„Einfach ein magischer Ort“

von Redaktion

Interview Generalkonservator Matthias Pfeil zum Sensationsfund auf der Fraueninsel

Fraueninsel – Sie rückten aus, um die Kirche St. Martin zu finden. Mit Bodenaufnahmen untersuchten Geophysiker die höchste Stelle der Fraueninsel und fanden das Fundament der Saalkirche in 50 bis 70 Zentimetern Tiefe. Doch die Aufnahmen des Erdreichs bargen eine unerwartete Überraschung: Direkt unter den Überresten des Gotteshauses tauchte in 80 bis 100 Zentimetern Tiefe eine weitere Struktur auf: Das Fundament eines Memorialbaus, womöglich für die selige Irmgard. Im Interview verrät Matthias Pfeil, Generalkonservator des Bayerischen Landesamts für Denkmalpflege (BLfD), welchen Stellenwert der Fund für die Geschichte und die Fraueninsel hat.

Herr Pfeil, wie fühlt man sich, wenn man so etwas Unerwartetes entdeckt?

Das ist schon was Besonderes. Die Fraueninsel ist sowieso schon eine bayerische Perle. Und jetzt ist die Fraueninsel ja auch relativ dicht besiedelt, aber an dem höchsten Punkt ist nichts. Dort haben wir die Fundamente eines Memorialbaus gefunden, der gar nicht mal so klein ist mit 19 Metern Länge je Seite, und der doch ein neues Licht auf diese Insel wirft.

Inwiefern?

Dort gibt es bekannte Bauwerke, wie die romanische Torhalle und das Kloster. Und jetzt haben wir aus der Zeit etwas gefunden, was dem sicherlich nicht nachstehen würde, sondern im Gegenteil: Man überlegt sich, warum wurde genau an der Stelle, also dem Hochpunkt der Insel, eine bis dahin absolut nicht bekannte Bauform errichtet, die ja per se schon etwas Besonderes ist. Ein Oktogon mit innerem Säulenumgang, mit acht Säulen und Anbauten zu jeder Seite und mit wahrscheinlich relativ steilen Dächern. Das war ein Gebäude, das sicherlich so eine Art bauliche Überhöhung der Insel war, die man von Weitem gesehen hat und auf Wirkung bedacht war. Wir wissen zwar nicht genau, ob es überhaupt fertiggestellt worden ist, denn bisher kennen wir bloß die Fundamente. Aber wenn es gebaut worden ist, dann war es ein spannender Bau für die damalige Zeit.

Sie sprechen von einer Bauform, die damals nicht so bekannt war.

Nicht in Bayern. Das ist ein spezieller Bau, den gibt es an ganz wenigen Stellen. Wir kennen nördlich der Alpen zwei vergleichbare Bauten: in Bamberg St. Andreas, errichtet um 1050, und St. Gallus in Würzburg, errichtet um 1130. Aber mehr kennen wir nicht, und die sind nur archäologisch nachgewiesen und nicht mehr vorhanden.

Woher kommt dieser Baustil generell?

Der Ursprung ist sicherlich die Grabeskirche in Jerusalem und San Vitale in Ravenna um 547 mit dem Memorialbau der Galla Placidia. Aber das ist südlich der Alpen. Im mediterranen Raum war diese Art von Gebäuden durchaus häufiger. Aber wenn man so etwas nördlich der Alpen auf einer Insel im Chiemsee sieht, ist das außergewöhnlich.

Sie haben ja ursprünglich nach der Kirche St. Martin gesucht und diese auch gefunden. Warum hat man die Kirche an dieser Stelle errichtet?

Ich glaube ganz ehrlich, dass diese höchste Stelle auf einer Insel im Chiemsee einfach eine Art magischer Ort ist. Dort war immer was. Da bin ich mir sicher. Dass dort eine Kirche errichtet worden ist, das ist ein Zeichen, dass dieser Ort damals schon für Andacht geeignet war und etwas Spirituelles in sich trägt. Und jetzt findet man unter diesen Fundamenten der Kirche noch mal tiefer eine sehr, sehr spannende Architektur. Ich glaube, dass es ein Ort ist, der die Menschen immer berührt hat. Letztes Jahr hat die Gemeinde dort ein Peace-Zeichen in den Rasen gepflanzt, übrigens genauso groß wie die Fundamente der Kirche. Das zeigt, dass man sich mit diesem Ort auseinandersetzt.

Wie gehen Sie vor, um Fundamente zu entdecken?

Das ist Hightech. Am Beginn steht zunächst mal die Quellensuche. Man überlegt sich, was es für Aufzeichnungen und Pläne gibt. Gibt es Stiche, gibt es textliche Darstellungen? Das sammelt man. Daraus kommt man auf einen Vermutungsort, an dem man intensiver suchen muss. Wir haben dazu ein Bodenradar, mit dem man elektromagnetische Wellen in den Boden senden kann. Dort werden diese Wellen an Materialänderungen, wie zum Beispiel an Mauern, reflektiert und kommen zurück. Man kann sich das so ähnlich vorstellen wie Sonarortung beim Boot. Nur dauert es beim Bodenradar sehr viel länger, und man kann die Daten nicht vor Ort auswerten.

Das entspricht nicht dem romantischen Bild einer Ausgrabungsstätte, bei der man direkt einen spektakulären Fund bestaunen kann.

Das ist schon eine Aufgabe, die braucht Zeit: Sie brauchen mindestens drei Leute und den richtigen Tag, damit die Temperatur nicht zur Veränderung im Boden führt. Da muss man sehr genau aufpassen. Danach hat man im Büro einige Tage Aufwand, die Daten auszuwerten. Vor Ort sieht man nichts. Das ist nicht so, wie wenn man fotografiert, sondern es ist sehr viel unschärfer. Erst in der Summe der Messungen ergibt sich dann im Nachhinein ein Bild.

Werden die Funde weiter untersucht oder Ausgrabungen vorgenommen?

Die Archäologen sind bei Ausgrabungen sehr vorsichtig. Bei Grabungen gehen sie natürlich in die Substanz hinein, und da wissen sie nie genau, was sie alles kaputt machen. Also letztlich ist das Belassen im Boden die beste Möglichkeit, nichts zu zerstören. Aber wenn man mehr wissen will, wenn man eine genauere zeitliche Einordnung haben will, wenn man durch Begleitfunde zum Beispiel auch mehr über die Leute wissen will, dann wird das sicherlich im Rahmen einer Grabung erfolgen. Es besteht aber keine Eile. Das Ding ist seit über 1000 Jahren da unten. Jetzt beginnt zunächst mal eine wissenschaftliche Diskussion, und dann werden wir weitersehen.

Wie viele Untersuchungen macht das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege in dieser Art im Jahr?

Das sind relativ wenige. Wir haben mit geophysikalischen Verfahren ungefähr 20 bis 30 Projekte im Jahr und mit Bodenradar etwa nur die Hälfte davon.

Wie oft kommt es vor, dass man dabei einen so bedeutenden Zufallsfund macht?

Einmal in einem Archäologenleben. Alle fünf bis zehn Jahre kommt mal etwas Unerwartetes zutage. Der Fund auf der Fraueninsel ist einmalig. Ich weiß nicht, ob man jemals herauskriegen wird, was der Bau denn wirklich war. Aber das ist ja auch das Spannende in der Archäologie, dass wir Geschichten haben. Und die müssen nicht bewiesen werden. Was wir wissen, ist, dass hier etwas errichtet wurde auf einer kleinen Insel in einem See, das auch in der damaligen Zeit ganz weitreichende Bedeutung hatte. Interview: Michael Barthel

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