch für Sie als Insider?

Nein, der vertraute Ton wirkt für mich keineswegs befremdlich. Jeder, der mit der Justiz zu tun hat, weiß, dass dort zwischenzeitlich generell ein ausgesprochen kollegialer Ton herrscht.

Das Duzen von den Gerichtswachtmeistern, über die Geschäftsstellenangestellten, bis hin zu den Vorsitzenden Richtern ist dort absolut üblich.

Staatsanwalt Wolfgang Fiedler sagt, er und sein Kollege sähen den Sachverhalt ebenso wie das Gericht. Hört sich das für Sie nach einer allzu frühen Absprache an? Oder hat das mit dem rechtlichen Hinweis vom 4. Januar zu tun: dass „im Falle einer Verurteilung“ gefährliche Körperverletzung in Tatmehrheit mit Mord im Raum stehe?

Die Vorsitzende Richterin, Frau Aßbichler, hat in der öffentlichen Verhandlung vom 4. Januar 2024 einen rechtlichen Hinweis gemäß Paragraf 265 der Strafprozessordnung gemacht. Dieser Hinweis erfolgt „für den Fall einer Verurteilung“. Er bedeutet aber nicht gleichzeitig, dass das Gericht damit zwingend bereits eine Verurteilung in Aussicht stellt.

Paragraf 265 verpflichtet das Gericht sogar ausdrücklich zu einem solchen Hinweis und kann deshalb per se schon kein Grund für eine Befangenheit des Gerichts sein.

Aber bekam diesen Hinweis per E-Mail nur der Staatsanwalt?

Wie wir wissen, stand das Gericht seit Anklageerhebung ständig mit sämtlichen Verfahrensbeteiligten, also sowohl mit der Staatsanwaltschaft, sämtlichen Verteidigern, der Jugendgerichtshilfe, den Gutachtern und auch mir als Nebenklagevertreter im E-Mail-Kontakt. Wenn das Gericht im Rahmen einer solchen Korrespondenz die Staatsanwaltschaft von dem von ihm beabsichtigten rechtlichen Hinweis in Kenntnis setzt und die Staatsanwaltschaft als Vertreter der Anklage die diesbezügliche rechtliche Einschätzung des Gerichts teilt, sehe ich hierin nichts Bedenkliches.

Jacqueline Aßbichler gibt zu verstehen, dass sie die Aussage des JVA-Zeugen für „ganz wichtig“ zum Belegen des Tötungsvorsatzes hält. Beeinflusst sie damit den Staatsanwalt unzulässig zugunsten dieses Zeugen? Immerhin sollte der Staatsanwalt bald sein Plädoyer halten.

Nein. Dies schon deshalb nicht, weil die Staatsanwaltschaft ihren Schlussvortrag immer eigenverantwortlich hält. Auch eine Vorverurteilung seitens des Gerichts sehe ich darin nicht. Das Gericht nimmt hier gemäß Paragraf 265 der Strafprozessordnung eine rechtliche Wertung vor, zu der es – wie dargestellt – sogar verpflichtet ist.

Möglicherweise entlastende Ergebnisse von DNA-Proben aus Nachermittlungen tauchten nicht in der Verhandlung auf. Auch das steht im Befangenheitsantrag. Was meinen Sie, warum nicht?

Hier verkennt die Verteidigerin ganz offensichtlich den bisherigen Verfahrensverlauf. Es wurde eine Polizeibeamtin vernommen, welche das Fehlen von DNA-Spuren bereits in das Verfahren eingeführt hat. Wenn Nachermittlungen an diesem bereits gefundenen Ergebnis nichts ändern, braucht das Ergebnis aus diesen Nachermittlungen nicht zusätzlich nochmals in das Verfahren eingeführt werden. Interview: Michael Weiser

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