„Er fehlt uns wahnsinnig“

von Redaktion

Vor anderthalb Jahren starb der achtjährige Tom Klabl aus Maitenbeth am Bornavirus. Für seine Mama Eva bis heute kaum zu verkraften. Sie erzählt von dem plötzlichen Krankheitsverlauf ihres Sohnes und dem verzweifelten Kampf der Familie, mit dem Verlust umzugehen.

Maitenbeth – Ein Junge mit braunen Locken lächelt einem verschmitzt auf dem Bild entgegen, er hält zwei Finger zum „Peace“-Zeichen hoch. „Das war sein Markenzeichen“, sagt Eva Klabl mit Blick auf das Porträt ihres Sohnes Tom. Am 27. Juli 2022 verstarb der achtjährige Junge aus Maitenbeth am Bornavirus. Heute, anderthalb Jahre nach dem Tod des Buben, kann die Familie immer noch nicht richtig fassen, was eigentlich passiert ist. „Er war so ein glückliches, lebensfrohes Kind“, erzählt Eva Klabl. „Er ist immer umher getobt, geklettert, hat so gerne Fußball gespielt. Er war unser Sonnenschein. Wir stehen immer noch unter Schock. Anderthalb Jahre ist zu wenig Zeit, um zu realisieren, dass dein Kind gestorben ist“, sagt die Mutter.

Er lebt in

den Träumen

Beinahe täglich wache sie in der Früh auf und müsse sich den Tod von Tom erst wieder in Erinnerung rufen. „Ich vergesse es einfach. Ich rechne fast damit, dass er fröhlich zur Tür hereinkommt – er war immer unser Wirbelwind, ganz anders als Ben und ich“, sagt die zweifache Mutter. „Mein Großer und ich sind richtige Morgenmuffel. Tom hat uns immer wachgerüttelt, er hat immer gesagt: ‚Ich hab ausschlaft‘, anstatt ‚Ich habe ausgeschlafen‘ und ist schon frühmorgens durchs Haus gewetzt“, erinnert sie sich. „Erst letztens habe ich geträumt, dass er auf mich zugelaufen und mir in die Arme gefallen ist. Dann bin ich aufgewacht“, sagt Eva Klabl, der bei dem Gedanken daran sofort die Tränen kommen. „Er fehlt einfach wahnsinnig – uns allen“, verdeutlicht sie mit Blick auf ihre Mutter, Theresia Klabl, die zustimmend nickt und sich mit dem Taschentuch die Tränen wegwischt.

Eva Klabl wohnt gemeinsam mit ihrer Mutter in einem Haus in Maitenbeth, „deswegen waren die Jungs viel bei ihr, wenn ich in der Arbeit war“, erklärt die 41-Jährige. „Wir haben uns immer wieder gefragt: Hätten wir es verhindern können?“, sagt Theresia Klabl. „Aber Kinder sind nun einmal viel draußen, kraxeln überall herum, fassen alles an. Das ist ganz normal – auch für Ben und Tom war es das“, erklärt die 74-Jährige. „Sie waren eine eingeschworene Einheit, haben alles gemeinsam gemacht. Sobald der erste Schnee lag, waren sie draußen beim Schlitten fahren. Sie haben Fußball gespielt, Lego gebaut, Hot Wheels gespielt“, erzählt Eva Klabl.

Umso schlimmer dann die schwere Erkrankung von Tom, der er schließlich auch erlag. „Er hatte erst einen grippalen Infekt und Fieber. Das kommt bei Kindern schon mal vor, bis dahin haben wir uns keine großen Sorgen gemacht“, weiß die Großmutter noch gut. Später seien Halluzinationen dazugekommen. „Er hat sich ganz merkwürdig verhalten. Ich weiß noch, dass er völlig grundlos auf der Suche war nach seiner Kindergartentasche. Einmal hat er gesagt: ‚Da fährt Bens ganze Schulklasse mit dem Fahrrad‘ und deutete auf ein paar Radfahrer, die gerade vorbeifuhren. Irgendwas war einfach komisch“, erinnert sich die 74-Jährige.

„Wir haben ihn ins Auto gepackt und sind mit ihm erst nach Rosenheim ins Krankenhaus, später wurde er in die Haunersche Kinderklinik nach München verlegt“, berichtet Eva Klabl. „Dort wurde uns dann bestätigt, dass Tom positiv auf das Bornavirus getestet worden war. Er bekam verschiedene Medikamente und schien sich zunächst wieder zu erholen. Er hat geredet, gelacht und gescherzt. Auch die Ärzte gaben uns eine gute Prognose und meinten, dass bei Tom definitiv ein anderer Verlauf zu erwarten sei als normalerweise bei der Diagnose ‚Bornavirus‘. Die Klinik war schon auf der Suche nach einem Reha-Platz für ihn“, sagt die zweifache Mutter.

