Rosenheim – Er baute die Neurologie am Klinikum in Rosenheim auf, bestimmte den Kurs des Hauses als ärztlicher Direktor. Als Pandemiebeauftragter koordinierte Dr. Hanns Lohner (65) die vier Romed-Standorte im Landkreis Rosenheim im Kampf gegen Corona. Es gab Zeiten, da habe man Sorge haben müssen, sagt er im OVB-Exklusiv-Gespräch. Es habe Fehler gegeben und die Einsicht, dass man nachher immer klüger sei. Als Chefarzt der Neurologie am Romed-Klinikum und ärztlicher Direktor hat er sich nun zurückgezogen. Warum er sich über die Verdienstmedaille der Stadt Rosenheim besonders freut und wie er nun den Ruhestand gestaltet, auch darüber sprach Hanns Lohner exklusiv mit dem OVB.
Herr Dr. Lohner, Gratulation zur Verdienstmedaille der Stadt Rosenheim, pünktlich zum Ruhestand…
Das war natürlich eine unerwartete Ehre, die mir da zuteilgeworden ist. Eigentlich bin ich als Chefarzt schon ausgeschieden, zum 31. Januar. Da mein Nachfolger allerdings erst zum 1. April anfängt, unterstütze ich die Kollegen noch. Mein ehemals leitender Oberarzt leitet die Abteilung kommissarisch, und ich unterstütze, auch weil die Abteilung im Moment etwas unterbesetzt ist, die Kollegen stundenweise.
Das kann man auch „ausschleichen“ nennen.
Könnte man auch so nennen, ja (lacht). Stufenweise runterzufahren, taugt mir ganz gut. Jetzt habe ich auch weniger Administratives als unmittelbar Medizinisches zu tun. Das passt mir also ganz gut.
Zurück zu den Wurzeln, sozusagen.
Als Chefarzt war ich natürlich auch medizinisch tätig, das muss man ja auch sein, aber natürlich ist es doch so, dass viele Verwaltungs- und Organisationstätigkeiten dazugehören. Und dies ist nun von mir genommen. Deswegen macht es mir im Moment richtig Spaß.
Zu Ihren Aufgaben zählte auch für einige Jahre die Koordination. Vor allem seit März 2020. War die Pandemie das prägende Ereignis Ihrer Laufbahn?
Ja, schon. Zumindest war es die größte Herausforderung, die ich in meinem Berufsleben hatte. 2000 habe ich hier angefangen und die Neurologie aufgebaut, die gab es vorher ja nicht. 2017 habe ich das Amt des ärztlichen Direktors übernommen, neben der Aufgabe des Chefarztes, das bringt zusätzliche moderierende Tätigkeiten, die ich gerne wahrgenommen habe. Das waren natürlich Herausforderungen. Aber eben im erwartbaren Rahmen. Die Pandemie hingegen – das war für mich wie auch für viele andere Menschen die Herausforderung, die man im Leben, glaube ich, nur einmal hat.
Hatten Sie irgendwann das Gefühl, das geht schief?
Ganz am Anfang, in den ersten Wochen, als die Welle so anrollte, als wir auch noch nicht diese Vernetzung im Landkreis und im Rettungsdienstbezirk hatten, da gab es eine kurze Phase, in der wir dachten: „Hoffentlich bewältigen wir diese Welle der Schwererkrankten, vor allem, was unsere Intensivkapazitäten betrifft. Daran erinnere ich mich noch sehr gut. An einem Freitag, kurz vor dem Wochenende. Da rechneten wir nochmal nach: Wie viele Intensivbetten haben wir noch, wo könnten wir noch was machen? Da dachten wir dann: Puh, das kann jetzt knapp werden. Da war auch relativ viel Emotion dabei, Angst sogar, dass wir vielleicht ähnliche Verhältnisse bekommen wie in Norditalien.
Wir alle mussten viel lernen, wir alle fuhren auf Sicht. Wo hat man damals Fehler gemacht?
Gesamtgesellschaftlich, auch politisch, ist viel aufgearbeitet worden. Aber im Nachhinein sieht das auch immer einfacher aus. Ich glaube nicht, dass grundsätzlich dramatische Fehler gemacht worden sind. Was ich im Rückblick als problematisch beurteile, ist, dass wir gezwungen waren, ein komplettes Besuchsverbot auszusprechen. Das würde man heute, zumal es um schwer erkrankte oder sterbende Menschen geht, anders machen. Das hat viele Menschen, Betroffene und Angehörige mit Verletzungen zurückgelassen. Wir sahen uns gezwungen dazu, schon aufgrund der fehlenden Schutzkleidung. Aber was das mit den Menschen macht, das haben wir erst im Nachhinein gesehen. Heute würde ich in einer ähnlichen Situation versuchen, Besuche zuzulassen.
Man weiß mehr über Covid, auch über die Wirkung auf Jüngere. Würde man heute die Schulen nochmals dichtmachen?
