Aschau/Traunstein – Rosalie und Andreas W.: So geduldig hatten sie seit 12. Oktober vergangenen Jahres den Mordprozess um den gewaltsamen Tod ihrer Tochter Hanna verfolgt. Nicht, um den Angeklagten Sebastian T. auf Biegen und Brechen verurteilt zu sehen. Sondern, wie sie am zweiten Prozesstag betonten, um die Wahrheit zu erfahren: Was widerfuhr ihrer Tochter in den frühen Morgenstunden des 3. Oktober 2022? Und warum? „Meine Mandanten haben keinerlei Interesse an einer Verurteilung einer unschuldigen Person“, sagt ihr Anwalt Walter Holderle. Mit den jüngsten Entwicklungen des Prozesses vor der Zweiten Jugendkammer am Landgericht Traunstein sei aber die Schwelle der Zumutbarkeit für die Eltern überschritten.
Regina Rick steht
erneut im Mittelpunkt
Er hat im Namen von Rosalie und Andreas W. Strafanzeige erstattet. Die Anzeige richtet sich offiziell gegen niemanden Bestimmten, sondern „gegen sämtliche Personen, welche verantwortlich sind für die Weitergabe von Akteninhalten“ aus dem Aschauer Mordprozess. Auch wenn kein bestimmter Name genannt wird: Verteidigerin Regina Rick steht offenbar im Mittelpunkt der Strafanzeige.
Sie hatte den Beweisantrag gestellt, der in den Vortrag eines Sachverständigen der Uni Hamburg münden sollte. In seinem Antwortschreiben an Regina Rick hatte der Hamburger Gutachter Details genannt, die laut Walter Holderle auf Fotos der toten Hanna, Obduktionsberichten und Computertomografien beruhten.
Einen strafbaren Regelverstoß sieht Holderle auch in den wörtlichen Zitaten aus einer E-Mail-Korrespondenz, die zuerst in der „BILD“ zu lesen gewesen waren. Es war die E-Mail-Korrespondenz zwischen Staatsanwalt Wolfgang Fiedler und Richterin Jacqueline Aßbichler, die Regina Rick am vergangenen Montagabend zu einem Befangenheitsantrag veranlasste. Aufgrund dieses Gesuchs wurde der Mordprozess um den gewaltsamen Tod von Hanna W. am 3. Oktober 2022 unterbrochen. Zu entscheiden ist nunmehr, ob Richterin Aßbichler weiter den Vorsitz in diesem Prozess führen kann. Wenn nicht, müsste die Erste Jugendkammer den Prozess eventuell sogar neu aufrollen – nach 31 Verhandlungstagen.
Neue Verteidigerin
sorgt für rauen Ton
Der Ton in der Verhandlung hatte sich mit dem Eintritt Ricks in den Prozess im November 2023 verschärft. Sie war von Sebastian T.s Eltern als Wahlverteidigerin bestellt worden. Für Holderle und seine Mandanten ein Bruch. Mit Bedauern hätten die Eltern feststellen müssen, dass eine „bis dahin von sämtlichen Verfahrensbeteiligten sorgfältig und seriös erfolgte Verfahrensführung vonseiten der Verteidigung nicht mehr gegeben war“. Insbesondere das Beharren der Verteidigung auf der These, Hanna (23) sei einem Unfall zum Opfer gefallen und nicht einem Angriff des damals 20-jährigen Sebastian T., irritierte Prozessbeobachter und verletzte Hannas Eltern. „Da kommen immer wieder abstruse Theorien“, sagt Holderle den OVB-Heimatzeitungen. „Für die Eltern ist das extrem belastend.“
Zum Zirkus verkam die Verhandlung in Holderles Augen ab dem 7. Dezember 2023, als die Münchner Anwältin „medienwirksam einen früheren Mandanten“ präsentiert habe, der mit dem gegenwärtigen Verfahren in keiner Weise zu tun habe. Gemeint war der Auftritt von Manfred Genditzki, für den Regina Rick vergangenen Sommer einen Freispruch erwirkt hatte – nachdem Genditzki als angeblicher Mörder 13 Jahre lang im Gefängnis gesessen hatte. In der Wiederaufnahme stellte das Gericht seine Unschuld fest. Mit einer Vielzahl von zum Teil „wirklich eigenartig anmutenden Beweisanträgen“ und einem Befangenheitsantrag versuche die Verteidigung den Eindruck zu erwecken, Staatsanwaltschaft und Gericht hätten sich gegen den Angeklagten verschworen. Bei all dem spiele zum „größten Leid“ seiner Mandanten die Person ihrer Tochter keine Rolle mehr.
Tiefstes Leid
für die Familie
Mit dem nicht legitimierten Versenden von Fotografien, Obduktionsberichten und Computertomografien der getöteten Hanna sei endgültig eine Grenze überschritten. „Diese Grenzüberschreitung werden meine Mandanten nicht tolerieren.“ Es seien Persönlichkeitsrechte von Hanna verletzt worden, sagt Holderle. Die getötete 23-jährige Medizinstudentin sei dadurch zu einem „Gegenstand“ degradiert worden.
Selbstverständlich dürfe sich die Verteidigung sachverständig beraten lassen, sagte Regina Rick auf OVB-Anfragen zu ihren Kontakten zu dem Gutachter der Uni Hamburg. Die Verteidigung dürfe auch mit Medienvertretern kommunizieren, sofern eine Schweigepflichtentbindungserklärung des Mandanten vorliegt. „Von diesem Recht macht der Nebenklägervertreter schließlich ausufernd Gebrauch.“