Doch es kam anders. „Von einem Tag auf den anderen ging es abwärts, man konnte direkt zuschauen. Er hatte die Augen auf, war aber nicht mehr ansprechbar. Er hat überhaupt nicht mehr reagiert“, sagt die 41-Jährige. So ging es mehrere Wochen lang. „Tom starb dann in der Nacht um 4.08 Uhr“, sagt Eva Klabl unter Tränen. „Nachdem er verstorben war, musste ich erst einmal raus an die frische Luft. Ich lief wie ferngesteuert durch München“, weiß sie noch gut. „Immer wieder habe ich mich gefragt: Das ist doch nicht wirklich mir passiert? Das kann doch nicht mein Sohn sein, der gestorben ist?“ Diese Fragen stelle sie sich bis heute.

Auch die restliche Familie stand unter Schock. „Die Trauer übermannt einen, es ist bis heute unglaublich schmerzhaft“, versucht es Theresia Klabl in Worte zu fassen. „Ich habe es nicht übers Herz gebracht, es Ben zu sagen. Er ist an Toms Todestag mit unserem Schwager nach München in die Klinik gefahren. Dort war ein Seelsorger vor Ort, der ihm erklärt hat, dass sein kleiner Bruder gestorben ist“, berichtet Theresia Klabl.

Von der Nachricht über Toms Tod zeigten sich die Bürger in Maitenbeth zutiefst bestürzt. Der achtjährige Junge ist schon das zweite Kind in der kleinen Gemeinde, das an dem Bornavirus gestorben ist. 2019 erlag ein elfjähriges Mädchen den Folgen der heimtückischen Krankheit. „Ich bekam unzählige Beileidsbekundungen, die ganze Kommune hat uns sehr unterstützt, auch bei der Beisetzung. Ein großer Dank geht an den Pfarrer, der die wundervolle Predigt gehalten hat, und an Anna und Andi, die die Beerdigung musikalisch begleitet, ein Benefizkonzert mit Spendenaktion und einen Singkreis organisiert haben sowie an Edda, die mich immer zu den Treffen im Trauercafé fährt. Auch die Menschen vom Kindergarten und der Fußballverein, in dem Tom gespielt hat, standen uns zur Seite. Schon vorher haben die Mitglieder Spenden gesammelt“, sagt Eva Klabl.

„Ich bin froh, dass sich so viele um mich und meine Familie gekümmert haben. Manchmal würde ich mir wünschen, jemanden zu kennen, dem es ähnlich ergangen ist“, erklärt sie. Trotzdem habe sie auch schlechte Erfahrungen machen müssen, „eine langjährige Freundschaft ging in die Brüche“, sagt die 41-Jährige.

Die Monate nach Toms Tod seien sehr schwer gewesen – „und sind es bis heute“, betont die zweifache Mutter. „Mir ging es sehr schlecht. Ich hatte damals auch manchmal Suizidgedanken. Doch für Ben blieb ich am Leben“. Sie ging mit ihrem ältesten Sohn auf eine Art „Trauer-Reha“, doch als sein Wechsel auf die Realschule anstand, kamen sie wieder nach Hause. „Ich wollte, dass er am ersten Schultag dabei ist. Er soll ein möglichst normales Leben führen“, erklärt sie.

Ein normales Leben
führen? Unmöglich!

Ein normales Leben führen – für viele Maitenbether Eltern bis heute unmöglich. Eva Klabl wisse, dass es einige Bürger gebe, die ihre Kinder nicht mehr in den Wald oder sogar nach draußen lassen würden. Für sie keine Option. „Tom hätte sich überall anstecken können, auf dem Schulweg, beim Fußballspielen. Wir wissen nicht, wo es passiert ist“, verdeutlicht sie. „Ich bin der Überzeugung, dass jeder eine bestimmte Zeit hier auf der Erde hat und Toms Zeit war gekommen, auch wenn sie noch so kurz war“, erklärt sie. Deswegen dürfe Toms großer Bruder auch weiterhin raus, wenn er wolle. „Aber seit seinem Tod ist Ben meistens im Haus. Er zieht sich viel in die virtuelle Welt zurück. Es war ein schwerer Schlag für ihn – für uns alle“, sagt seine Mutter. Jeder Tag ist ein Kampf für die Familie. „Erst wenn jemand nicht mehr da ist, weiß man die gute Zeit, die man miteinander hatte, zu schätzen“, sagt Theresia Klabl. „Wir waren eine glückliche Familie. Es war für uns selbstverständlich. Erst jetzt wissen wir, dass es das nicht ist“.

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