Kein unfehlbarer Mensch

von Redaktion

Stephanskirchen/Regen – Dr. Susanne Preußler-Bitsch ist die Verwalterin des literarischen Erbes ihres Vaters Otfried Preußler. Natürlich verfolgt sie die geplante Umbenennung des Otfried-Preußler-Gymnasiums in Pullach im Isartal. Von diesen Bestrebungen habe sie leider erst aus der Presse erfahren, bedauert sie in ihrer Antwort auf die Nachfrage der OVB-Heimatzeitungen wie sie zu den Ereignissen steht.

Seit zehn Jahren gebe es eine fachlich fundierte, wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Person Otfried Preußler; auch seine Jugendjahre im Nationalsozialismus standen dabei im Fokus. „Da mir an einer objektiven, sachlich kundigen Aufarbeitung insbesondere der Jugendjahre sehr gelegen war und ist, habe ich auch das Privatarchiv meines Vaters für die Forschung geöffnet“, so Dr. Susanne Preußler-Bitsch.

Profunde
Biografien

Auf dieser Basis seien unter anderem zwei profunde Biografien entstanden. Von Carsten Gansel: „Kind einer schwierigen Zeit – Otfried Preußlers frühe Jahre“ und von Tilman Spreckelsen „Otfried Preußler: Ein Leben in Geschichten“.

In diesen Biografien werde unter anderem herausgearbeitet, dass Preußler in seiner Jugend dem Nationalsozialismus nahestand und dass er um Aufnahme in die NSDAP und in die Reichsschrifttumskammer ersucht hat.

„Zugleich zeigen beide Bücher auf, wie er bereits in der Kriegsgefangenschaft seine Jugend überdacht und literarisch verarbeitet hat. Ein Prozess, der ihn sein gesamtes Leben begleitete.“ Der wissenschaftliche Stand zu Otfried Preußler „wird in der Pullacher Schuldebatte leider nicht nur emotionalisiert, sondern in essenziellen Teilen auch falsch dargestellt.“

2023 wurde der 100. Geburtstag von Otfried Preußler nicht nur in Stephanskirchen, wo er jahrzehntelang lebte, lehrte und schrieb, ausgiebig und auf vielen Bühnen gefeiert; in den kritischen Würdigungen in der Presse wurde auch seine Kindheit und Jugend im Nationalsozialismus immer wieder thematisiert und eingeordnet.

Seinen Jugendroman „Krabat“ hat Preußler nach Aussage seiner Tochter als dezidierte Warnung vor totalitären Systemen verstanden. So zeige er Jugendlichen seit über 50 Jahren, wie leicht man sich mit dem Bösen verstricken kann – wie man sich aber auch davon befreien und aus seinen Fehlern lernen kann. „Ein Thema, das heute dieselbe Relevanz hat wie für Jugendliche in den 1930er-Jahren“, findet Dr. Susanne Preußler-Bitsch.

Otfried Preußler hat die Erfahrungen seiner Kindheit und Jugend nach Ansicht seiner Tochter so in seine literarische Identität einzugliedern gewusst, dass Generationen von Kindern anhand seiner Bücher Wertvorstellungen entwickeln konnten, die bis heute Gültigkeit haben: Respekt, Liebe, Freundschaft und eine klare Ablehnung des Verrats, des Missbrauchs und der Denunziation.

„Persönlich bedauere ich, dass die Schulgemeinschaft des Pullacher Gymnasiums sich augenscheinlich nicht mehr mit ihrem jetzigen Namensgeber identifizieren möchte. Die vorgebrachten Gründe sind aber mehr als fraglich“, meint Dr. Susanne Preußler-Bitsch. Schulleiter Benno Fischbach hatte in seinem Antrag auf Umbenennung an den Zweckverband des Pullacher Gymnasiums – der der Redaktion vorliegt – nicht nur Preußlers Jugendwerk und fehlende konkrete Distanzierung davon angeführt, sondern auch einen nicht vorhandenen gymnasialen Anspruch des Werkes selbst für jüngere Schüler sowie „fragwürdige Konfliktlösungen“, unter anderem mittels Hexerei.

Dass die Gründe nicht überzeugten, zeige sich auch darin, dass niemand aus der Fachwelt diese Position teile, so Dr. Susanne Preußler-Bitsch. Und nicht nur aus der Fachwelt. Jürgen Kaube, der Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), nennt den Wunsch nach Umbenennung „so dumm, dass es weh tut“, andere Medien von der „Bild“ bis zur „Neuen Zürcher Zeitung“ urteilen ähnlich. Dr. Susanne Preußler-Bitsch findet es sehr bedenklich, dass die Schule bei ihrer Beurteilung nicht das ganze Leben, den ganzen Menschen des jetzigen Namensgebers in den Blick nimmt, sondern ihn scheinbar nur an seiner Jugendzeit beurteilt „und ihn zudem an einer Forderung misst, die zu Lebzeiten nicht an ihn herangetragen wurde: Nämlich der Forderung nach einer explizit verbalen Distanzierung von einem Jugendbuch, das er mit 17 Jahren verfasst hat. Ein solches Vorgehen ist unseriös.“

Ruf nach Humanismus
und Frieden

Sabine Volk, Nichte von Susanne Preußler-Bitsch, schreibt in einem FAZ-Artikel, „selbstverständlich war mein Großvater kein unfehlbarer Mensch (…) Mein Großvater stand als Person aber vor allem mit seinem, mir bekannten, literarischen Werk nach 1945 fest auf demokratischem Boden. Dieses Werk ist geprägt durch Humanismus, den Wunsch nach Frieden und einem liebevollen, respektvollen und vor allem auch humorvollen Umgang miteinander. Deshalb liebe ich, wie Millionen andere Menschen, viele seiner Bücher. Sie begleiteten meine Kindheit, sie trösteten mich und gaben mir Hoffnung und Lebensmut.“

Das Otfried-Preußler-Gymnasium Pullach hat aus Sicht der Preußler-Tochter Susanne eine Chance vertan: „Würde man den Menschen Otfried Preußler, sein volles Leben von 90 Jahren in den Blick nehmen, ihn mit all seinen Brüchen und Entwicklungen betrachten, was gäbe das für ein spannendes Lehrstück gerade für eine Schule, an dem man zeigen kann, wie man sich trotz Brüchen in der Jugend weiterentwickeln kann.“

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