Würde man wahrscheinlich auch nicht mehr. Damals war offensichtlich, dass die Krankheit über die Schulen in die Familien getragen worden ist. Als man nicht beurteilen konnte, welches Ausmaß die Pandemie annimmt, führte das zu Entscheidungen, die man im Nachhinein so pauschal nicht kritisieren sollte. Man hat Ansteckungswege unterbrochen. Auf der anderen Seite musste man feststellen, dass das bei Kindern und Heranwachsenden Lücken hinterließ: emotional, sozial, aber auch im Wissensaufbau. Das hatte man zunächst nicht so im Blick gehabt. Dennoch: Ich wehre mich dagegen, dass man sagt: Das war total falsch. Im Nachhinein ist das zu einfach.
Sie prägten Romed auch in normaleren Jahren. Wie hat sich die Klinik in der Zeit verändert?
Die Klinik ist natürlich gewachsen. Es gab neue medizinische Entwicklungen, die ganze Medizin ist noch professioneller geworden. Und es gab 2009 den Zusammenschluss der früheren Kreiskliniken mit dem Klinikum Rosenheim. Das war organisatorisch ungeheuer wichtig. Romed bietet jetzt in der Region das komplette medizinische Angebot.
Dennoch, 2023 fand sich Romed auf einmal in einer schwierigen Phase. Wie soll Romed diese Turbulenzen bewältigen?
Persönlich glaube ich, dass wir eine Reform des Krankenhauswesens benötigen. Natürlich bin ich nicht der Experte dafür und kann nur hoffen, dass die Entscheidungen so gesetzt werden, dass die Kliniken wieder Luft zum Atmen haben. Dass wir Doppelstrukturen vermeiden müssen, durch klarere Aufgabenzuweisungen – das finde ich auf jeden Fall nicht falsch. Die letzten zwei Jahre zeigten, dass da etwas passieren muss.
Ich frage mich aber, ob die Antwort darin bestehen kann, dass man Häuser schließt.
Letztlich ist es so: Die wohnortnahe Versorgung muss gewährleistet sein. Ich sehe eher das Ziel, dass nicht jeder Standort alles macht, sondern dass jeder Standort gewisse Aufgaben zugewiesen bekommt. Und das machen wir bei Romed.
Wie weit ist der Verbund?
Wir haben in der Pandemie gesehen, dass die Zusammenarbeit über die Standorte hinweg funktionieren kann. Aber – das ist auch nicht immer ganz einfach. Weil jede Klinik ihren Versorgungsauftrag ernst nimmt. Also, da brauchte es Absprachen. Diese Lehre müssen wir aus der Pandemie herüberretten.
Was haben Sie noch aus der Pandemie gelernt?
Wir haben viel über Erschöpfung gehört. Das stimmt, das habe ich auch an mir gemerkt. Auf der anderen Seite glaube ich auch: Wir haben uns einer unerwarteten Herausforderung gegenübergesehen. Wir alle, ob das die Pflegekräfte auf den Stationen, die Ärzte, die unterstützenden Berufsgruppen oder ich als Koordinator waren, sollten auch stolz sein, dass wir die Situation so gemanagt haben. Insofern ist diese Verdienstmedaille eine große Ehre als Anerkennung für das, was wir alle geleistet haben. Das müssen wir uns auch mal wieder vor Augen führen. Wenn man sich so einer Herausforderung stellt, dann wächst man daran. Und diese Erfahrung des Wachsens, die möchte ich nicht missen.
Da werden viele, aber längst nicht alle einverstanden sein. Letztere haben Sie oft vom Ichikawa-Platz gegen die Corona-Maßnahmen demonstrieren gehört.
Das war nicht zu überhören, stimmt.
Gab es Anfeindungen?
Mir persönlich gegenüber nicht. Was ich mitbekommen habe, habe ich als fair empfunden. Natürlich gibt es unterschiedliche Meinungen, die gab es auch in der Klinik, es gab auch Menschen, die gesagt haben, dass alles nicht stimmt. Unterschiedliche Meinungen eben. Angriffen aber war ich nicht ausgesetzt.
Nach Ihrer Zeit als ärztlicher Direktor in Rosenheim, Chefarzt und Pandemiebeauftragter: Wie sehen nun Ihre persönlichen Pläne aus?
Medizinisch möchte ich weiter tätig bleiben, stundenweise, bei einem Kollegen in der Praxis. Und es gibt Hobbys. Ich hab‘ versucht, die nicht ganz brachliegen zu lassen. Bergsteigen: Wenigstens einmal im Jahr habe ich geschaut, auf höheren Bergen unterwegs zu sein. Das will ich mehr machen, als es bislang möglich war. Skitouren gehe ich auch. Und: Segeln ist meine Passion, gerne auf dem Simssee – da bin ich auch im Vorstand vom Segelverein. Für all das wünsche ich mir mehr Freiraum.
Interview: Michael Weiser