Aschau/Traunstein – Als der Aschauer Mordprozess begann, am 12. Oktober 2023, war es noch spätsommerlich warm. Mit dem Frühling 2024 kündigt sich nun das Urteil an. Am 19. März soll es so weit sein – nach fünf Monaten Verhandlungsdauer wird die Zweite Jugendkammer des Landgerichts Traunstein verkünden, zu welchem Urteil sie gelangt ist.
Zuvor, am kommenden Freitag werden die Plädoyers gehalten: Es beginnt Wolfgang Fiedler für die Staatsanwaltschaft, es folgt Walter Holderle als Anwalt von Hannas Eltern, bevor die Verteidigung spricht. Die drei Anwälte wollten sich jeweils kurz halten, sagte Pflichtverteidiger Harald Baumgärtl den Oberbayerischen Heimatzeitungen. Denkbar sei, dass Wahlverteidigerin Regina Rick beginne, er selbst und Dr. Markus Frank folgten, bevor Regina Rick im Schlussteil die Thesen der Verteidigung nochmals zusammenfasse.
Jetzt endet der
Prozess zügig
Noch vor zwei Wochen hatte da gehörige Ungewissheit geherrscht. Regina Rick hatte einen Befangenheitsantrag gegen die Vorsitzende Richterin Jacqueline Aßbichler und ihre zwei Richter-Kollegen Stefan Salzinger und Dorothea Bartschmid gestellt. Auslöser war ein E-Mail-Austausch zwischen Richterin Aßbichler und Staatsanwalt Fiedler gewesen, der unvermittelt in den Ermittlungsakten aufgetaucht war. Die beiden hatten sich wegen der Notwendigkeit eines „rechtlichen Hinweises“ ausgetauscht.
Einen solchen muss das Gericht den Prozessbeteiligten geben, wenn sich der Tatvorwurf im Falle einer Verurteilung ändert. Nachvollziehbar, schließlich muss sich die Verteidigung auf die neuen Vorwürfe gegen ihren Mandanten einstellen können. Richterin Aßbichler folgte dem am 4. Januar 2024 mit folgender Information: Im Falle einer Verurteilung stehe nunmehr Totschlag oder gar gefährliche Körperverletzung plus Mord im Raum.
Der Hinweis lässt darauf schließen, dass Sebastian T.s Mithäftling aus der U-Haft in Traunstein einige Überzeugungskraft entfaltet hat. Er hatte ausgesagt, dass Sebastian T. ihm gegenüber eingeräumt habe, Hanna W. in den frühen Morgenstunden des 3. Oktober 2022 umgebracht zu haben. Er habe die 23-jährige Medizinstudentin bewusstlos geschlagen, damit sie sich nicht mehr wehren könne, habe T. damals gesagt, und die Bewusstlose dann in den Hochwasser führenden Bärbach geworfen. Am Nachmittag desselben Tages hatte ein Spaziergänger Hannas Leiche in der Prien entdeckt – gut zwölf Kilometer vom mutmaßlichen Tatort entfernt.
Sechs Wochen nach der Tat war der ursprünglich lediglich als Zeuge vorgeladene Sebastian T. als dringend tatverdächtig festgenommen worden. Ein paar Wochen nach der Festnahme T.s, kurz vor Weihnachten 2022, will der Mithäftling aus T.s Mund das Eingeständnis gehört haben.
Wäre dem Befangenheitsantrag gegen die drei berufsmäßigen Richter der Zweiten Jugendkammer insgesamt stattgegeben worden, hätte der Prozess neu aufgerollt werden müssen. Acht Tage später aber entschied die Erste Jugendkammer des Landgerichts, das Gesuch abzulehnen: Eine Abstimmung unter Staatsanwaltschaft und der Vorsitzenden sei, anders als von der Verteidigung kritisiert, üblich, ja angebracht. Keine Mauschelei also, wie von Regina Rick nahegelegt, sondern ein Vorgehen gemäß Strafprozessordnung.
Gutachten bis zum
Sankt Nimmerleinstag?
In selber Besetzung wie in den Monaten zuvor lehnte das Gericht am gestrigen Dienstag ein halbes Dutzend Beweisanträge ab, meist mit Berufung auf Paragraf 244 der Strafprozessordnung. Dort steht, dass ein Antrag abgelehnt werden kann, „wenn die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist“.
Das sah das Gericht in dem Antrag, in dem ein tödlicher Unfall am Bärbach vom September 2023 herangezogen werden sollte, um einen Unfalltod Hannas als plausibel erscheinen zu lassen. „Ob ein anderer Mensch in den Bärbach gefallen ist, ist für den aktuellen Fall bedeutungslos“, sagte Richter Salzinger, da nur mögliche, aber nicht zwingende Schlüsse abgeleitet werden könnten. Nicht besser erging es den anderen Anträgen, etwa dem, einen Radiologen heranzuziehen, der sich die Röntgen-Aufnahmen von Hannas Schulterfrakturen ansehen sollte – er könne nur feststellen, dass eine Verletzung entstanden sei, aber nicht wie.
Manchmal drängte sich der Eindruck auf, Gutachter sollten den Prozess bis zum Sankt Nimmerleinstag verlängern. Einem Ersuchen, neue Gutachter zu den angeblichen Treibe-Verletzungen von Hanna heranzuziehen, erteilte das Gericht eine Absage. Mützel und Adamec hätten eindeutig angegeben, einzelne Verletzungen seien vielleicht auf das Treiben in Bärbach und Prien zurückzuführen. Im Gesamtbild aber sei ein Unfallhergang nicht plausibel.
Somit konnte Richterin Aßbichler die Verhandlung bald schließen. Allerdings nicht, ohne zuvor den Eltern des Angeklagten Gelegenheit zu geben, sich zur Kindheit und Entwicklung ihres Sohnes zu äußern. Die Eltern sagten nichts. Ebenso wie der Angeklagte. Er schweigt weiter beharrlich. Die Hoffnung von Hannas Eltern, im Prozess zu erfahren, was sich am Morgen des 3. Oktober 2022 abgespielt hat, wird sich so womöglich nie ganz erfüllen.